> Alfred Försterling: Einberufung als Marinesoldat - Rekrutenzeit

Alfred Försterling: Einberufung als Marinesoldat - Rekrutenzeit

Dieser Eintrag stammt von Alfred Försterling (*1925) aus Hamburg, November 2007:

 

Zum 1. Dezember 1944 erhalte ich meinen Einberufungsbefehl nach Waren/Müritz und werde Marinesoldat. Noch am selben Tag nach der Einkleidung erlebe ich, wie schlecht schon die Kriegslage ist. Englische Jagdbomber greifen an. Wir sind im Freien und gehen notdürftig in Deckung. Ich kann beobachten, wie deutsche Jagdflugzeuge im Luftkampf abgeschossen werden. Die Engländer beherrschen den Luftraum.

Es sind nicht wenige, die am 1. Dezember eingezogen werden. Junge Kerle, die vielleicht schon als Flakhelfer eingesetzt waren, gerade aus der Schule entlassene und auch solche, die wegen körperlicher Fehler bisher nicht geeignet waren. Bei der Musterung beobachte ich Rekruten mit nur 4 oder sogar 6 Zehen und noch anderen kleinen Gebrechen. Etwa eine Woche in Waren/Müritz vergeht mit ärztlicher Untersuchung, Registrierung, Einteilungen und ersten militärischen Übungen. Dann wird ein kleiner Trupp, zu dem ich auch gehöre, zur Marinenachrichtenschule nach Rantum auf Sylt in Marsch gesetzt. Dort treffen wir Mitte Dezember ein.

Ein ehemaliger Marinefliegerhorst beherbergt die Marinenachrichtenschule. Am Rande des Kasernengeländes steht noch eine große Flugzeughalle. Sie ist nun aber leer. Die Gruppe aus Waren wird in eine Kompanie eingegliedert. Alles neue Rekruten. Zu meiner großen Überraschung treffe ich die Funker vom Telegrafenamt wieder. Sie waren schon eingezogen worden, als ich noch in Stralsund war. Wir sind zwar im selben Zug, aber in verschiedenen Gruppen.

Jetzt beginnt die Rekrutenausbildung. Gewehre werden ausgegeben. Alte holländische Beuteflinten. Zweimal in der Woche 2 Stunden morgens um 6 Uhr antreten zum Frühsport. In leichter Kleidung immer durch die Dünen an der Küste. Tagsüber Drill auf dem Kasernenhof oder in der leeren Flugzeughalle. Was lernen wir jetzt 1944 nach Stalingrad, Durchbruch der Russen an allen Fronten und Landung der Alliierten in der Normandie zuerst? Das Grüßen! Auch Paradeschritte werden geübt. Sehr unangenehm ist immer wieder das: "Auf - Hinlegen", wobei das Gewehr mit beiden Händen so gehalten werden muss, dass es nicht den Boden oder mit Dreck und Schmutz in Berührung kommt. Das geht so: Hinunter auf das linke Knie, dann auf das rechte Knie, weiter auf den rechten Ellenbogen und zuletzt auf den linken Ellenbogen bis der ganze Körper flach liegt. Nur die Hände mit dem Gewehr dürfen nicht am Boden sein. Stundenlang, tagelang. Ellenbogen und Knie schmerzen fürchterlich auf dem harten Beton der Flugzeughalle. Dort ist es aber wenigstens trocken. Gerade wohltuend ist der Drill in den Dünen. Der Sand ist weich, wenn es auch beschwerlich ist beim Laufen. So werden wir manchmal bis an den Rand der Erschöpfung gejagt.

Ein beliebtes Objekt der Unteroffiziere zur Beschäftigung der Rekruten nach Dienstschluss sind Sandsäcke und Fässer mit Löschwasser. "Was seid ihr heute wieder mal so lahm!" brüllt es durch Gänge und Stuben und dann der Befehl. "Raustreten, Sandsack in Vorhalte" Kniebeugen, Kniebeugen immer wieder. Einmal, bei der 150. Kniebeuge bleibe ich unten. "Sie wollen wohl nicht mehr?". "Herr Unteroffizier, Matrose Försterling kann nicht mehr" ist meine Antwort. Ich bleibe unten, die anderen müssen noch ein paar Kniebeugen machen, dann ist für sie auch dieses Spiel zu Ende.

Es gibt immer genug Gründe, den Rekruten zu zeigen, was für arme Würstchen sie sind. Wir empfinden so manches als reine Schikane. Zum Beispiel Gewehrreinigen. Der Unteroffizier findet an meinem Gewehr etwas. In einer halben Stunde nochmals antreten mit geputztem Gewehr! Gut, ich gebe mir Mühe und reinige nochmals gründlich. Wieder nicht zur Zufriedenheit des Unteroffiziers und nochmals nach einer halben Stunde vorzeigen. Ich habe die Nase voll und mir ist alles gleichgültig. Ich mache gar nichts und ruhe mich die halbe Stunde aus. Die erneute Kontrolle ergibt aber keine Beanstandungen mehr. "Warum nicht gleich so, Matrose Försterling?"

Dann ereignet sich etwas, was wie ein Lauffeuer durch die ganze Kaserne stürmt. Horst Sawade, mein Funkerkollege aus Hamburg, fuhr im Mittelmeer auf Schiffen mit Nachschub für Rommel. Sein Schiff wurde versenkt. Er Schwamm zwischen lecken Benzin-Fässern, die zu brennen begannen, bis er von Begleitschiffen glücklich herausgefischt wurde. Damals erhielt er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse als Kriegsauszeichnung. Nun trägt er diese Auszeichnung an seiner Uniformjacke, wie es Vorschrift ist. Als seine Gruppe wieder mal geschliffen wird und Sawade zum Verdruss des Unteroffiziers nur sein vielsagendes freundliches Lächeln zeigt, will er ihn zur Ordnung rufen und brüllt: "Sie da mit ihrem lächerlichen EK ….". Alle hören es. Dem Unteroffizier in seinem arroganten Übereifer kam wohl gar nicht zum Bewusstsein, was er gesagt hatte. Sawade macht Meldung, Es kommt zur hochnotpeinlichen Verhandlung vor dem Kommandeur. Der Unteroffizier erhält wegen Wehrkraftzersetzung 3 Tage Arrest auf Bewährung.

Ein weiteres Ereignis in der Kaserne lässt auf die allgemeine Stimmung schließen. Ein Rekrut einer anderen Kompanie erschießt sich mit seinem Gewehr. Weiß der Teufel, woher er die Patrone hat. Jede Patrone wird nämlich bei Übungen mit scharfer Munition einzeln registriert. Er ist sofort tot. Die Schikanen lassen jetzt nach. Diese beiden Ereignisse haben vielleicht dazu beigetragen.

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