Helga Diel: Erinnerungen an Krieg und Nachkriegszeit

    Dieser Eintrag stammt von Karen Schlechte aus Darmstadt, Oktober 2010:

    Im Rahmen meines Geschichtsunterrichts in der 9. Klasse war es meine Aufgabe, einen Zeitzeugen zu finden und ihm Fragen zum Thema "2. Weltkrieg und Nachkriegszeit" zu stellen. Ich befragte meine Bekannte Frau Helga Diel aus Frankenthal. Sie erzählte mir folgendes:


    A. Jugend

    Zu Hitlers Geburtstag (20. April) mussten alle Mädchen in Uniform erscheinen, zur sog. Flaggenehrung. Wenn ein Mädchen noch nicht im BDM oder bei den Jungmädeln war, also keine Uniform hatte, musste es im blauen weißer Bluse kommen. Meine Mutter nähte mir schleunigst einen Rock aus Kunstseidenstoff (was anderes gab es nicht), den ich aber nur einmal angezogen habe. Ich bin ein Jahr später als gefordert dann zu den Jungmädeln gegangen. Meine Eltern wollten vermeiden, dass ich auffalle.

    Samstagnachmittags hatten wir Schulung. Da mussten wir lauter Daten von den nationalsozialistischen Führern lernen und entsprechende Lieder singen.

    Es war blöde, denn wir hatten ja Wichtigeres zu lernen für den allgemeinen Schulbetrieb.

    Die meisten Lehrer waren neutral und in Ordnung. Der Schulbetrieb lief so: Jede Schulstunde wurde mit dem Hitlergruß begonnen. Manchen Lehrern traute man nicht. Meine Klassenlehrerin war okay. Als meine Klasse im Sommer 1942 geschlossen für fünf Monate aufs Land geschickt wurde (in der Leisniger Gegend), wo die einzelnen Schülerinnen bei verschiedenen Bauern untergebracht wurden und bei denen auf dem Feld und im Stall mitarbeiten mussten, kam unsere Lehrerin reihum zu "ihren Kindern" um nach dem Rechten zu sehen. Als ich einmal beim Rübenziehen unglücklich auf dem Feld hockte, kam Emmy Weise (unsere Lehrerin) angeradelt: Ich habe wie ein Schlosshund geheult.

    Emmy hat dann auch dafür gesorgt, dass ich von den Bauern wegkam (ich hatte eine Wanze aufbewahrt!) und die restliche Zeit in einem Gemüsegut zusammen mit anderen Klassenkameradinnen war: Unterkunft in einer Dorfschule, der Lehrer war im Krieg, der Unterricht fiel aus.

    Arbeiten: 6 Wochen Johannisbeeren pflücken, Rüben verziehen, Kartoffelacker jäten, später Kartoffelernte und Rübenernte, Kohlrabi-"Berge" bearbeiten + verpacken.

    Mit 4 franz. Kriegsgefangenen verstanden wir uns gut- zum Ärger des Hausknechts!

    Wir organisierten für sie- und sie für uns- was fehlte. Irgendjemand hat dies an höherer Stelle gemeldet, woraufhin meine eine Klassenkameradin, die Scharführerin bei den Jungmädels war, ihre grüne Schnur abgeben musste! Sie wurde also degradiert. Aber so schlimm war das nicht. Wir wussten daher, dass wir vorsichtig sein mussten (Briefe vernichten, Telefonanrufe von Eltern begrenzen). Feind hört mit.

    Im Herbst 1944 wurde meine Klasse geschlossen und alle kamen entweder in die Rüstungsindustrie, zur Wehrmacht oder in Gärtnereien. Emmy gab jedem ein handgeschriebenes "Reifezeugnis" mit, für alle Fälle! Ich habe nach 1945 das normale Abi nachgeholt.

    B. Juden

    In meiner Klasse waren keine jüdischen Schülerinnen. Meine Mutter hatte eine jüdische Schulfreundin, deren Mann war Direktor bei einer Bank. Sie hatten eine Tochter (etwas jünger als ich). Einmal waren wir in deren Haus in Dresden eingeladen. Aber eines Tages waren sie fort (rechtzeitig nach England geflüchtet). Meine Mutter hat nach dem Krieg vergeblich versucht, Kontakt zu ihrer Schulfreundin zu bekommen. Unsere Wohnung war ja auch durch Bomben zerstört, also einen neue Anschrift. Keine Möglichkeit. Die Judenverfolgung wurde uns in der Schule nicht erklärt. Man schwieg. Jeder war vorsichtig.

