> Edith Stampe: Pflichtjahr 1944

Edith Stampe: Pflichtjahr 1944

Dieser Eintrag stammt von Edith Stampe (*1930) aus Hamburg, April 2001:

Bevor man eine Lehre antreten konnte, wenn man dann eine bekam, mußte man nach der Schulentlassung das sogenannte Pflichtjahr absolvieren. Mein Vater meinte, da er Mecklenburger war, auf dem Lande wäre das Richtige für mich. Seine Schwester besorgte mir dann eine Stelle in Meyenburg/Ost-Prignitz auf einem kleineren Bauernhof. Mein Zimmer war klein und kalt, ich war 14 Jahre und kannte solche Arbeiten auf dem Bauernhof ja gar nicht.

Meine Mutter brachte mich dort hin und wurde als erstes gefragt, ob der französische Fremdarbeiter bei uns mit am Tisch sitzen durfte, das mußten die Bauersleute fragen, meine Mutter antwortete natürlich darf er das. Dann kam später noch eine Arbeitsmaid hinzu, die wollte das nicht. Dann hat der Mann alleine an der Kommode gesessen um zu essen, das konnte er gar nicht und dann hat er geweint. Er kam aus Lyon und hatte Frau und Sohn in der Heimat. Die Bauersleute konnten es aber nicht ändern, denn sonst hätte die Arbeitsmaid sie angezeigt. So waren damals die Zeiten, ich denke, heute kann das keiner mehr nachvollziehen.

Ich mußte morgens um 5.00 Uhr aufstehen dann mußte ich für die Schweine Kartoffeln kochen, danach mußte ich die Gänse und Schafe auf die Weide bringen, dann hauten mir die Gänse ab in den Graben, was sollte ich tun ? Zuerst habe ich dann die Schafe ins Gatter gebracht, dann habe ich Schuhe und Strümpfe ausgezogen und bin hinter den Gänsen hergewesen, um sie wieder aus dem Graben zu bekommen.

Am wohlstens fühlte ich mich, wenn ich mit dem Bauern, der zu Hause nicht viel zu sagen hatte, auf's Feld fahren konnte und Dung streuen. Das Schönste war dann die Pause und ich setzte mich mit dem Bauern und es gab ein Schinkenbrot - 1944 eine einmalige Delikatesse, denn Hunger hatten wir immer, dazu gab es aus dem Kaffeetank (das war eine Blechbüchse) einen Schluck Kaffeeersatz.

Ach ja und dann das Melken, ehe ich das intus hatte, das hat gedauert, irgendwann war der Eimer dann doch voll und der Schwanz der Kuh kam mit voller Wucht und die Hälfte Milch landete im Stroh. Da die Bauersfrau aber ein "Raubtier" war, habe ich es nicht gesagt, aber sie schimpfte und wunderte sich naturlich, weil das Quantum welches sie abliefern mußte, nicht stimmte, sie mußte ja eine bestimmte Menge abgeben. Der Andree (der Franzose), mit dem ich mich gut vertrug und der ja nicht wußte, daß das Pflichtjahr - wie schon das Wort sagt - Pflicht war, sagte dann zu mir, wenn "Madam bub-bub - du zurück Hamburg".

Ja, wenn das so leicht gewesen wäre.

Abends fiel ich um 22.00 Uhr totmüde ins Bett. Ich konnte nicht mal meine Schuhe zum Schuster bringen, nie hatte ich Zeit für mich und dann machte die Bauersfrau einen Fehler, sie ließ mich Pfingsten nach Hause fahren und ich sagte zu meiner Mutter, gehe bitte mit mir zum Arbeitsamt, damit ich was anderes finde, da gehe ich nicht wieder hin. Wider Erwarten klappte es und mein Vater fuhr mit mir hin um meine Sachen zu holen, sie wurden einfach auf den Hof geschmissen und wir fuhren denselben Tag nach Hause, wo unser Zug bei Schwerin von Tieffliegern angegriffen wurde.

Den Rest des Pflichtjahres habe ich dann bei einer Familie mit 3 Kindern in Steenkamp gemacht, da ging ich morgens hin und abends konnte ich wieder nach Hause gehen.

lo