> Helmut Becker-Floris: Aus meinem Leben im Dritten Reich 1935-1939

Helmut Becker-Floris: Aus meinem Leben im Dritten Reich (1935-1939)

Dieser Eintrag stammt von Helmut Becker-Floris (*1928 ) aus Hamburg, November 2005:

In die Volksschule in Hamburg kam ich 1935. Gleich am ersten Tag hatte ich ein Erlebnis, das ich nicht vergessen habe. In unserem Klassenzimmer stand quer zu den Schulbänken eine Schulbank mit mehreren Sitzen. Auf diese Plätze mussten sich die jüdischen Kinder die Zigeunerkinder setzen. Da wir anderen Kinder eine ungerade Zahl bildeten, musste einer von uns auch auf diese Querbank. Stolz war ich, dass die Auswahl auf mich fiel - es war eine besondere Sitzposition!

Noch im selben Jahr zogen wir aus beruflichen Gründen meines Vaters nach Bremen, wo ich zunächst in die katholische Volksschule kam. Drei Jahre später wurden aus politischen Gründen die katholischen Schulen geschlossen, so dass ich für das letzte Jahr in eine andere Volksschule umgeschult wurde. Diese Veränderung bedeutete einen traurigen Einschnitt in meinem Leben, da ich die in der katholischen Schule gewonnenen Freunde wegen der großen Entfernungen zwischen unseren Wohnungen nicht mehr sehen konnte.

Die Folgen der sogenannten "Reichskristallnacht" konnte ich am folgenden Tag sehen: Auf meinem langen Weg quer durch die Stadt zur Schule waren sämtliche Schaufenster der jüdischen Geschäfte zerstört! Ich erinnere mich aber nicht an Diskussionen darüber, weder in der Schule noch im Elternhaus! 1938 kam ich zum "Jungvolk", die Vorstufe der Hitlerjugend, in die man erst mit 14 Jahren kam. Obwohl meine Eltern als praktizierende Katholiken gegen das Hitlerregime waren, befürworteten sie meinen Eintritt in das Jungvolk, damit ich in der Schule keine Schwierigkeiten bekam. Für mich war die Mitgliedschaft interessant. Zweimal in der Woche hatten wir nachmittags Dienst. Mit den Jungen aus den benachbarten Straßen kamen wir unter Leitung unseres Führers zusammen, sangen Lieder und bekamen die Arbeit der Partei erklärt. Geländespiele und die Teilnahme an einem großen Zeltlager waren natürlich besondere Erlebnisse. Außerdem trieben wir sehr viel Sport.

Gerne wäre ich Mitglied eines Spielmannszuges innerhalb des Jungvolkes geworden, um Fanfare zu blasen; aber ich war nicht musikalisch genug. So meldete ich mich zu "Reiter-HJ" und bekam kostenlos Reitunterricht. Es war für uns Kinder eine unbeschwerte Zeit bis 1939. Übrigens: Obwohl mein Vater mit 38 Jahren leitender Angestellter war, fuhr er immer noch mit dem Fahrrad in den Betrieb. Erst 1936 musste er sich aus beruflichen Gründen seinen ersten Wagen kaufen.

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