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Alfred Försterling: Kriegsende

Dieser Eintrag stammt von Alfred Försterling (*1925) aus Hamburg, November 2007:

 

Am dritten Tag, es ist der 6. Mai 1945, zerlegen wir das Zelt und brechen auf. Nach Westen wollen wir, möglich bis nach Hamburg. Nach unseren Berechnungen - Karten haben wir keine - müssten wir etwa vor der Linie Schwerin-Wismar stehen. Der große Schweriner See könnte vielleicht südwestlich liegen, also sollten wir nordwestlich mehr die Richtung Wismar einschlagen. War doch gut, in der Schule bei Erdkunde aufgepasst zu haben.

Wir kommen unbehelligt wieder auf die Strasse und marschieren los. Niemand ist zu sehen. Keine Russen weit und breit. Aber die Spur ihres Vormarschs ist unübersehbar. Rechts und links im Straßengraben liegen zerstörte Gegenstände aller Art. Da ein zerbrochener Wagen mit verschiedenen Kannen. Eine ist voller Pflaumenmus. Dort liegt ein Sack mit Haferflocken. Unsere Essensvorräte sind zu Ende. Nun machen wir eine kleine Pause und stopfen uns voll mit einem Brei aus Haferflocken und Pflaumenmus. Köstlich, diese "abwechselungsreiche" Nahrung.

Nachmittags erreichen wir ein Dorf, in dem nun auch viele russische Soldaten herumlaufen. Wir müssen mitten durch das Dorf, weil überall auf den Feldern russische Truppen mit Panzern, LKWs und Panjewagen zu sehen sind. Es ist aber ruhig. Kein Kriegslärm, keine Truppenbewegungen. Alles ganz friedlich. Wir bleiben zunächst weiter unbehelligt. Man lässt uns einfach so laufen. Wir in deutscher Uniform, allerdings mit weißer Armbinde zum Zeichen, dass wir uns ergeben haben. Das Dorf liegt auf einer kleinen Anhöhe. Ganz in der Ferne sind die Türme von Wismar zu erkennen. Unsere eingeschlagene Richtung stimmt also. Am Ende des Dorfes geht es aber nicht mehr weiter. Schwer bewaffnete Wachtposten stehen dort. Flüchtlinge mit ihrer wenigen Habe, Alte und Kinder schleppen sich auf der Strasse zwischen den Posten hindurch Richtung Wismar. Wir wollen uns dazwischen mogeln. Aber die russischen Posten haben uns entdeckt, rufen uns an und als wir uns dumm stellen, schießen sie in die Luft. Sie werden also Ernst machen. Wir haben so keine Chance und wollen kein Risiko eingehen. Also kehren wir wieder um, zurück zu den Wachtposten. Die sind aber wieder ganz friedlich. "Woina kaputt, Gitler (sie meinen Hitler, sie können nämlich kein "H" aussprechen) kaputt, Nimetztki (das sind wir) kaputt" rufen sie fröhlich und freuen sich wie wir, dass alles vorüber ist und das Sterben ein Ende hat. Ein bärtiger älterer russischer Soldat sitzt vor einer Scheune. In der einen Hand ein Brot, in der anderen Hand ein großes Stück Speck. Genüsslich schneidet er von beidem Scheiben ab und verspeist sie. Als er unsere hungrigen Blicke sieht, gibt er uns bereitwillig davon ab. Irgendwo übernachten wir.

Am nächsten Tag helfen wir den Russen, ein Postenhäuschen hier an der Grenze zum Westen zu bauen. Wir sind an der Demarkationslinie zwischen Engländern und Russen. Zum Dank können wir uns noch mal so richtig satt essen, Brot, Eier und Pudding. Noch können wir uns frei bewegen und hoffen immer noch, doch noch über die Grenze zu kommen.

Doch bald ist die Freiheit zu Ende. Am Abend des 7. Mai 1945 werden wir eingesammelt und zusammen mit ehemaligen ukrainischen "Fremdarbeitern" in einem Zimmer eingesperrt. Die Ukrainer nehmen uns die letzten Esswaren sowie Tabak und Zigaretten weg. Sie sind sehr rabiat und in der Überzahl. So verbringen wir eingepfercht eine wenig angenehme Nacht.

Am nächsten Tag müssen wir für die Russen jetzt unter Bewachung verschiedene Arbeiten verreichten. Das lässt sich noch ertragen. Aber mit der Verpflegung hapert es schon. Abends sperren sie uns in eine Scheune ein. Aber noch geben wir die Hoffnung nicht auf, doch noch frei zu kommen. Russischen Soldaten durchsuchen uns mehrmals. "Uri jest?" Sie finden natürlich meine im Verbandspäckchen versteckte Armbanduhr. Die bin ich nun los.

Heute, am 9.Mai 1945, erfahren wir vom offiziellen Kriegsende. Es gibt morgens noch einmal ausreichend zu essen. Dann werden wir in die Gegend von Waren gebracht. Übernachtung wieder in einer Scheune. Die Zahl der aufgesammelten deutschen Soldaten wächst ständig. Die Bewachung auch. Jetzt sind wir richtig in Gefangenschaft, wir sind nun "Woina Plennis".

lo