> Florentine Brendecke: Ein mintgrünes Kostüm

Florentine Brendecke: Ein mintgrünes Kostüm

Dieser Eintrag stammt von Florentine Brendecke (*1929) aus Henstedt-Ulzburg, August 2002:

April 1945. die gewaltige Fluchtwelle aus Ostpreußen hatte mich nach Hamburg getrieben. Ich war 15 Jahre alt. Ohne Familie, untergebracht in einer Schule, in einem großen Raum, zusammen mit vielen Menschen. Meine neue Bleibe war ein doppelstöckiges Bett, ausgestattet mit einem Strohsack und einer Wolldecke. Mein ganzer Besitz steckte in einem Rucksack und dem, was ich am Leibe trug.

Mein schönstes Kleidungsstück, das die Flucht überstanden hatte, war ein Kostüm aus mintgrünem Tuch. Es war noch kurz vor der Flucht fertig geworden, und sollte mich, während meiner Ausbildung zur Verkäuferin, gut kleiden. Den Stoff hatte mein Vater während des Krieges von irgendwoher geschickt. Das schönste an dem Kostüm war der Faltenrock. Wenn's niemand sah, drehte ich mich um mich selbst wie ein Kind, und träumte, ich sei in dem schwingenden Rock eine Tänzerin.

Im Bett unter mir lag eine Frau. Sie fragte mich, ob ich ihr für einen Tag mein Kostüm leihen würde. Sie müsse zu einer Beerdigung. Ich bekäme solange ihr Kostüm. Es war dunkelbraun, mit geradem Rock. An den Knopfleisten war der Stoff abgegriffen. Das Futter der Jacke kroch hinten heraus. Ich traute mich nicht, ihre Bitte abzuschlagen, hatte ich nicht gelernt, Kinder mussten gehorchen und Erwachsenen gegenüber immer hilfsbereit sein. An das Gesicht der Frau kann ich mich nicht erinnern. Auch nicht, wie alt sie war. Aber im Gedächtnis ist mir geblieben, dass sie mir, wenn sie wieder zurück sei, helfen wollte, nach meiner Familie zu suchen. (Ein Tiefflieger-Angriff unterwegs hatte mich von meiner Mutter und den beiden Schwestern getrennt.)

Wir tauschten die Kostüme. In dem hässlichen Ding fühlte ich mich nicht wohl. Es roch unangenehm. Auch wagte ich nicht zu sagen, dass ich wie eine Oma darin aussähe. Die Jacke war zu weit, der Rock zu lang. Ihre Knie hatten Beulen im Rock hinterlassen. Aber einen Tag lang wollte ich es ertragen. Die Hoffnung, dass sie mir helfen wollte, meinen Familie zu finden, war mir der Kostümtausch wert.

Es wurde Abend. Längst hätte sie zurück sein müssen. Ungeduldig starrte ich immer nur auf die Tür, die Frau kam nicht. Auch am nächsten Tag nicht. Sie kam überhaupt nicht mehr. Das mintgrüne Kostüm mit dem schwingenden Faltenrock blieb für immer verschwunden...

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