> Dorothea Günther: Erste Erfahrungen mit Nazis 1932

Dorothea Günther: Erste Erfahrungen mit Nazis 1932

Dieser Eintrag stammt von Dorothea Günther (*1914) aus Berlin, Juni 2010:

Seit 1932 arbeitete ich in einer Kaffee- und Tee-Importfirma mit Sitz am Bahnhof Börse, nicht weit entfernt vom Alexanderplatz. Einer der dort angestellten Kaffeefahrer war besonders unsympathisch. Nicht nur, dass er in seiner frechen und ordinären Art mich wegen falscher Adressen ständig "auf dem Kieker" hatte, er war auch noch SA-Mann, der erste, mit dem ich in Berührung kam. Mit sadistischer Lust berichtete er von Saalschlachten und wie die SA dabei die Gegner fertiggemacht und niedergeknüppelt hätte. Durch ihn wurde ich zum ersten Mal im Leben mit Judenhass und Judenhetze konfrontiert, gab dem allerdings nicht den richtigen Stellenwert. In den Tagen nach der Machtübernahme 1933 schnappte er völlig über. Er stampfte mit seinen schweren Stiefeln durch den Lagerraum und fühlte sich als Herrenmensch. Unentwegt berieselte er uns mit seinen Zukunftsvorstellungen - wahren Horrorvisionen. Leider wurden sie schon bald tragische Wirklichkeit. Dieser Mensch in seiner prahlerischen Dummheit und Freude an Brutalität wurde für mich zum Sinnbild der SA. Imponiert hat mir unser junger Chef, als er den SA-Mann anbrüllte und ihm klarmachte, dass er vor allem die Pflichten der Firma gegenüber zu erfüllen habe.

Auch im privaten Bereich tauchten in dieser Zeit die ersten Nazis auf. Wenn einer unserer nazistischen Verwandten bei uns zu Besuch war, verbreitete er permanent seine Lob- und Werbereden für die "neue Bewegung". Keiner widersprach, man ließ ihn reden und schaute gelangweilt zur Decke, hoffend, dass er es diesmal kurz machen würde. Uns interessierten die Nazis nicht. Mit der Zeit wurden die politischen Aufklärungsattacken immer heftiger, der Blick zur Decke wurde intensiver und im Nu war die Stimmung eines festlichen Nachmittags verdorben. Es ließ sich nicht übersehen, wir lebten in politisch angespannter Zeit.

Auch Rudi, einer meiner Tanzstundenjünglinge entpuppte sich im Winter 1932 als Hitleranhänger und SA-Mann. Sein Vater hatte ihn, nachdem er in der Schule versagt und auch wohl sonst einige Dummheiten angestellt hatte, aufs Land abgeschoben. Zu meinem Entsetzen holte er bei einem Alpenfest im Berliner Lehrervereinshaus eine richtige Pistole heraus und spielte damit herum. Hitler und Goebbels waren seine Idole, die SA ersetzte ihm die Familie, sie war seine Heimat. Rudi nahm an allen großen SA-Treffen und Aufmärschen teil. Als er einmal von Goebbels wegen irgendwelcher Heldentaten ausgezeichnet werden sollte, brach er ohnmächtig zusammen, ehe der ihm die Hand drücken konnte. Ich habe mich diebisch darüber gefreut.

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