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Edith Graepel: Keine Angst mehr

Dieser Eintrag stammt von Edith Graepel aus Hamburg, Juli 2002:

Am Ende des Krieges lebte ich mit meiner Mutter und zwei Schwestern am Grindelhof/Ecke Dillstraße, gegenüber der ehemaligen jüdischen Talmud-Thora-Schule, die zu der Zeit als pädagogisches Seminar genutzt wurde.

Ich habe keine genaue Erinnerung an den Zeitpunkt vom Einzug der englischen Truppen. Meine Mutter hatte von der Übergabe Hamburgs im Radio gehört und daß Ausgangssperre befohlen war. Gegenüber von unserem Haus, im Vorgarten der Talmud-Thora-Schule, standen plötzlich mehrere englische Panzer, deren Geschützrohre auf unser Haus gerichtet waren, was auf uns bedrohlich wirkte. Wir trauten uns nur durch die Gardinen nach draußen zu sehen.

Stundenweise wurde die Ausgangssperre aufgehoben, was die Kinder voller Vertrauen und Neugier nutzten, um auf die Panzer zuzugehen. Die Soldaten verteilten ihre Cadbury-Schokolade, Weißbrot und Kaugummi an die Kinderschar. Ganz allmählich trauten sich auch Erwachsene, um mit ihrem Schulenglisch ins Gespräch zu kommen.

Ein paar Tage später kam ich mit meinen beiden Schwestern an der Johanniskirche am Mittelweg vorbei, aus der Orgelmusik erklang. Wir gingen hinein und sahen, daß ein junger Engländer die Orgel spielte. Wir hörten aufmerksam zu und vergaßen die Zeit. Plötzlich merkten wir, daß schon Sperrstunde war! Die Soldaten hatten uns beobachtet und bemerkten unsere Panik - wie kommen wir nach Hause? Die Engländer kamen von der Empore herunter zu uns, lächelten und boten uns ihre Begleitung an.

Von da an hatte ich keine Angst mehr. Es waren nicht mehr meine Feinde.

lo