> Annemarie Lübcke: Die Dienstverpflichtung

Annemarie Lübcke: Die Dienstverpflichtung

Dieser Eintrag stammt von Annemarie Lübcke (*1927 ) aus Hamburg, Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen", Seniorenbüro Hamburg , Juni 2004 :

Nach der Handelsschule und absolvierten Kochkursen, um die ich nicht herumkam, wurde ich sofort dienstverpflichtet und mußte in den JUNKERSWERKEN - im Flugzeugbau - Flugzeugrümpfe nieten. Zuerst aber wurden wir Neulinge vor eine große Blechtafel gestellt und das Üben mit einer Bohrmaschine und anderen Handwerkzeugen konnte beginnen.

Ich hatte den Bogen recht schnell raus. Dem Meister gefiel meine schnelle Auffassungsgabe. Andere Mädchen taten sich schwer und es gab sogar Tränen.

Nach bestandener Prüfung wurde uns in der großen Halle gezeigt, wie man den jeweiligen Flugzeugrumpf mit den kalten Nieten bearbeitet. Vorschrift war, daß wir alle 20 Minuten neue, kalte Nieten aus dem Kühlschrank abfordern mußten. An einem Nachmittag begegnete mir auf dem Weg zum Kühlschrank ein Franzose, ein Fremdarbeiter, wie wir zu sagen pflegten, der auch Nieten holen wollte. Wir schauten uns an und kamen in ein kurzes Gespräch. Keine 3 Sätze haben wir miteinander geredet, da waren wir bereits an der Ausgabestelle beim Kühlschrank. Nach ungefähr 30 Minuten wurde ich zum Direktor gerufen.

Völlig unbefangen meldete ich mich im Sekretariat und man begleitete mich ins Direktions-Büro. Ich grüßte mit "Heil Hitler", wie sich das damals gehörte und war gespannt, was er von mir wollte. Er schaute mich mit einem verkniffenen, bösen Gesicht an und dann regte sich die Nazi-Seele in ihm; es sprudelte nur so aus ihm heraus: "Was fällt Ihnen denn ein, mit einem Ausländer zu reden? Wissen Sie denn nicht, daß das streng verboten ist?" An seinen Mundwinkeln konnte ich Schaum wahrnehmen. Und er sagte weiter: "Gerade dieser Mensch könnte ja ihren Vater erschossen haben, usw. ..."

Ich stand da wie ein begossener Pudel und zitterte am ganzen Körper, denn solche heftigen und lauten Worte hatte bislang noch niemand im meinem Leben an mich gerichtet. Nun kam bei mir der Trotz auf und auch die Ehrlichkeit, denn ich war mir noch immer keiner Schuld bewußt. Ich schluckte zweimal und sagte auch laut und vernehmlich: "Herr Direktor, dieser Mann hat mit dem Tod meines Vaters nicht das geringste zu tun, denn mein Vater starb, da war ich noch keine 4 Jahre alt. Ansonsten haben wir bislang noch niemanden in der Familie im Krieg verloren."

Jetzt sah er rot. Er meinte, ich sei vorlaut und wüßte wohl nicht, wie ich mich Vorgesetzten gegenüber zu verhalten hätte. Wenn das noch einmal vorkommt, dann würde er mir Beine machen. Ich würde schon sehen und spüren, was dann passiert.

Ich konnte abtreten und wieder an meinen Arbeitsplatz gehen.

Als ich nach Hause kam, war Mutti auch gerade heimgekommen. Ich erzählte ihr sofort alles, was sich bei den Junkers-Werken zugetragen hatte. Mutti sah mich an, nahm mich sofort in den Arm und weinte bitterlich. Schluchzend sagte sie: "Kind, Liebes, halte dich bitte von allem zurück. Du bist so naiv. Du kennst die Machenschaften der Mächtigen nicht. Wir haben Krieg und es gelten Bestimmungen, die wir befolgen müssen, sonst ist man weg vom Fenster. Ich habe richtig Angst um dich. Bitte, versprich mir, dich von allem zurückzuhalten. Sei freundlich zu allen, mach deine Arbeit, aber ansonsten stell dich dumm."

Ich versprach Mutti hoch und heilig, mich zurückzuhalten. Sie sollte sich um mich keine Sorgen machen. Sie hatte es schwer genug, den Alltag mit uns, Omi, Klein-Sigrid, und mir zu meistern. Und ganz sicher dachte sie auch öfter an meinen Bruder, ihre Sohn, der da irgendwo an der Front sein mußte.

Der Meister nahm mich am nächsten Tag heimlich, still und leise zur Seite und sagte: "Mädel, es will dir jemand etwas am Zeuge flicken. Du bist angeschwärzt worden. Mit dem Franzosen habe ich geredet. Der möchte auf keinen Fall, daß dir etwas geschieht, ich auch nicht. Reiß dich zusammen und kümmere dich um gar nichts nicht, nur um diene Arbeit."

Ich bedankte mich bei dem Meister, denn ich wußte, er meint es ehrlich und gut mit mir.

So verlief diese Dienstverpflichtung bis zum Ende weiter ohne Zwischenfälle. Gern ging ich zwar nicht mehr hin, aber ich mußte ja meine Pflicht tun.

Als das Werk später (1944) nach Dessau verlegt wurde, lag ich mit hohem Fieber im Bett und nahm aus diesem Grunde am Umzug nicht teil. Ein ärztliches Attest meinerseits lag der Firma vor. Ich wollte mir auf gar keinen Fall Unannehmlichkeiten einhandeln.

Im Krankenstand hatte ich Zeit, öfter Radio zu hören. In Hamburg hatte ein besonders starker Bombenhagel der Engländer und Amerikaner große Verluste hervorgerufen. Mir taten die Leute so leid. Auch an unsere Soldaten dachte ich. Immer wieder schickte ich Feldpostbriefe, schickte Päckchen. Sie waren alle so dankbar für jede Zeile aus der Heimat.

Mein Bruder wurde verwundet und lag im Lazarett in Deutschland. Nach der Genesung kam er nach Dänemark. Darüber waren wir sehr froh.

Wir Breslauer glaubten immer noch nicht, daß unserer Stadt etwas zustoßen würde.

lo