> Heinrich König: Als Freiwilliger zur Waffen SS

Heinrich König: Als "Freiwilliger" zur Waffen-SS?

Dieser Eintrag stammt von Heinrich König (*1929 ) aus München , August 2006 :

Es war im Sommer 1944 – ich war damals 15 Jahre alt – als ich zu einer etwa 4-wöchigen Ausbildung als "Panzerknacker" (man könnte auch sagen: als Kindersoldat) befohlen wurde. Die Ausbildung fand in der Nähe von St. Heinrich am Starnberger See statt und wurde von verwundeten, zum Teil hochdekorierten (Ritterkreuz, Deutsches Kreuz in Gold) Unteroffizieren durchgeführt. Wir lernten dabei den Umgang mit Panzerfaust und Panzerschreck, Haftladungen, Handgranaten, usw. Nach Beendigung der Ausbildung wurden wir wieder nach Hause entlassen. Wir wurden aber nicht zurück nach München gefahren, sondern mussten die ca. 40 Kilometer nach München mit dem Tornister auf dem Rücken marschieren. Später sollten wir in kleinen Gruppen verschiedenen Wehrmachtseinheiten zugeteilt werden.

Kurz darauf erhielt ich eine schriftliche "Einladung" (mit Teilnahmeverpflichtung) zur Teilnahme an einer Werbeveranstaltung der SS. Die Veranstaltung fand an einem Samstag Vormittag im Hofbräukeller am Wiener-Platz statt. Nach mehreren Ansprachen von SS-Offizieren, in denen von "Endsieg", "Vaterlandsverteidigung" oder "Blut und Ehre" die Rede war, fragte der Versammlungsleiter in die Runde: Ist unter Euch vielleicht ein Feigling oder so ein Schweinehund, der in Kenntnis des soeben Vorgetragenen unserem Führer Adolf Hitler die Gefolgschaft verweigern und sich nicht freiwillig zum Dienst in der Waffen-SS "Division Hitlerjugend" melden will?

Nach kurzem betretenem Schweigen meldete sich ein Junge und sagte, dass er sich bereits als Kriegsdienstfreiwilliger bei der Wehrmacht hat eintragen lassen. Es wurde daraufhin ein entsprechender Vermerk in der "Einladungsliste" gemacht und der Junge konnte nach Hause gehen. Der Versammlungsleiter fragte kurz nach, ob noch weitere Kriegsfreiwillige anwesend seien. Ich meldete mich und gab an, dass ich mich bei der Gebirgsjägerdivision "Edelweiß" in Mittenwald als Freiwilliger gemeldet hätte – was aber nicht den Tatsachen entsprach. Ich durfte die Veranstaltung verlassen und stand nun am Wiener-Platz, war innerlich äußerst erregt und überlegte mir, was nun zu tun sei. Mit dem Rad fuhr ich unverzüglich zur Türkenkaserne, in dem ein Rekrutierungsbüro der Wehrmacht war. Ich hoffte, mich dort als Freiwilliger der Wehrmacht eintragen lassen zu können.

Am Tor der Türkenkaserne angekommen, fragte ich den Wachhabenden vor den Schilderhäuschen nach dem Rekrutierungsbüro. Er sagte mir, dass das Büro Samstag geschlossen sei und ich am Montag wiederkomme solle. In einer Art von Verzweiflung machte ich ihm klar, dass mein Anliegen äußerst dringlich sei. Schließlich schickte er mich zur Dienstwohnung eines Unteroffiziers oder Feldwebels im Erdgeschoss der Kaserne, dessen Name ich vergessen habe. Ich klopfte an, es öffnete eine rundliche Freu mit umgebundener Küchenschürze; es war gerade kurz vor dem Mittagessen. Sie rief ihren Mann: "Karl, komm her, da will dich einer sprechen". Er kam im Unterhemd und Hosenträgern. Mit dem Mut der Verzweiflung erzählte ich ihm, was vorgefallen war und weshalb ich ihn dringend um Hilfe bitten möchte. "Du verlangst aber allerhand von mir" war seine erste Reaktion und sagte aber dann "Jetzt gehen wir erst mal ins Büro". Er zu seine Uniformjacke an und wir gingen in sein Büro.

