> Erika Herzog: Alltag in Dresden in der Weimarer Republik

Erika Herzog: Alltag in Dresden in der Weimarer Republik

Dieser Eintrag stammt von Erika Herzog (*1909) aus Wuppertal, 31.05.2002:

Ich hab 'ne schöne Schulzeit erlebt, weil man eben in Dresden alles machen konnte. Man sah viel, wir wurden ins Schauspielhaus geführt und der Zirkus Sarrassani war dort. Ich kam auch mal in die Oper, aber erst als ich in der Berufsschule war. Da hab ich Mund und Nase aufgesperrt, die schönen Säulen, alles echt Marmor, das hatte ich vorher noch nie gesehen.

Da ich sehr sportlich war, hat mich mein Vater im Sportverein Dresdenia angemeldet. Er lag nicht weit von unserer Wohnung entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich spielte Handball, machte Leichtathletik und bekam sogar in der Jugendmannschaft im Speerwerfen und im 1500 m-Lauf eine Auszeichnung. Wir hatten in der Woche zwei- bis dreimal am frühen Abend Training. Handball spielten wir gegen die Mannschaften der umliegenden Städte, z.B. Meißen, Bautzen, Pirna, Radeberg und Radeburg. Damals war ich etwa 16 Jahre alt. An eine Begebenheit aus meiner Zeit im Sportverein kann ich mich noch gut erinnern. Ich hatte mir auf der Fußsohle eine Vergiftung zugezogen und hatte eine ganz große schwarze Blase. Mein Vater sagte: "Du gehst heute nicht zum Handballspielen." Aber der Trotzkopf ist eben doch gegangen. Ich hab gespielt trotz Schmerzen, kam nach Hause und konnte nicht mehr auftreten. Da sind wir, mein Vater und ich, sonntags noch runter zu unserem Nachbarn, dem Doktor, gegangen. Er nahm uns mit rein in seine Wohnung und hat im Salon die Blase aufgeschnitten.

Meine Konfirmation war 1924 in der Frauenkirche. Ich hatte von meiner ältesten Stiefschwester Meta ein Kleid an, das wunderbar umgeändert worden war. Wir mußten alle dunkel gehen, schwarz oder blau. Es war ein Kasackkleid mit Kurbelstickerei. Da meine Schwester bei Alsberg als Einkäuferin beschäftigt war, ging sie immer schick und modern. Ich trug hohe Schnürstiefel, die man damals hatte. Das einzige Neue war eine große schwarze Schleife, mit der ich meine Haare gebunden hatte. Damals feierte man keine großen Feste, wie heute bei Konfirmationen. Die Feier wurde im Haus abgehalten. Meine ältere Schwester Lotte (geb. 1901) hatte einen herrlichen Kartoffelsalat gemacht, der von meiner Patentante Müller aus Zacharode sehr gelobt wurde. Was es dazu gab, das weiß ich nicht mehr. Es war bescheiden, aber gemütlich.

Trotz der Armut wurde an bestimmten Traditionen festgehalten, zum Beispiel am Stollenbacken zur Vorweihnachtszeit. Selbst die ärmeren Leute hatten einen Dresdner Christstollen. Auch in der schweren Zeit wollten die Eltern auf den Stollen nicht verzichten. Dann war er vielleicht nicht mit guter Butter gemacht, aber uns schmeckte er trotzdem. Frühmorgens um sechs ging man schon zum Bäcker, nachdem zu Hause alles vorbereitet und die Rosinen gewaschen worden waren. Der Bäcker hatte eine große Backstube. Wir lieferten die Zutaten ab und konnten mit dabeibleiben während gebacken wurde. Der Hefeteig wurde in großen Mulden zubereitet. Dann kam der Teig in den Ofen. Ich kann mich entsinnen, dass es einen zweiten Raum gab, in dem die Frauen gesessen und gestrickt und geflickt und gewartet haben, bis der Stollen fertig war. Dann haben wir ihn nach Hause getragen und wehe, wenn er kaputt ging. Wenn das passierte, hat die Mutter geweint, weil es dann hieß, daß jemand in der Familie sterben würde. Also, bei uns ist niemand gestorben, obwohl der Stollen auch schon mal gebrochen war. Man hing ja an so alten Gebräuchen!

Als ich 1926 aus der Schule kam, habe ich Verkäuferin gelernt bei Moritz Junior, einem jüdischen Geschäft. Der Inhaber, ein gewisser Herr Peukert war ein Schüler von meinem Onkel, der in Meißen an der Triebichtalschule Oberlehrer war. Dazumal kriegte man ja schon keine Stellung mehr. Mein Onkel hat den Herrn Peukert einmal getroffen und hat ihn gefragt, ob er nicht eine Stellung frei hätte. Und dann hab ich dort gelernt, drei Jahre lang und das war auch eine sehr schöne Zeit. Die Prokuristin war sehr gewissenhaft und wie das früher war, auch streng. Wenn die großen Bälle von der Akademie oder der Opernball stattfanden, kamen die Damen sogar bis von Berlin zu uns. Sie kauften für ihre Abendkleider in der Abteilung, in der ich arbeitete, Blumen und Ranken oder dergleichen, die wir dann annähen mußten. Käthe Haag aus Berlin und andere berühmte Schauspielerinnen hab ich da gesehen.

Der Kurt (Anm.: älterer Bruder, geb. 1905) hatte auch Glück mit seiner Ausbildung. Schon als Schuljunge verdiente er gerne Geld. Nicht weit von uns war das große Operettentheater, das Residenztheater. Für den Inhaber, einen alleinstehenden Herrn, der auf derselben Straße wie wir wohnte, ging der Kurt immer Essen holen. Zusätzlich hat er noch im Residenztheater Staub gewischt. Kurt hat sich immer Geld verdient. In der Schule muß er auch nicht dumm gewesen sein, der Rektor hat sich dann für ihn eingesetzt, als er 1922 aus der Schule kam. Das war ja eine schlechte Zeit, Inflation, ganz mies. Der Rektor hat ihn in der Dresdner Bank untergebracht, wo der Kurt Bankkaufmann lernte. Er ist dann auch auf die Beamtenschule gegangen. Während der Inflation gab es ja nicht viel. Nachmittags stand ich manchmal mit meiner Mutter vor der Dresdner Bank, ich hatte ein Säckchen genäht, und wir haben dann das Geld abgeholt, das der Kurt kriegte, die wurden ja täglich ausbezahlt. Wir sind gerannt, dass wir überhaupt noch ein Brot bekamen für das Geld, weil es am nächsten Tag ja schon nicht mehr den Wert hatte.

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