> Dieter Schmitt: Kriegserinnerung 1944/1945

Dieter Schmitt: Kriegserinnerung 1944/1945

Dieser Beitrag stammt von Dieter Schmitt (*1941) aus Lübeck., 06.06.2000.


Name: Dieter Schmitt, geb. 1941 in Lübeck
Bruder 3 Jahre älter, Vater Berufssoldat, Mutter Hausfrau
Wohnort: 1941-1943 Lübeck
Wohnort: 1943-1951 (bis Januar 1951 Köthen-Klepzig, Sachsen-Anhalt)
Wohnort: ab 1951 (05. Januar) Lübeck

Meine Kindheitserinnerungen für die Kriegsjahre beginnen erst 1944 und sind sehr dürftig; aus dem Nebel der Erinnerungen kristallisieren sich jedoch folgende Begebenheiten klar und deutlich:

20. Juli 1944: Mein Bruder und ich sind auf dem Rückweg von einem Gutshof, welcher ca. 500m von unserer Wohnung entfernt liegt. Auf der Hälfte der Strecke fingen plötzlich die Luftschutzsirenen an zu heulen. Wir begannen zu laufen und erreichten noch rechtzeitig die Wohnung.

Ich sehe mich in unserem Keller, mein Vater steht in einer Kartoffelkiste direkt vor einem Kellerfenster. Plötzlich ein wahnsinniger Krach; eine Druckwelle wirft meinen Vater aus der Kartoffelkiste; eine Bombe ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite niedergegangen und hat, wie ich später sah, ein Wohnhaus total zerstört.

Etwas später: Ich stehe in der geöffneten Hauseingangstür und sehe in den von allen Seiten geschlossenen Haushof. Es öffnet sich das Hoftor und ein paar Leute tragen eine Bahre hinein. Für mich erkennbar war nur ein roter Haarschopf. Plötzlich rief eine Frauenstimme: "Das ist ja Dieter" (meine Haarfarbe war kastanienbraun). In der allgemeinen Aufregung dauerte es etwas, bis man mich bemerkte (ich selbst hatte mich nicht bemerkbar gemacht) und der Irrtum sich herausstellte. Irgendwann erfuhr ich, daß es sich um ein kleines Mädchen in meinem Alter handelte, welches tot aus den Trümmer des kurz vorher zerbombten Hauses geborgen worden war.

Wegen der vermehrten Bombenangriffe fuhr meine Mutter mit meinem Bruder und mir auf einem Fahrrad zu einer ein paar Kilometer entfernt liegenden, auf einem Feld freistehenden Mühle. Der Weg führte über eine von beiden Seiten von Obstbäumen bewachsene Landstraße. Plötzlich lag ein Brummen in der Luft, welches - je näher es kam - in ein Pfeifen überging. Über den Baumkronen wurde der Schatten eines Flugzeuges erkennbar. Das Flugzeug zu hören und zu sehen, mit dem Fahrrad in einem neben der Straße verlaufenden Graben zu fahren und abzusteigen (mehr fallen), war eins. Gleichzeitig begann das Bordmaschinengewehr an zu schießen; die Bäume und der Graben, in dem wir geduckt lagen, verschonte uns vor dem Kugelhagel.

Ein weiteres Erlebnis aus der Kriegszeit ist mir haften geblieben:
Meine Großmutter wohnte in einer Kleinstadt ca. 30 km von Berlin entfernt. Über diese Stadt bewegten sich in den letzten Kriegsmonaten die Bombergeschwader der Alliierten in Richtung Berlin. Fliegeralarm war an der Tagesordnung. Auf dem Grundstück meiner Großmutter lag ihr Einfamilienhaus und ihr an der Straße gelegenes Mietshaus. Hofseitig lagen die Eingänge der Häuser, ca. 15 m voneinander getrennt. Wegen Krankheit lag ich zu Bett; es war Abend und dunkel, als mal wieder die Luftschutzsirenen heulten. Unter dem Haus meiner Großmutter befand sich kein Keller, jedoch der Keller unter dem Mietshaus wurde als Luftschutzkeller von allen genutzt.

Während des Luftalarms zog man mich an, meine Großmutter mahnte zur Eile, da die Flugzeuge bereits über uns waren und Bombeneinschläge zu hören waren. Nachdem endlich auch mein kleiner"Notkoffer" zur Hand war, ging es im Eilschritt über den Hof in den Keller. Erkennen konnte ich einen stemklaren Himmel, der von zig "Weihnachtsbäumen" beleuchtet war. Wir erreichten gerade die Kellertür innerhalb des Hauses als eine Druckwelle uns erfaßte und wir mehr oder weniger die Kellertreppe hinabstürzten.

An ernsthafte Verletzte durch den Sturz kann ich mich nicht erinnern.

Von der Kriegszeit blieben mir im Gedächtnis:
Brennende Asphaltstraßen (Berlin);
Bombentrichter, in denen rote Bettbezüge (Inlett) lagen und von mir als Kind als "rotes und blutiges Etwas" angesehen wurde und mir Furcht einflößte; der Ton der Luftschutzsirene; natürlich die Hausruinen, zerbombte Bunker, Soldaten in verschiedenen Uniformen, Panzer, abgestürzte Flugzeuge.
Von alledem wird auch heute noch von mir mit Unbehagen registriert: Luftschutzsirenen und das "rote blutige Etwas".

lo