> Hans Mendgen: Im Reichsarbeitsdienst 1944

Hans Mendgen: Im Reichsarbeitsdienst 1944

Dieser Eintrag von Hans Mendgen (1926-2023) aus Rosenfeld vom März 2011 stammt aus dem Biografie-Wettbewerb "Was für ein Leben!"

Im Frühjahr 1944 ging meine Zeit als Luftwaffenhelfer in Salzgitter zu Ende, denn ich erhielt meine Einberufung zum "Reichsarbeitsdienst" nach Stendal. Jetzt während des Krieges dauerte die Dienstzeit in diesem "ERADEE" (RAD) nur drei Monate. Damit begann auch für mich der Ernst des Lebens, denn diese Einrichtung war bekannt dafür, besonders streng militaristisch zu sein.

Ich hatte aber vor, das Beste daraus zu machen und wartete erst mal ab. Zunächst überraschte mich, dass so viele Oberschüler, Gymnasiasten und Studenten in unserer Einheit waren. Das konnte ja heiter werden, wenn wir hier mit unseren Dummejungenstreichen weitermachen würden. Natürlich mussten wir erst die Grenzen ausloten, denn selbstverständlich hatten wir sicher auch Vorgesetzte, die wir respektierten mussten. Aber ungeschickter Weise hatten die übergeordneten Dienststellen auch solche Leute als Führer eingesetzt, Truppführer und Unterfeldmeister hießen die unteren Chargen, die einer solchen Meute wie wir absolut nicht gewachsen waren. Sicher kann sich das heute ein Außenstehender kaum vorstellen, aber wir trieben sogar hier unseren Unsinn à la Feuerzangenbowle, bei solchen "Führern", die eigentlich eher Nieten waren.

Ein Paradebeispiel für so einen unfähigen Mann war unser Unterfeldmeister, der seine Minderwertigkeitskomplexe gerne hinter einem besonders zackigen Verhalten zu verstecken suchte. Außerdem hatte er absolut keinen Humor. Weil wir albernen Kerle aber bei jedem seiner Ausrutscher zu kichern anfingen wie Backfische, und er oft nicht einmal erkannte, was uns nun schon wieder so erheiterte, steigerte er seine Grobheit von Tag zu Tag immer mehr. Alles fing damit an, dass er den Auftrag erhalten hatte, uns einen Vortrag über das Leben Adolf Hitlers zu halten. Er hatte sich gut vorbereitet und deklamierte seinen Text auswendig. Leider passierte ihm aber schon zu Beginn ein Fehler, der die ganze Mannschaft amüsierte. Anstelle davon zu sprechen, dass Adolf schon als Kind Führereigenschaften entwickelt habe und unter seinen Kameraden immer der "Rädelsführer" gewesen sei, zitierte er in Unkenntnis der Bedeutung dieses Wortes ein paar Mal: "Räderführer". Es irritierte ihn dann dermaßen, als wir bei diesem "heiligen" Thema zu kichern anfingen, dass er einige Mal aus dem Konzept geriet und ausgerechnet diese Stelle, zu unserer erneuten Erheiterung, wiederholen musste. Seine Situation verbesserte sich dann keineswegs, als wir zufällig eines Tages in Erfahrung brachten, dass er von Beruf Bonbonkocher war. Damals, im Zeitalter der Vorurteile, war dies ein Beruf, den er sicher nicht freiwillig hätte bekannt werden lassen.

Neben gelegentlichem Exerzieren bestand unsre Hauptaufgabe darin, den Militärflugplatz von Stendal zu erweitern. Allzu schwer war die Arbeit ja nicht, denn wir hatten es dort nur mit Sand zu tun. Allerdings strengte es auf die Dauer doch gewaltig an, keiner von uns war ja an körperliche Arbeit gewöhnt. Ich selbst hatte jedoch Glück, und das nur, weil ich Schriften malen konnte. Schon kurz nach unserer Ankunft verlangte man nämlich von jeder Zimmerbelegschaft, ein deutlich lesbares Schild mit den Namen der Bewohner an der Türe anzubringen. Das war meine Stunde, ich machte ein kleines Kunstwerk aus unserem Türschild und wurde prompt dazu abkommandiert, die vielen Materialkisten im Lager unserer Einheit ebenfalls kunstvoll zu beschriften. Meine Schaufel benötigte ich von nun an nicht mehr, ich benutzte nur noch Pinsel. Aber Pinsel waren damals rar, in ganz Stendal war keiner aufzutreiben, der für meinen Zweck geeignet gewesen wäre. Schließlich setzte ich mich hin und stellte mir mein Werkzeug selber her.

Nun folgten unterhaltsame Monate, überall wo ich arbeitete, saßen Leute, mit denen man schwatzen konnte. Als unser Chef, der Oberstfeldmeister, seine Umzugskisten ebenfalls von mir anstreichen und beschriften ließ, kam ich vor lauter Gesprächen mit ihm kaum zum Arbeiten. Er war ein belesener Mann, lieh mir Bücher aus und unterhielt sich dann mit mir stundenlang darüber. Ich konnte also meine Arbeit so einteilen, dass mir die restliche Zeit in Stendal keine großen Probleme mehr machte.

Ein Kamerad in unserer Stube hieß von Rantzau und war der Neffe des damals allgemein bekannten Grafen Ulrich von Brockdorf-Rantzau. Dieser Graf hatte als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (Außenminister) im Jahr 1919 die deutsche Friedensdelegation in Versailles angeführt, aber eine Unterzeichnung des angebotenen Friedensvertrages abgelehnt. Seiner Ansicht nach waren die Bedingungen nicht akzeptabel. Die Unterzeichnung erfolgte dann zwar trotzdem, eben durch einen Andern, aber durch dieses Verhalten wurde von Brockdorf-Rantzau später von den Nationalsozialisten sozusagen posthum vereinnahmt (er starb ja schon 1928).

