> Hans Joachim Thölke: Als 16 jähriger beim Reichsarbeitsdienst 1944-1945

Hans Joachim Thölke: Als 16-jähriger beim Reichsarbeitsdienst 1944/1945

Dieser Eintrag stammt von Hans Joachim Thölke (*1928 ) aus Ritterhude , Dezember 2006 :

/lemo/bestand/objekt/thoelke Hier stehe ich Ende Oktober 1944 in unserem Garten. Meine Cousine hat diese Aufnahme gemacht. Sie wurde - wie auch ich - am 1. November 1944 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Von Moordorf (Ostfriesland) aus mußte ich mit einem Kameraden Unterlagen vom Reichsarbeitsdienstkommando in Bremen abholen. Es lag seinerzeit bereits hoher Schnee. Wegen der schlechten Zugverbindungen konnte ich mit meinem Kameraden bis zum 4. November nachmittags in Ritterhude bleiben. Es war mein 16. Geburtstag. Ritterhude habe ich dann erst am 17. August 1945 wiedergesehen. Die vorläufige Uniform, die ich auf dem Bild trage, bekam ich in der Kleiderkammer des Reichsarbeitsdienst (RAD) in Osterholz-Scharmbeck.

Der Jahrgang 1928 hatte sich nach einer großen Kriegspropagandaaktion von Dr. Goebbels zu 99 Prozent als Kriegsfreiwillige gemeldet. Ich hatte mich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. In einem Schulgebäude war unsere Reichsarbeitsdiensteinheit mit ca. 150 Mann untergebracht. Wir wurden im Bedienen des MG's 42 und der Panzerfaust unterwiesen. Nachts mußten wir mit je 8 Mann auf den Landstraßen patrouillieren.

Im Dezember 1944 wurden wir zu Aufräumarbeiten auf dem Flugplatz Wittmund eingesetzt. Dort sah es nach verschiedenen Luftangriffen verheerend aus. Am 10. Dezember 1944 heiratete meine Schwester. Ich bekam 2 Tage Sonderurlaub. Über den Rundfunk wurden alle Soldaten wegen der Ardennen-Offensive aber wieder zu ihren Einheiten gerufen. Wir mußten Abschied nehmen.

Weihnachten 1944 verbrachte ich in Moordorf, es war ein trauriges Fest und der Dienst ging natürlich weiter. Im Januar 1945 wurden wir in Aurich verladen und es ging mit dem Zug in Güterwaggons nach Bremen-Neustadt. Wir marschierten durch das bereits zerstörte Bremen nachts nach Bremen-Huchting. Von dort ging es wieder mit einem Güterzug nach Munsterlager. Dort hatte ich großes Glück. Ich kam mit einem anderen auf die Schreibstube. Nun brauchte ich kein Gewehr mehr tragen sondern bekam eine 7,65 Pistole. Ich war verantwortlich für die Personal- und Waffenunterlagen. In Munsterlager bekamen wir das Sturmgewehr 42, eine leichte 10-schüssige automatische Waffe und viele Panzerfäuste in verbesserter leichter Ausführung.

In Munsterlager wurde schließlich unsere Einheit aufgelöst. Mit mehreren Kameraden kam ich zur Division "SCHLAGETER", einer Einheit der Waffen-SS unter dem General der Waffen-SS Heun. Ich war froh, als ich wieder zum Schreibstubendienst eingeteilt wurde. General Heun war kein Fanatiker, sondern sah die Kriegslage ganz klar und nüchtern. Unser NS-Führungsoffizier, ein Oberleutnant, dagegen war ein Sadist. Er hatte Zugang zu allen Unterlagen und Besprechungen und konnte sich laut Führerbefehl überall einmischen. Diese NS-Führungsoffiziere wurden in der Wehrmacht nach dem Attentat auf Adolf Hitler eingeführt. Es waren sehr oft verdiente Soldaten, die in den NS-Organisationen bereits Führungsstellen innehatten. Sie wurden kurzerhand zu Offizieren ernannt.

