> Günter Tiemann: Kleidungssorgen - Kleiderordnung

Günter Tiemann: Kleidungssorgen - Kleiderordnung

Dieser Eintrag stammt von Günter Tiemann aus Hamburg (Guenter.Tiemann@t-online.de), 05.12.1999:

Man schrieb das Jahr 1945, April/Mai.

Auf der Reichsstrasse 248 südlich von Salzwedel fuhr seit Tagen deutsches Militär nach Norden. Nachts hörte man Kanonendonner. An den Hauswänden stand "Sieg oder bolschewistisches Chaos", "Feind hört mit" und "Kohlenklau".

Das sogenannte "Notopfer" war zwar eingesammelt, bestand aber vornehmlich aus braunen Kleidungsstücken, die zu besitzen offensichtlich immer unangebrachter wurde. So konnte man sich dieser Dinge aber ohne sich verdächtig zu machen für einen "guten Zweck" entledigen. Es kam jedoch nicht mehr zum "Einsatz". Statt dessen lag es nun in der Sammelstelle und niemand wollte mehr Besitzer sein. Also wurde es in aller Stille in einem Kaninchenbau, der groß genug war, "beerdigt". Dabei waren die Sachen gut in Ordnung, heil, sauber und teilweise wenig getragen. Wenn nun die Amerikaner kämen ....., das Zeug war weg. Wir waren Kinder, ich war 14 Jahre alt. Wir stellten zwar noch keine kritischen Fragen, das war bisher nie ganz ungefährlich gewesen, aber kritische Gedanken kamen schon auf.

Schule war schon geschlossen. Man traute sich kaum noch auf die Straße, geschweige den aus dem Dorf heraus. Wir Kinder lungerten also umher. Hier stürzte ein Flugzeug ab, dort lag ein Mann mit "gestreiftem" Anzug erschossen neben dem Bahndamm und die Spannung der Erwachsenen übertrug sich sehr wohl auch auf uns.

An einem dieser Tage kam einer aus dem Dorf mit dem Fahrrad aus dem Nachbardorf mit Stiefeln auf dem Gepäckträger, so viele, daß er schieben mußte und nicht einmal abgedeckt, so daß sie jeder sehen konnte! Gelbe, naturfarbene langschäftige Stiefel, sogenannte Knobelbecher! Er verriet auch die Quelle: ein Tanzsaal eines Gasthofes, den jeder kannte.

Jetzt wurde es hektisch. Nach Hause. Erzählen. Fahrrad und los. Es dürfte keine Stunde vergangen sein zwischen dem "Erwerb" der ersten Stiefel und unserem Erscheinen in dem besagten Tanzsaal. Der war schon so gut wie leer. Es war nichts mehr vorhanden, was auch ein Zivilist hätte gebrauchen können. Was hätten wir mit Fallschirmspringerstahlhelmen, Knieschützern, Kappmessern, Gasmasken anfangen sollen. Ich konnte nur noch zwei Paar Handschuhe, lederne mit Stulpe "ergattern" und, als Junge, habe ich natürlich noch ein Messer mitgehen lassen, das ich, zu Hause angekommen, sofort beseitigen mußte.

Später erfuhren wir (Kinder), daß entlang der Bahnlinie an jeder Station ein Saal für Ausrüstungsmaterial des Militärs beschlagnahmt war. So viel, es hätte noch für Jahre reichen können! Das war mit dem "Volksopfer" nicht vergleichbar.

lo