Nachdem er mich zur äußersten Verschwiegenheit aufgefordert hat ("Du bringst mich sonst in größte Schwierigkeiten"), füllten wir die notwendigen um 14 Tage vordatierten Formulare aus. Er sagte mich, falls Rückfragen erfolgen sollten, werde er mitteilen, dass mein Antrag irrtümlich im Büro liegengeblieben ist. Das Verhalten dieses Mannes zeigt, dass es auch in dieser Zeit Zivilcourage und Widerstand in Uniform gegeben hat.

Etwa 4 Monate nach meiner "Anmeldung" als Kriegsfreiwilliger im Rekrutierungsbüro der Türkenkaserne erhielt ich – als folge meiner Ausbildung als "Panzerknacker" im Kriegseinsatz-Schulungslager (vormals Wehrertüchtigungslager) – einen Gestellungsbefehl. Zusammen mit 4 Kameraden erhielten wir einen Marschbefehl und Bahnfahrkarten nach Baden bei Wien. Wir hatten uns dort bei der örtlichen Kommandantur der Wehrmacht zu melden. Die Fahrt nach Wien war ein Ereignis der besonderen Art. Der Sonderzug für Urlauber der Streitkräfte war hoffnungslos überfüllt. Die Gänge, in den Übergängen der Wagen und sogar in den Toiletten standen die Leute, alles war mit Tornistern und anderen Gepäckstücken blockiert. In unserem Abteil saßen außer unserer Gruppe 2 oder 3 Soldaten und 2 "Blitzmädels". Es war sehr heiß im Zug. Die Fahrt war alles andere als angenehm. Nach einiger Zeit sagte eine der Funkerinnen, dass sie unbedingt auf die Toilette müsste. Es war aber völlig unmöglich zum WC durchzukommen. Ein Feldwebel im Abteil managte die Situation. Er holte aus seinem Gepäck einen Bierkrug, den er aus München mit an die Front nehmen wollte, stellte sich mit einem ausgebreiteten Wehrmachtsmantel ans Fenster und alle nacheinander konnten sich erleichtern. Der Inhalt des Bierkrugs wurde mehrmals aus dem Fenster geschüttet.

In Wien mussten wir umsteigen und kamen schließlich in Baden bei Wien spät am Abend an. Am nächsten Morgen meldeten wir uns in der Kommandantur. Ein Unteroffizier nahm unseren Marschbefehl entgegen und ein erregter Hauptmann wetterte und sagte sinngemäß "Verfl..., ich habe Soldaten angefordert und keine Schulbuben" und gab dem Unteroffizier die Anweisung, uns wieder einen Bahnfahrschein nach München auszustellen. Das ich diesem Offizier begegnet bin ist wieder ein außerordentlicher Glücksfall, denn unsere Gruppe war für den Fronteinsatz in Ungarn vorgesehen. Auf der Rückreise hatten wir noch ein besonderes Erlebnis. Anstatt in Wien beim Umsteigen den nächsten Urlauberzug zu nehmen, haben wir einen Abstecher zum Prater gemacht und waren dort Augenzeugen des großen Brandes vom 16. September 1944, bei dem unter anderem das Riesenrad fast total zerstört wurde.

Auf der Rückreise nach München beschlossen wir, uns nicht zurückzumelden. Wir wurden auch nicht mehr zu irgendeinen Dienst aufgefordert – wir waren ja laut den Unterlagen in Ungarn. In unserem Haus in der Friedrichstraße 2 wohnte der Ortsgruppenleiter der NSDAP (Prof. Wagner). Er wusste, dass ich quasi untergetaucht war und empfahl meinem Vater einfach stillzuhalten und das Ende des Krieges abzuwarten, was auch gelang. Den drei Uniformträgern, dem Feldwebel vom Rekrutierungsbüro, dem Hauptmann bei der Wehrmachts-Kommandantur in Baden bei Wien und dem NSDAP-Ortsgruppenleiter habe ich zu verdanken, das ich nicht wie einige meiner Schulkameraden (von denen einer im April 1945 vor Ingolstadt gefallen ist) in den letzten Kriegswochen zum Einsatz an die Front geschickt wurde.

lo