Sein Bruder, also der Vater unseres Stubengenossen, war ein hoher General der deutschen Wehrmacht und alterierte sich einmal gesprächsweise beim Reichsarbeitsführer Hirl, unserem allerobersten Chef, über die rüde Ausdrucksweise seiner subalternen Vorgesetzten. Gemeint, war in diesem Fall unser Unterfeldmeister, der die Angewohnheit hatte, seiner Ansicht nach besonders tadelnswerte Arbeitsmänner seiner Truppe mit Russen zu vergleichen. Unser Kamerad hatte das unvorsichtiger Weise in einem Brief nach Hause erwähnt, nicht ahnend, dass sein Vater das gleich brühwarm weitergeben würde. Auf jeden Fall, entwickelte sich daraus ein Mords-Theater. Eine ganze Abordnung hoher Chargen des RAD meldete sich zur Untersuchung dieses "Falles" an. Bei aller Antipathie unserem Vorgesetzten gegenüber fanden wir das alle, unser Rantzau eingeschlossen, für reichlich übertrieben und äußerten dies auch unserem Oberstfeldmeister gegenüber. Daraufhin mobilisierte dieser ein paar einigermaßen redegewandte Leute seiner Einheit, darunter auch mich, und bat uns, die avisierte Abordnung zu beschwichtigen. Glücklicherweise gelang das offenbar vorzüglich, denn unserm Unterfeldmeister passierte gar nichts, nachdem die hohen Herrschaften wieder abgezogen waren. Den Vergleich mit den Russen unterließ er allerdings in Zukunft, wenn er sich auch sonst nicht ändern konnte. Der Leser wird das vielleicht nicht ganz verstehen, denn er ist wahrscheinlich nicht mit den tausenderlei Vorurteilen vertraut, die damals Allgemeingut waren. Die Negativpropaganda gegen die Russen hatte zur Folge, dass ein Vergleich mit ihnen als äußerst ehrenrührig verstanden wurde und auch so gemeint war.

Trotzdem ich durch meine Tätigkeit als Schriftenmaler keinen normalen Spaten mehr benötigte, musste ich den allgemeinen Dienst selbstverständlich mitmachen und natürlich auch meinen Exerzierspaten weiterhin pflegen. Mit diesem Ding, das wir gleich am ersten Tag ausgehändigt bekommen hatten, wurde ja nie gearbeitet. Dieser Spaten war das Symbol des Arbeitsdienstes und ein ewiges Sorgenkind. Ständig musste man auf der Hut sein, dass er nicht rostete, und nirgends bekam man damals Maschinenöl oder Fett, mit dem man das hätte verhindern können, nicht einmal Schmirgelpapier war aufzutreiben.

Am schlimmsten war ein Ausmarsch bei Regenwetter. Wenn man an so einem Tag auch noch "Hinlegen und Sprung-Aufmarsch-Marsch" exerziert hatte, wusste man nachher nicht, wie man ihn wieder sauber bekommen sollte. Gerade rechtzeitig vor dem Abmarsch an so einem trüben, feuchten Tag kam mir eine Erleuchtung: was der Haut hilft, ist sicher auch gut gegen Rost, also schmierte ich sorgfältig Nivea-Creme auf meinen blitzblanken Spaten. Beruhigt, setzte ich ihn anschließend den Unbilden der Natur aus. "Heute Abend spare ich eine Menge Arbeit", lobte ich meine eigene Idee. Beim ersten Halt, wir standen noch mit geschultertem Spaten da, schrillt plötzlich die überschnappende Stimme des wohlbekannten Unterfeldmeisters: "Arbeitsmann Mändgään, was haben sie mit ihrem Spaten gemacht?" Was war denn jetzt wieder nicht in Ordnung? Ich nahm das Ding von der Schulter und traute meinen Augen nicht: auf beiden Seiten leuchtete mein Spatenblatt wie ein Signalfeuer rostrot unter allen anderen hervor. Die Nivea-Creme hatte ihm offensichtlich gar nicht gut bekommen. Mein früher Feierabend war somit gründlich ins Wasser gefallen, denn ich musste mich mit dem Ergebnis meiner Reinigungsarbeit, zu allem andern, noch am gleichen Abend beim Oberstfeldmeister zum Rapport melden. Da unser Bonbonkocher gleich überall Sabotage witterte, hatte er diesen Fall nämlich vorsorglich gleich beim obersten Chef gemeldet.

Einmal erschien ein Porträtmaler auf der Bildfläche und überall, wo ein paar "Arbeitsmänner" beieinander standen, tauchte auch er auf. Er schaute sich dann kopfschüttelnd die jungen Gesichter an, murmelte unverständliches und ging weiter. Bei einer günstigen Gelegenheit erwischte ich ihn allein und fragte, warum er so einen unzufriedenen Eindruck mache. "Soll ich nicht unglücklich sein", antwortete er mir, "ich soll Arbeitsmänner malen und finde lauter Kinder!" Na ja, eigentlich hatte er recht, denn die ältesten von uns waren damals gerade 18 Jahre alt, viele aber erst 17, wie sollte er unter denen männliche Typen finden. Aber es gelang mir tatsächlich ihm zu helfen. In unserem Zug war einer, der wirklich wie ein Mann aussah. So konnte sowohl dem Maler, aber natürlich auch dem Kameraden, bestens geholfen werden. Der eine konnte seinen Auftrag ausführen und der andere hatte ein paar schlaue Tage als Malermodell.

Anfang August 1944 kam ich dann zur Rekrutenausbildung in der Wehrmacht zunächst nach Wien-Kagran und wenige Woche später nach Dänemark.

lo