> Günter Tiemann: Ausgebombt

Günter Tiemann: Ausgebombt

Dieser Eintrag stammt von Günter Tiemann aus Hamburg (GTiem25769@aol.com), 10.02.2000:

Agnes S., 93 Jahre, und ihre Schwester Käthe, 89 Jahre, erzählen:

Im Juli 1943 wurden wir in Hamburg nicht ausgebombt, flüchteten aber nach Pinneberg zu den Schwiegereltern. Das Chaos, das Feuer, die Zerstörung, das Elend war Grund genug. Aber noch bevor sie sich auf den Weg machten, wurden von Soldaten in Drillichanzügen mit Lastwagen die Koffer, die jedermann vorbereitet haben mußte und die Wertsachen, vor allem Papiere und einige Kleidungsstücke enthielten, eingesammelt. Sie sollten in Alsterdorf in Sicherheit gebracht werden. Nur zurückbekommen haben sie die Koffer nie.

Die Aufnahme in Pinneberg war frostig, denn überall tauchten jetzt Verwandte aus Hamburg auf. Es ist nun einmal ein Unterschied, zu Besuch zu kommen oder bleiben zu wollen oder gar müssen. Im Jahre 1945 kamen aus Danzig Schwestern des Schwiegervaters und suchten gleichfalls eine Bleibe, aber da war das kleine Häuschen schon voll. Sie sind weitergezogen nach Ostfriesland. Über deren Verbleib ist nichts mehr bekannt.

Auf dem Weg nach Pinneberg, und zwar zu Fuß, explodierten immer wieder Bomben, Spätzünder, Blindgänger. Agnes' Mann, der just auf Urlaub vom Militär war, "befahl" dann immer "hinlegen!" Sie tat es nicht, sie konnte es nicht. Nur weiter, nur weg war das Ziel.

Schwester Käthe verlor in der Nachbarschaft, Gärtnerstraße, Ecke Quickbornstraße ihre Wohnung. Sie war mit ihrem dienstverpflichteten Mann am Abend zuvor im Kino gewesen. Als es "Alarm" gab, blieben sie in der Wohnung, sie dachten, es würde sicher mal wieder nicht so schlimm werden. Das war zwar bei Strafe verboten, aber im Haus gab es gar keinen Luftschutzkeller und zum Bunker war es ein Stück zu laufen.

Dann aber scheuchte sie das Geschehen aus dem Bett. Zum Bunker zu laufen hatte keinen Sinn mehr, alles brannte, alles lief durcheinander, der Feuersturm raste durch die Straßen. Jetzt galt es zu retten was noch zu retten war, da auch das eigene Haus bereits in Flammen stand. Käthes Mann holte den Hund, einen Dackel namens Strolchie, aus der Wohnung im zweiten Stock. Er wurde zu den Sachen, die man noch bei sich hatte, gesetzt. Wieder ging der Mann ins Haus, was nicht mehr ungefährlich war und kam wieder heraus, diesmal mit einer Schüssel Kartoffelsalat, sonst nichts. Der Hund lief in einem unbeobachteten Moment wieder ins Haus, er war nicht mehr zu retten.

Tochter Silke verbrachte die Sommerferien mit einer Lehrerin in Kinderheim in Niendorf an der Ostsee mit ein paar Kindern aus ihrer Klasse. Die Kinder waren darauf vorbereitet worden, ihre Eltern nicht wieder zu sehen, denn die Kunde von den Ereignissen in Hamburg sprach sich natürlich schnell herum. Um so überraschter war Silke, als ihr Vater nach umständlicher Fahrt sie abholte.

Käthe und ihre Tochter Silke suchten dann zunächst Zuflucht bei der Schwägerin, Ch.F. in Teblitz-Schönau, während der Vater wieder seinen Dienst antreten mußte. Aber in Böhmen war auch kein Bleiben, so gingen Mutter und Tochter wieder "nach Hause". In Pinneberg gab es einen Schrebergarten mit Laube. So war man wenigstens wieder beisammen, denn da war noch Käthes Mutter, die sich zu dieser Zeit für ein paar Tage im Harz aufgehalten hatte. Oma, Kriegerwitwe des Ersten Weltkriegs, gehörte mit zur Familie, hatte also gleichermassen ihre Wohnstatt verloren.

Später dann übernahm man die Wohnung von Schwester Agnes. Dort hat man bis Kriegsende wieder gemeinsam gewohnt. Da es eine "große" Wohnung war, mußte man auch andere "Ausgebombte" aufnehmen. Da lag es nahe, Bekannte in die Wohnung zu nehmen. So ein Bekannter war ein Sportsfreund von Hans T., der zudem der Sohn des Hauseigentümers war. Der hat nach dem Kriege dann auf "Eigenbedarf" klagen können. Zu dem Zeitpunkt war Hans T. bereits tödlich verunglückt auf einer Baustelle. So zog die Familie in eine Neubauwohnung in der Quickbornsraße, hier wohnt Käthe T. noch heute.

lo