> Hermann Lohmann: Einsatz in Polen im großen Weichselbogen 1944

Hermann Lohmann: Einsatz in Polen im großen Weichselbogen 1944

Dieser Eintrag stammt von Hermann Lohmann (1925-2016) aus Deutsch Evern, Februar 2010.

Im Sommer 1944 wurde meine Division nach Einsätzen in der Toskana nach Polen verlegt.

Von dort schrieb ich an meine Eltern:
"Auf Reise, d. 3.8.44. Liebe Eltern! Wie Ihr seht, bin ich auf der Reise durch Deutschland, wohin weiß ich nicht. Wir sind schon durch Weiden (Opf.) gekommen u. dann durch Eger. In Weiden habe ich ein Paket an Euch abgeschickt per Express. Mir geht es noch sehr gut, was ich auch von Euch hoffe. Meine Adresse ist dieselbe. Nur das LgPa (Luftgaupostamt) wird sich wohl mal ändern. Herzliche Grüße Euer Sohn Hermann. Ich habe leider keine Marke!"

Am 7.8.44 schrieb ich dann an meine Eltern mit dem Absender: Soldat H. Lohmann L 55613 Lg Pa Posen:
"Liebe Eltern! Wie Ihr wohl schon aus den Wehrmachtsberichten gehört habt, hat sich unsere Division schon im Osten bewährt. Danach sind wir also vom Süden nach dem Osten gekommen. Hier in Polen geht's mir aber trotzdem auch ganz gut. Nur man versteht die polnische Sprache nicht. Hier gibt es wenigstens mal Wälder wie in Deutschland und außerdem auch Kartoffeln u. kalt ist es jetzt auch noch nicht. ... Schickt mir bitte ein Buch deutsch-polnisch. Viele Grüße Euer Sohn Hermann."

Wir sind am 31. Juli 1944 in Peri an der Etsch nördlich von Verona auf und in Eisenbahnwaggons verladen worden. Die Fahrt ging quer durch Deutschland Richtung Eger - Hirschberg/Schlesien nach Warschau. Dort tobte der polnische Aufstand gegen die Deutschen, der am 1. August 1944 begonnen hatte. Es war das Ziel der Nationalpolen, sich selbst von den Deutschen zu befreien, bevor der Russe Warschau einnahm. Die Russen aber blieben unmittelbar vor Warschau stehen und unterstützten die Polen nicht. Stalin war es nur recht, dass Deutsche und Nationalpolen sich gegenseitig umbrachten. Stalin wollte kein unabhängiges Polen, sondern ein kommunistisches. Hilfegesuche der polnischen Aufständischen lehnte Moskau ab. Die Westalliierten warfen Waffen, Munition und Nahrungsmittel über der Stadt ab. Nach 64 Tagen, am 2. Oktober 1944 kapitulierte die polnische Heimatarmee.

Unsere aus Italien anrollenden Transportzüge waren von Partisanen "angemeldet" worden. Beim Ausladen am Stadtrand von Warschau wurden wir mit Granaten und Infanteriefeuer empfangen. Glücklicherweise sind wir im Warschauer Aufstand nicht eingesetzt worden, sondern fuhren am Stadtrand entlang südwärts. Die Rauchschwaden von den Bränden, die nach der Bombardierung durch deutsche Stukas entstanden, konnten wir aus der Ferne beobachten. In den ersten Tagen kämpfte unsere Division zunächst Südostwerts von Warschau bei Wolomin. Es gelang, das sowjetische III. Panzerkorps hier am 23. August 1944 vernichtend zu schlagen. Wir sind dann bis Anfang Oktober 1944 im großen Weichselbogen bei Radom geblieben.

Ganz so harmlos wie sich die Briefe an meine Eltern anhören, war es damals an der Ostfront nicht. Allerdings wurde es später im September etwas ruhiger an der Front. Seitdem der Wetterwagen mit allen Geräten auf der Via Aurelia in Italien verbrannt war, wurde ich innerhalb der Beobachtungsbatterie beim Schallmesszug eingesetzt. Mittels eines Schallmessverfahrens, wie vorne bereits dargelegt, wurde Feindaufklärung, insbesondere der feindlichen Artillerie, betrieben. Hierbei wurden an mehreren Stellen hinter der Hauptkampflinie Mikrofone angebracht. Infolge der unterschiedlichen Entfernung zum feindlichen Geschütz erreichte der Schall zu unterschiedlichen Zeiten die ausgelegten Mikrofone. Dadurch war das Errechnen des Standortes der feindlichen Geschütze möglich.

