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Anja Boguslawski: Landjahrlager

Dieser Eintrag stammt von Anja Boguslawski (* 1982) aus Berlin (09.07.2000). Es ist der Bericht ihrer Großmutter.


Ich bin 1930 als Tochter eines Bahnbeamten in Pommern geboren. Vom Ausbruch des Krieges haben wir 1939 noch nicht viel gemerkt, außer, daß ein paar Männer eingezogen wurden und das Morgengebet in der Schule durch den Hitlergruß ersetzt wurde. Als jedoch die ersten "Jungs", es waren wirklich noch Jungs, gefallen waren, merkten immer mehr Leute, daß wirklich Krieg war.
1945 wurden von der Schule junge Mädchen ausgewählt, unter denen auch ich war, die eine besondere politische Ausbildung genießen sollten, um später in den Staatsdienst tretenzu können. Am 1. April kam ich in das Landjahrlager Reddies, zusammen mit 69 anderen Mädchen. Wir wurden in Kameradschaften zu je 10 Mädchen eingeteilt, die zusammenhalten sollten. Alles dort war darauf abgestimmt, uns abzuhärten, so mußten wir uns mit kaltem Wasser waschen und das Essen war nicht gerade üppig, abgesehen davon, daß; es auch nicht gerade das Beste war. Wir durften uns nur wenig auf die Teller füllen und erst nach nehmen, wenn wir fertig waren. Dann war meistens jedoch schon alles wieder leer. Ein Mädchen wagte es, nach Hause zu schreiben, daß, es Hunger hatte. Der Brief wurde jedoch abgefangen und zur Strafe mußze das Mädchen dann in der großen Halle auf einem Stuhl sitzen, mit einem Blech Kuchen und einem Schild: DIES IST DAS MÄDCHEN, DASS NICHTS ZU ESSEN BEKOMMT!

Als die Komission dann kam, war das Mädchen so eingeschüchtert, daß es sich nicht mehr traute, etwas zu sagen. Da ich mich mit den Zügen besonders gut auskannte, bekam ich einmal den Auftrag, irgendwelche Behörden aufzusuchen. Da auch ich besonders unter dem Hunger litt, bat ich am Bahnhof den Assistenten meines Vaters, meiner Mutter Bescheid zu sagen, daß sie mir einen Koffer mit Essen schicken sollte. Wir trafen uns dann an einem Bahnhof und ich fuhr mit dem Koffer zurück ins Lager. Dort versteckte ich ihn etwas außerhalb und in der folgenden Nacht holten wir Mädchen uns das Essen in einzelnen Etappen. Der Ernteeinsatz beim Großbauern war immer ein großes Ereignis. Wir mußten zwar sehr hart arbeiten, doch wir bekamen ausreichend zu Essen. Auch die Bunten Abende, die wir veranstalteten waren große Höhepunkte.

Aber dann mußten wir auch bei glühender Hitze mit vollem Gepäck marschieren, auch wenn wir zusammenbrachen. Als mein Vater Sonderurlaub bekam, durfte ich drei Tage nach Hause. Es war Winter geworden und ich bekam Scharlach, deshalb mußte ich dann nicht mehr ins Lager zurück. 

lo