> Hermann Grömping: Kriegserinnerungen - Kriegsbeginn

Hermann Grömping: Kriegserinnerungen - Kriegsbeginn

Dieser Eintrag stammt von Hermann Grömping (*1924) aus Borken, 2015:


Kriegserinnerungen

Immer wieder habe ich es aufgeschoben, doch nun glaube ich, muß ich mal endlich damit anfangen, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Leider habe ich mein Notizbuch verloren, in dem ich 1945 nach Kriegsende meine noch frischen Erinnerungen aufschrieb. So bin ich auf mein Gedächtnis angewiesen. Aber das muß nicht unbedingt ein Nachteil sein. Dieses Herausgerissenwerden aus der Jugend, dieser erzwungene Einsatz "für Führer, Volk und Vaterland" war für mich so bedeutungsvoll, daß man das nicht vergessen könnte. Was macht es nach mehr als 40 Jahren Distanz schon, wenn manche Ereignisse vom Zeitablauf nicht mehr genau einzuordnen sind.

 

Kriegsbeginn

Meine Schwester Adelheid war besonders besorgt. Schwager Georg Heselhaus hatte sich schon auf die Beendigung seiner aktiven Wehrdienstzeit gefreut; Adelheid natürlich auch - stattdessen nun der Krieg. Auch die Siegesnachrichten aus Polen konnten unsere drückenden Sorgen nicht mindern. Unsere Familie blieb jedenfalls von dem weit verbreiteten Siegestaumel, den die Sondermeldungen aus dem Führerhauptquartier auslösten, unberührt. Vieles änderte sich natürlich. Es wurden Lebensmittelkarten ausgegeben und die allgemeine Verdunklungspflicht angeordnet. Auch die Lampen an unseren Fahrrädern mußten mit schwarzem Papier verdunkelt werden. Nur ein rechteckiger Schlitz durfte einen kleinen Lichtstrahl freilassen. Es begann nun auch die Zeit der Einquartierungen. In Borken bezog eine Wehrmachtseinheit Quartier, die vornehmlich aus Pommern bestand. Mehrere Monate beherbergten wir den Unteroffizier Willi Ulrich und den Gefreiten Gerhard Zastrow. Mit beiden waren wir sehr gut zufrieden. Schon damals freundete ich mich mit dem Kommißbrot an, das uns die beiden manchmal mitbrachten. Gerhard Zastrow meinte damals: "Bis Du mal Soldat bist, ist der Krieg längst aus." Damit irrte er allerdings, was ich mit meinen 15 1/2 Jahren noch nicht ahnen konnte.

In der Werkstatt arbeiteten wir jetzt viel für die Buna-Werke in Marl-Hüls, wo künstlicher Gummi (Buna) hergestellt wurde. Wir hatten einen PKW mit Anhänger. Hans und Josef hatten den Führerschein gemacht. Häufig fuhr Hans mit dem beladenen Hänger und einigen Schreinern nach Marl-Hüls. Im Mai 1940, mit Beginn des  Hollandfeldzugs, war die schöne Zeit für die Pommern-Soldaten in Borken vorbei. Der Abschied fiel unseren beiden sehr schwer. Die endlos vorbeifahrenden Wehrmachtskolonnen boten ein düsteres Bild. Die Soldaten wirkten irgendwie bedrückt. Von Begeisterung jedenfalls keine Spur. Die schnellen Erfolge in Holland, Belgien und Frankreich bestimmten das Kriegsjahr 1940. Im Frühjahr 1941 war Jugoslawien an der Reihe. Zu Jugoslawien hatten wir insofern eine besondere Beziehung, als Vorfahren meiner Mutter vom Niederrhein Ende des 19. Jahrhunderts nach Bosnien ausgesiedelt waren und sich dort in Windthorst (Nova-Topola) eine neue Heimat geschaffen hatten. Sie hatten es dort unter sehr schwierigen Bedingungen zu einigem Wohlstand gebracht. Mein Bruder Willi hatte übrigens zwei Besuche in Windthorst gemacht. Als Folge dieser Kontakte ergab sich, daß nach dem Jugoslawien-Feldzug Hermann Hentschel im Juni 1941 seinen Wohnsitz von Windthorst nach Borken verlegte, um bei uns als Schreiner zu arbeiten. Für mich war das günstig, denn ich verstand mich mit ihm schnell sehr gut.

Hermann Hentschel, mein Vetter Josef und ich machten im Spätsommer eine Radtour ins Bergische Land. Während unsere Soldaten sich in Rußland totsiegten, erlebten wir herrliche 14 Tage. Auch mit Lebensmittelkarten ging das überraschend problemlos. Später wurde das allerdings schlechter. An den Wochenenden waren wir damals fast dauernd an der Borkener Aa. Aus der Konkursmasse eines säumigen Kunden hatte Vater 1935 unter anderem ein Segelboot und ein Kanu sichergestellt. Das war für uns ein gefundenes Fressen.

Nachhaltig in Erinnerung haftet mir auch die Verbindung mit der Kolpingfamilie. Natürlich war eine legale Vereinsarbeit in der Nazizeit nicht denkbar. So schlichen wir uns einmal wöchentlich in die Privatwohnung unseres Präses-Vaters Kanonikus Watermann (Vater nannten wir unseren Präses, weil er für viele wirklich wie ein Vater war). Deshalb bedeuteten uns diese Abende sehr viel. Besonderes Interesse fanden dabei die Heimaturlauber, die darauf brannten, den Präses und die Kolpingbrüder wiederzusehen. Jetzt mehrten sich auch schon die Todesanzeigen in den Zeitungen: "Auf dem Felde der Ehre fiel für Führer, Volk und Vaterland..." hieß es dort meistens. In den Nächten schreckte uns häufig das Heulen der Sirenen aus dem Schlaf. Auf dem Weg zum Ruhrgebiet überflogen uns die englischen Bomberverbände. In den Scheinwerferbündeln suchten die Leuchtspursalven der Flak ihre  Opfer.  Einige  Abschüsse  konnten  wir  auch  in  Borken  beobachten.  Am 27. Dezember 1941 mußten Borkens Bürger erfahren, daß Sorglosigkeit gegenüber den überfliegenden Bomberverbänden nicht angebracht war. Gegen 22 Uhr fiel auf den Marktplatz eine englische Luftmine und richtete schwere Schäden in der Stadtmitte an. Auch die Remigiuskirche wurde schwer beschädigt. Es gab eine Anzahl Tote und Verwundete. Seit diesem Vorfall gingen auch die Borkener bei Fliegeralarm in den Luftschutzkeller und verzichteten lieber auf das Schein- werferspiel am Abendhimmel und die Chance, einen Flugzeugabschuß zu beobachten.



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