> Ernst Hass: Von sowas will keiner mehr etwas wissen

Ernst Hass: Von sowas will keiner mehr etwas wissen!

Dieser Eintrag stammt von Ernst Hass () aus Hamburg , :

Diese Geschichte, die ich nun erzählen will, beruht auf Wahrheit. In Gedenken an Charly! Man erzählt ja nicht gerne von Kriegserlebnissen, wenn sie traurig abgelaufen sind. Doch nun will ich sie erst mal erzählen.

Ich habe ja viel über meine Seefahrtszeit bei der Handelsmarine und auch bei der Kriegsmarine geschrieben, aber das waren immer lustige Geschichten gewesen. Aber bei der Seefahrt ging es nicht immer lustig zu, und vor allen Dingen nicht im 2. Weltkrieg.

Im Frühjahr 1943 bin ich auf einem Blockadebrecher im Mittelmeer gefahren. Bei der KMD Kriegsmarine Dienststelle als Bootsmann. Dieses Mal will ich die Wahrheit erzählen, wie sich ein Mensch verhält, wenn er in Lebensgefahr ist. Ob man mir das abnimmt oder nicht, ist mir egal, aber es ist die Wahrheit. Ich habe große Männer gesehen, die noch ein größeres Mundwerk hatten. Aber als wir torpediert wurden, haben sie auf den Knien gelegen und unseren Herrgott um Hilfe gebeten. Die Tränen sind ihnen über das Gesicht gelaufen und sie haben gejammert, statt sich eine Schwimmweste zu suchen und umzubinden. Andere haben still in der Ecke gesessen und konnten sich vor Angst nicht bewegen und vor Angst auch nicht helfen, ein Boot oder Floß mit ins Wasser zu lassen, wenn das Schiff am Sinken ist. Andere hatten eine Schwimmweste, aber keinen Mut, in das kalte und bewegte Wasser zu springen, oder zu jumpen, wie es die Seeleute sagen. Gewiß die Chance, daß man überlebt, ist klein. Aber im Wasser ist ein Strohhalm ein Riesenbalken. Auch im Wasser haben sie noch auf uns geschossen, wenn wir Pech hatten.

Wir hatten zwei Torpedos bekommen, bei Luke eins und Luke fünf hat man mir gesagt. Beide Luken waren voll Flugzeugbenzin in Fässern. Könnt Ihr Euch vorstellen, was das für ein Bums und Feuerwerk abgegeben hat? Und das alles in dunkler Nacht zwischen zwei und vier Uhr. Wir lagen im Bach, man kann nicht so schnell erzählen, wie es weiter ging. Ich hielt mich an einem Floß fest. Es war ein französisches Floß aus Blech und da kamen noch immer ein paar angeschwommen.

Als wir uns besonnen hatten, stellte ich fest, daß unser Floß nur 12 Mann tragen konnte, wir waren aber 18 Mann! Wir mußten im Wasser bleiben und uns an den Haltetauen festhalten. Drei Mann mußten abwechselnd neben dem Boot schwimmen. Ich bin geschwommen, weil ich eine Fliegerschwimmweste unter meinem Zeug hatte. Die hatte ich auf Sardinien gegen Zigaretten getauscht. Einer, der nebenher schwamm, ist mit einem Mal fort. Also abgesoffen! Ein Anderer ist auf eine Kabinentür übergestiegen, die vorbeitrieb. Wir sind immer noch 16 Mann, also drei zuviel. Ich zähle mich nicht mit, ich habe ja meine eigene Schwimmweste. Das Wasser ist verdammt kalt. Ich hatte mich mit einer kleinen Leine an das Floß gebunden, damit ich bei meinen Leuten blieb. Die Schwimmer sind müde und steif geworden. Zwei sackten wieder weg. Nun ist noch einer zuviel!

Unser ältester ist Charly, der Oberheizer. Er konnte nicht schwimmen und war 62 Jahre alt. Er hatte sich freiwillig zur Blockadebrecherfahrt gemeldet. Er hatte seine Familie bei dem Angriff auf Hamburg verloren. Diesen Oberheizer Charly habe ich nicht vergessen. Wir hatten Windstärke 4, was ich so schätzen konnte und wer nicht schwimmen kann, geht wie ein Stein in den Grund. Der Matrose mit seiner Tür ist nicht mehr zu sehen. Ich schreie den Leuten zu, sich zu bewegen, damit sie nicht steif werden. Rasmus hat sich nun schon vier Mann geholt und das Wasser ist verdammt kalt.

Wir sind immer noch zu viele und liegen schon drei Stunden im Wasser, denn die Uhr geht auf 7 zu und Hilfe ist nicht zu sehen. "Wir müssen abstimmen", rufe ich, "Charly ist der Älteste." Er sagt mit leiser Stimme: "Nein, nicht ich, der Bootsmann hat das Sagen." Du lieber Gott, steh' mir bei und helfe mir. Und er hat mir geholfen. Am Floß hingen 13 Menschen. Bei unserem Palaver sind wir gar nicht gewahr geworden, daß unser Floß ein paar Zentimeter höher aus dem Wasser heraus gekommen ist. Dann hieß es mit einem Male: Charly, unser Oberheizer ist weg!

Später habe ich gehört, daß Charly zu seinem Nebenmann gesagt hat: "Ich bin alt und habe keinen Menschen mehr auf der Welt. Hoffentlich kommt ihr alle an Land." Dann hat er sich losgelassen. So ist das gewesen, wie Krischan Niemeyer mir das später an Land erzählte.

Aber mir und den Anderen ist das Wasser in die Augen geschossen. Charly hat sich für uns geopfert. Eigenartigerweise wurde die See schlagartig ruhiger. Einer meinte, auch das haben wir Charly zu verdanken.

Gegen 10 Uhr hat uns ein italienischer ARADO entdeckt und eine Stunde später hat uns ein Schnellboot aus dem verfluchten Wasser gezogen. Es war auch höchste Zeit. Das Boot hatte Wolldecken, Bier und Wein an Bord. Als wir an Land kamen, waren die meisten betrunken. Einige schon wieder am Lachen, weil wir dieses Mal wieder Glück gehabt hatten. Ich hatte mit tüchtig einen auf die "Lampe gekippt", weil ich an Charly denken mußte. Mir ist jetzt wohler, nachdem ich mir diese Geschichte vom Herzen geschrieben habe. Charly ist auf die große Reise gegangen, hat aber ein Dutzend Menschenleben gerettet. Eine Rettungsmedaille hat er aber nicht bekommen.

Das sind Geschichten, die das Leben geschrieben hat. Aber solche Geschichten, die mit dem Krieg zu tun haben, will keiner mehr hören.

lo