    C. Widerstand

    Ich kannte niemanden aus dem Widerstand. Meine Eltern sagten uns nicht, was sie evtl. wussten. Mein Vater war Mitglied im Stahlhelm. Diese Organisation wurde aufgelöst und mein Vater erhielt die braune Uniform der Nazis. Die hat er nie angezogen und später verbrannt. Er war gleich ordentlich ausgetreten. Das hatte sicher auch zur Folge, dass er keine Apotheke vom Staat übernehmen durfte. Er führte ein kleines eigenes Laboratorium. Später wurde er eingezogen, blieb aber in Dresden, bis zum Bombenangriff.

    Ich kannte keine Menschen, die ins KZ gehen musste.

    D. Krieg und Nachkriegszeit

    Ich hatte das Glück, in einem behüteten Elternhaus aufwachsen zu dürfen. Die Einschränkungen der Lebensmittelrationalisierung habe ich als Kind nicht groß als Nachteil empfunden. Meine Eltern und meine Tante organisierten das Nötigste. Der Bombenangriff am 13. Februar 1945 veränderte natürlich alles. Ich erlebte diesen im Keller unseres Hauses, wir entkamen dem Feuer durch den Mauerdurchbruch zum Nachbarhaus, dann im Feuersturm durch die Straßen zu einem Park, wo es ruhig war und wir an herumliegenden Blindgängern vorbeiliefen. Später im Keller eines unversehrten Hauses. Am nächsten Tag ging es zu Fuß und einem geliehenen Handwagen Richtung Pirna und weiter bis nach Rathen, wo wir ein Wochenendhaus hatten. Das war allerdings belegt von Verwandten und 3 Boxerhunden. Da blieb uns (meinen Eltern und mir) nur wenig Raum zum Schlafen. Meine Brüder waren beide im Krieg. Sie kamen aus Frankreich und Russland später zurück, Gott sei Dank relativ unversehrt. Das war für meine Mutter ein großer Trost nach dem Verlust ihres ganzen Hauses.

    Das Ende des Krieges war von Angst geprägt. Die Russen kamen als Besatzer. Sie waren gewalttätig. Eine doppelte Sorge meiner Eltern um mich. Es ist aber alles gut gegangen. Die Lebensmittel waren sehr knapp. 50 g Butter pro Person für eine Woche.

    Um Brot zu bekommen mussten wir zum Beispiel zweieinhalb Stunden zu einer Mühle laufen und dann wieder zurück. Wir gingen Kartoffeln stoppeln und Pilze suchen. Gekocht wurde im Haus meiner Tante, die auch in Rathen lebte, deren Haus jedoch mit Flüchtlingen auch voll war. Ich wurde zunächst zum Zuschütten von Schützengräben von der Ortsverwaltung herangezogen, später zum Abbauen von Maschinen in Heidenau. Alles sollte abgerissen werden und nach Russland versandt! Im Herbst 1945 konnte ich in Dresden in meiner alten Schule zum Abiturlehrgang antreten. Ich schlief jede Woche bei anderen Bekannten, reihum. Viel Gepäck hatte ich ja nicht, und auch keine Schulbücher. Einige meiner alten Lehrer waren da, von anderen hörte man Trauriges.

    Nach dem bestandenen Abitur gab es wenig Ausbildungsmöglichkeiten: Trümmer schippen + Steine zurechtklopfen für evtl. Wiederverwendung, Krankenhausdienst, etc. Alles nichts für mich. Ich wurde Tischler-Umschüler, Vertrag für 1,5 Jahre in Hellerau bei den Deutschen Werkstätten. Aber für mich ohne Zukunft. Zum Glück halfen mir Menschen aus dem Vertrag herauszukommen und an der TH Dresden ein Studium zu beginnen.

    Ich wohnte bei früheren Mietern unseres abgebrannten Hauses. Meine Mutter lebte in Rathen, mein Vater hatte eine Anstellung in einer Apotheke und verdiente wieder Geld und für uns Lebensunterhalt. Aber die Familie kam nicht richtig wieder zusammen. Eine kurze Zeit hatten meine Eltern in einem Vorort von Dresden eine Wohnung und mein Vater eine Tätigkeit. Aber nun machten die neuen kommunistischen Machthaber und deren Genossen wieder Schwierigkeiten. "Von Regen in die Traufe" heißt das alte Sprichwort.

    Die Eltern arrangierten sich notgedrungen, waren ja nicht mehr jung. Wir drei Geschwister sind alle in den Westen gegangen, haben gearbeitet und uns ein neues Heim geschaffen.

    E. Zukunft

    Krieg bringt nur Unheil. Wir müssen Freundschaften zu anderen Ländern z.B. Frankreich und Polen pflegen und als Bürger die richtigen Politiker wählen, was allerdings sehr schwierig ist.

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