Ende Januar 1945 marschierten wir von Munsterlager innerhalb etwa 3 Tagen nach Dömitz an die Elbe. Unterwegs kamen uns die vielen Flüchtlinge zu Fuß, mit Pferdegespannen oder Handkarren zu Tausenden entgegen. Es war ein furchtbarer Anblick für uns. Doch wir waren aufgrund der Propaganda, daß nun die Geheimwaffen eingesetzt würden, immer noch siegessicher. Wir waren in all den vielen Jahren geschult worden, unserer Führung blindlings zu vertrauen. Tagsüber halfen wir so gut es ging den Zurückflutenden. Wir hielten uns mit unseren wenigen Gespannen und Lkws in den Wäldern auf. Nachts wurde dann weiter marschiert. Wir waren alle am Ende unserer Kräfte. Vor Dömitz konnten wir einen Tag ausruhen, da sich vor der teilweise zerstörten Eisenbahnbrücke über die Elbe die Truppen und fliehenden Menschen stauten. Nachts ging es über die Elbe, unsere Gespanne, Pferde und wenige Fahrzeuge wurden von Pionieren per Pontons übergesetzt. In den nahegelegenen Wäldern mußten wir wieder auf unsere Gespanne und Lkws warten. Wir marschierten weiter nach Ludwigslust und bezogen Quartier in einem kleinen Dorf "Kraak". Dort blieben wir etwa fünf Wochen lang. Ich mußte zum Schreibstubendienst nach Schwerin. Im Schweriner Schloß lag unser Divisionsstab mit General Heun. In einem Nebengebäude war unsere Schreibstube. Abends ging es mit dem Zug oder Lkw mit Holzgenerator zurück nach Kraak. Der Zustand unserer Truppe war infolge Kälte, Schnee und erbärmlicher Bekleidung und Verpflegung jämmerlich. Doch unsere NS-Offiziere peitschten uns immer wieder auf. Die Witterung im Februar 1945 war extrem hart. Wir hatten teilweise 18 Grad minus und sehr hohen Schnee. Der Krankenstand war sehr hoch. Wir waren praktisch am Ende.

In der Nähe von Kraak war ein Kriegsgefangenenlager mit Amerikanern. Die Amerikaner waren in guter körperlicher Verfassung und wußten über unser baldiges Ende genau Bescheid. Im März sahen wir zum ersten Mal die neuen Düsenjäger ME 262, die amerikanischen Bomberpulks mit ihren Begleitjägern angriffen. Diese neuen Jäger waren den feindlichen Jägern gegenüber unheimlich schnell und wendig. Man hörte nur ein Rauschen und schnelles Vorbeiflitzen dieser Maschinen. Leider kam auch diese Waffe viel zu spät zum Einsatz. Uns gaben sie wieder neuen Mut.

Bei dem Ort Hagenow befand sich ein Feldflugplatz. Dieser wurde eines Tages von feindlichen Fliegern angegriffen. Auf dem Gelände stand ein Munitionszug. Dieser flog mit den beladenen Güterwaggons in die Luft. Es war ein furchtbares Krachen und Getöse. Ein feindlicher Jäger kam dieser Explosion zu nahe und wurde mit in die Tiefe gerissen. Der Feldflugplatz konnte nach dem Angriff nicht mehr benutzt werden, auch fehlte es inzwischen an allem für den Betrieb notwendigen Mitteln wie Benzin usw.

Im März wurden wir wieder verladen und es ging im Zug nach Wutike bei Kyritz. Die Tiefflieger machten uns sehr zu schaffen. Wir hatten einige Tote und Verletzte. Es war einfach furchtbar. Unsere auf den Waggons montierten MG's und Zwei-Zentimeter-Schnellfeuerflakgeschütze mit den hilfswilligen Russen hatten große Mühe, uns die Jabos vom Halse zu halten. Die neuen Jäger kamen leider immer seltener zum Einsatz. Es fehlte einfach das nötige Flugbenzin. Von den Engländern und Amerikanern wurden die ME 262 sehr gefürchtet. Auf vorgedruckten Formularen, die vom Obersturmführer (Oberleutnant) unterschrieben wurden, mußte ich die Angehörigen der Gefallenen benachrichtigen. Ob die Post überhaupt angekommen ist, war nicht mehr festzustellen.

In Wutike wurden wir zum Panzersperrenbau mit eingesetzt. Die feindlichen Tiefflieger waren nun eine ständige Gefahr. Sie beharkten mit ihren MG's nun auch wahllos die Waldsäume neben den Straßen und hatten fast immer etwas getroffen. Die Flüchtlingsströme wurden immer größer und behinderten nun die Truppenbewegungen.

Am 20. April 1945, es war der 56. Geburtstag des Führers, hatten wir unseren letzten großen Appell. Der NS-Führungsoffizier hielt eine flammende Rede. An diesem Tag fuhr unser General Heun zu dem Generaloberst Wenck, um ihm über den schlechten Zustand der Truppen zu berichten. Viel später habe ich erfahren, daß auch Generalfeldmarschall Keitel dort mit allen Generälen anwesend war, um den baldigen Angriff unserer Armee auf Berlin zu besprechen.

Von dieser Zusammenkunft zurück hielt General Heun eine große Lagebesprechung mit seinen Offizieren ab. Viele waren über das Gehörte erschüttert. Unsere Lage wurde inzwischen immer bedrohlicher. Die Russen stießen an Berlin nördlich und südlich vorbei. Sie waren etwa 8o km von uns entfernt. Nun hörten wir das Grummeln der feindlichen Geschütze und wir mußten mit den ständigen Angriffen der Jabos leben.

