> Dorothea Günther: Mein Dienst im Auswärtigen Amt ab 1941

Dorothea Günther: Mein Dienst im Auswärtigen Amt ab 1941

Dieser Eintrag stammt von Dorothea Günther (*1914) aus Berlin, Juni 2010:

/lemo/bestand/objekt/guenther09 Ab Frühjahr 1941 arbeitete ich in der englischen Abteilung des Sprachendienstes des Auswärtigen Amtes (AA). Meine Arbeit dort wurde die beste Tätigkeit, die ich je hatte. Acht englische Mitarbeiter gehörten der Abteilung an. Diese Engländer waren aus Internierungslagern ausgewählt und für die Deutschen verpflichtet worden. Es gab darunter Journalisten, Auslandskorrespondenten und auch einen Hochschulprofessor. Natürlich waren sie als Zwangsverpflichtete nur widerwillig nach Berlin gekommen, aber versöhnlich stimmte sie, dass sie als freie Menschen in der Stadt leben konnten. Zwischen ihnen und mir entwickelte sich allmählich eine recht harmonische Beziehung.

Unser oberster Chef war der Gesandte Dr. Paul Schmidt. Die Dienstzeiten im Sprachendienst des AA wurden sehr großzügig gehandhabt, von 9.30 bis gegen 13 Uhr und von 15 bis 17.30 Uhr. Die Engländer, die nur von dem lebten, was sie auf ihre Lebensmittelmarken bekamen, waren schlecht dran, darum gab mir Mutter zur Herbstzeit immer wieder Obst für sie mit. Allerdings bekamen sie wöchentlich auch ein Rot-Kreuz-Päckchen, das u. a. Tabakwaren enthielt. Die meisten von ihnen rauchten Pfeife, entsprechend köstlich roch es in unserer Zimmerflucht.

Jeden Morgen fand ich auf meinem Schreitisch zwei dicke geheftete Bücher vor. Sie enthielten alle am Vortag aufgezeichneten Rundfunksendungen der sogenannten Feindsender wie BBC, Soldatenfunk Calais etc. Wir bekamen also genau jene begehrten Sendungen frei Haus geliefert, für die Tausende von Deutschen ihr Leben riskierten, wenn sie zu Hause - unter einer Decke verkrochen - heimlich diese Sender hörten, um Klarheit über die tatsächliche militärische Lage zu bekommen. Wir sollten diese Berichte zu sprachwissenschaftlichen Zwecken studieren, was wir sehr gründlich taten. Die englischen Mitarbeiter stürzten sich wie die Raben auf die Berichte. Ich wundere mich bis heute, warum die Nazis so handelten. Sie hätten sich doch denken können, mit welch großem Interesse jeder die Berichte aufnahm! Kaum jemand glaubte in den letzten Kriegsjahren doch noch an die offiziell verbreitete Lügenpropaganda des Wehrmachtsberichts.

Führerreden brachten stets einen ungeheuren Wirbel mit sich. Bereits 12 Stunden vorher gingen wir in Klausur, die gesamte vierte Etage des Adlon wurde für den Sprachendienst beschlagnahmt und von der Außenwelt abgeschottet. Die Reden wurden im Vorhinein in etliche Sprachen übersetzt, um bereits Übersetzungen in alle Welt senden zu können, während Hitler die Rede hielt. Bei diesen Nachteinsätzen wurden wir "friedensmäßig" und nach Art des Hauses Adlon verpflegt.

Die Übersetzung der Hitler-Reden wurde nicht nur sorgfältig überprüft, sondern Wort für Wort gründlich diskutiert. Die Entscheidung über die treffendste Formulierung musste manchmal von Dr. Paul Schmidt, dem Chefdolmetscher der Regierung, persönlich gefällt werden. Einmal hieß es bei Hitler voll Pathos: "Dieser blutige Krieg..." Mit unschuldsvoller Miene übersetzten die Engländer: "This bloody war...", was "dieser Scheißkrieg" bedeutet.

Später lebte ich mit einem Teil der englischen Mitarbeitergruppe wochenlang im Adlon gelebt zwecks Übersetzung von Weißbüchern über russische Gräueltaten im Krieg. Das Leben im Adlon mit seiner besonderen Atmosphäre und seinen Annehmlichkeiten wurde mir fast zur Selbstverständlichkeit. Mein geräumiges Doppelzimmer diente gleichzeitig als Sekretariat. Im Weinkeller des Adlon war stets französischer Rotwein vorrätig, und so lebten wir mitten im Krieg tatsächlich wie der Herrgott in Frankreich.

Seit 1943 tobte dann der Luftkrieg fürchterlich über Deutschland. Nacht für Nacht rasten wir in den Keller, manchmal sogar zweimal. Wenn mein Mann und ich morgens auseinander gingen, wussten wir nicht, ob wir uns abends wieder sehen würden. Während die Engländer die Nachtangriffe besorgten, hatten die Amerikaner mit ihren "fliegenden Festungen" die Angriffe bei Tag übernommen. Berlin wurde zum Hauptangriffsziel. Wenn wir morgens mit der S-Bahn von Potsdam nach Berlin fuhren, sahen wir täglich die neuen Schäden und die noch wütenden Brände. Trotz des wenigen Schlafs taten wir alle unbeirrt weiter unseren Dienst und leisteten, was verlangt wurde - so als ob jeder in sich den Befehl trüge, tapfer zu sein und durchzuhalten.

Mürbe geworden durch die Bombenangriffe, sehnten wir ein baldiges Ende des Krieges immer intensiver herbei. Wir hofften auf einen gewaltigen Angriff der Alliierten und uns war klar, dass im Westen eine Invasion stattfinden würde. Endlich, Anfang Juni 1944, war es soweit. Eines Mittags, ich war gerade dabei, die Küche aufzuwischen, hörte ich die Nachricht im Radio. Fassungslos, den Scheuerlappen immer noch in der Hand, starrte ich auf das Radio. Dann begriff ich und jubelte laut. Welch ein Aufruhr der Gefühle! Einerseits Freude und Zuversicht, andererseits Beschämung darüber, dass ich die deutsche Niederlage herbeiwünschte. Übrigens wollte uns die Nazi-Propaganda weiß machen, dass die Invasion ein Glücksfall sei, weil man nun die landenden Truppen besiegen könne. Wie haben wir gezittert, ob die Landung überhaupt gelingen würde!

Der 20. Juli 1944 stürzte uns in große Aufregung und Entsetzen. Nur allmählich erfuhren wir aus dem Radio Einzelheiten über das Attentat auf Hitler, selbst BBC war an diesem Abend nicht sehr ergiebig. Zunächst konnten und wollten wir nicht glauben, dass es missglückt war, und hielten die Nachrichten für eine Finte zur Beruhigung des Volkes. Enttäuscht mussten wir dann zur Kenntnis nehmen, dass Hitler doch noch am Leben war. Wir hörten seine Stimme aus dem Radio. Unbegreiflich schien uns dieses Misslingen, hatten doch Männer mit Kriegserfahrungen das Attentat geplant! Wir alle waren schrecklich niedergeschlagen. Nur die Engländer im Auswärtigen Amt wurden immer fröhlicher und optimistischer, und das mit Recht!

Im Januar 1945 endete meine Arbeit beim AA. Meine Abteilung wurde weitgehend aufgelöst, der Rest des Sprachendienstes siedelte über ins Riesengebirge nach Krumhübel. Gehalt bekam ich für sechs Monate im Voraus. Das konnte mich allerdings kaum freuen, denn es gab für das Geld fast nichts mehr zu kaufen.

lo