Nach einigen Tagen kam der erlösende Entschluß von General Wenck bei uns an. "Es wird keinen Entsatzangriff auf Berlin mehr geben. Versuchen Sie mit ihren Einheiten zurück an die Elbe zu marschieren". Wir auf der Schreibstube hörten zuerst davon, wir waren froh. Es kamen nun auch keine Anweisungen und Befehle mehr von der Division. Auf der Schreibstube wurden nun alle Unterlagen, Ordner, Listen usw. schnellstens vernichtet bzw. verbrannt. Wir bekamen auch kein Proviant mehr.

Nachts marschierten wir nun westwärts. Wir griffen nun unsere eisernen Rationen an, das war harte Notverpflegung aus Dosen, hartem Brot und natürlich Coca-Cola Schokolade. Unseren NS-Führungsoffizier haben wir nicht mehr gesehen. Wir kamen infolge der Schwäche nur sehr langsam und schleppend voran. Meine Füße brannten und die Blasen waren durchgelaufen und die Fußlappen mit Blut durchtränkt. Am 2. Mai erfuhren wir vom Tod Adolf Hitlers. Nun galt es nur noch sich zu retten. Die Russen waren uns auf den Fersen. Viele von unserer Einheit blieben auf der Strecke. Etwa am 5. oder 6. Mai erreichten wir erschöpft die sogenannte Demarkationslinie, etwa 25 km östlich der Elbe. Hier nahmen uns amerikanische Truppen gefangen.

Wir waren ein erbärmlicher Haufen. Unser Glück war das bereits sehr warme Frühjahrswetter. Wir wurden von den Wehrmachtssoldaten getrennt und auf einem umzäunten Gebiet gefangen gehalten. Unsere Offiziere wurden abgeführt. Dort lagen wir nun ohne Verpflegung. Wasser konnten wir von einem Bauernhof holen. Viele von uns wurden nun Darm- und Magenkrank. Nach einigen Tagen bekamen wir die erste Nahrung: Kekse und Büchsenfleisch. Ich vergesse nicht den Satz eines amerikanischen Soldaten: Wir haben nicht geglaubt, daß so wenige deutsche Soldaten uns so große Schwierigkeiten bereiten konnten. Nach etwa drei bis vier Wochen trafen wir im Lager einige Kameraden die von uns, die wir verloren hatten. Eines morgens hatte sich ein Soldat erhängt. Es war ein Ritterhuder. Die Eltern haben wir nach unserer Entlassung (17. August 1945 ) benachrichtigt. Sie waren erschrocken und konnten sich nicht wieder beruhigen.

Eines Tages mußten wir nach Ludwigslust, etwa 25 km zum Bahnhof marschieren. Der Grund war: die Russen bekamen das Gebiet bis an die Elbe. In Ludwigslust wurden wir in Güterwaggons verladen und wir fuhren sehr, sehr langsam innerhalb zweier oder drei Tagen nach der Halbinsel Fehmarn. Ich glaube in Eutin haben wir den Zug verlassen. Dort wurden wir den Engländern übergeben und alle registriert. Dann marschierten wir einige Tage weiter Richtung Burg. Auf einem Bauernhof in einer großen Scheune wurden wir dann untergebracht. Wir waren froh ein Dach über dem Kopf zu haben. Nun wurden wir täglich ärztlich versorgt und die Verletzungen wurden behandelt. Wir lagen etwa mit 30 Mann in einer Scheune. Es wurden eiligst Latrinen auf den Wiesen ausgehoben und jeder mußte nun Latrinenwache halten. Zur Verhütung von Seuchen ein notwendiges Übel. Das Sommerwetter im Jahre 1945 war gut. Wir lagen zum Zeitvertreib oft auf den Wiesen.

Anfang August wurden alle 16 und 17-jährigen aufgerufen, sich erneut registrieren zu lassen. Es gingen wilde Gerüchte durch die Halbinsel Fehmarn. Plötzlich wurden wir eines Tages zur ärztlichen Untersuchung in die Sanistation befohlen. Dort wurden wir ärztlich untersucht. Dann hieß es wieder marschieren nach der Stadt Neustadt. Dort kampierten wir in einer großen Kasernenanlage. Am nächsten oder übernächsten Tag wurden wir entlaust und unser Zeug desinfiziert, das dauerte wieder einen Tag. Plötzlich wurden wir unter strenger Bewachung nach Eutin gefahren. Dort wurden wir entlassen!!!! Mit einem britischen LKW ging es nun über Hamburg nach Bremervörde. Dort übernachteten wir in großen, leeren und kahlen Holzbaracken. Am nächsten Tag ging es nach Osterholz-Scharmbeck. Am früheren RAD-Lager hielten die LKW's und es hieß dann: "Nun lauft nach Hause." Sehr erschöpft und zerlumpt kam ich am 17. August 1945 wieder zu Hause an. Ein Haufen Elend.

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