Im großen Weichselbogen bei Radom. Am 10.8.44 schrieb ich dann:
"Heute sind wir endlich wieder in unserer Stellung angekommen, so dass wir wieder einen Tisch haben und man mal wieder gut schreiben kann. Mir geht es immer noch sehr gut und der Iwan macht auch nicht viel zu schaffen, nur die Straßen sind sehr schlecht, teils versandet, teils verschlammt. Da ist es in Deutschland bedeutend besser. Auch die Polacken-Läusekaten sind "toll". Noch habe ich ja keine von den netten Tieren und hoffentlich dauert es noch ein bißchen, bis wir sie kriegen."


13.8.44:
"Liebe Eltern! Heute bekam ich zum ersten Male in Polen Post von Euch u. zwar gleich 6 Briefe. Ich habe mich sehr gefreut über die Briefe, denn es ist immer wieder ein Stück Heimat, wenn man so die Post liest. Als Ihr Eure Briefe schriebt, wart Ihr natürlich noch der Meinung, dass ich in Italien wäre. Aber Ihr wisst wohl jetzt schon, dass unsere Division im Osten in Einsatz ist. Ihr braucht darum keine Angst zu haben, denn es ist hier besser als in Italien, weil erstens statt der feindlichen Flugzeuge den ganzen Tag über deutsche Flugzeuge rumschwirren und die Ari (Artillerie) vom Iwan kommt auch kaum zu Schuss, weil wir sie gleich aufklären und zur Sau machen. Also ist der Einsatz hier nur halb so anstrengend u. gefährlich wie in Italien."


18.8.44:
"Es ist ja toll, dass die Amerikaner auf der Feldkoppel (ca. 200 m vom Dorf) eine Bombe abgeworfen haben. Aber ich glaube ja nicht, dass es Absicht gewesen ist, denn sonst hätten sie wohl mehr geworfen. Ihr könnt Euch ja ein Deckungsloch bauen, wenn Ihr es für nötig haltet. Wir haben hier auch so etwas und ich muss sagen, dass man gegen Bombensplitter 99 % sicher ist, wenn nicht gerade eine ins Loch fällt. Und das passiert unter 1.000 Fällen einmal."

Ich wundere mich heute über das, was ich damals alles nach Hause geschrieben habe. In den folgenden Briefen steht nichts Aufregendes. Im großen Weichselbogen nordostwärts Radom war es damals nach den Kämpfen um den Weichselbrückenkopf Warka-Magnuszew an der Front verhältnismäßig ruhig.


17.9.1944:
"Gestern habe ich große Jagd gemacht und 42 Flöhe und 7 Läuse erlegt. Aber jetzt haben wir unsere Wäsche mit Lausemittel imprägniert, was die Läuse 3 Monate fernhalten soll. Hoffentlich hilft es gut. Letzte Nacht hat es hier zum ersten Male gefroren. Aber wir liegen hier gut und schön warm. Im Winter werden wir den Backofen heizen und dann lass man frieren."

Ich erinnere mich daran, dass ich möglichst lange draußen im Freien geschlafen habe, obwohl ein Polenhaus, welches von der Bevölkerung verlassen war, zur Verfügung stand. Dadurch wollte ich erreichen, möglichst lange von den dort vorhandenen Plagegeistern, wie Wanzen, Flöhen und Läusen verschont zu bleiben. Als es dann nachts zu kalt wurde, bin auch ich in das Polenhaus gezogen, wo wir auf dem Holzfußboden schliefen. Sofort hatte auch ich zahlreiche Wanzen, die sich nachts von Decke und Wänden auf uns fallen ließen. Diese stinkenden Blutsauger hatte ich auch morgens noch am Körper. Wir haben sie abgesammelt und zunächst in Streichholzschachteln gesteckt, damit sie nicht wieder entwischen konnten. An den Einstichstellen erzeugten diese Biester erheblich juckende Schwellungen. Von den Plagegeistern haben mich die Wanzen am meisten gequält, obwohl die zahlreichen Flöhe neben den Kleiderläusen auch sehr unangenehm waren. Wenn wir Soldaten in ein unbewohntes Polenhaus hineinkamen, hatten wir immer den Eindruck, dass uns die dortigen hungrigen, blutgierigen Menschenflöhe von allen Seiten ansprangen.

In diesem Herbst 1944 muss ich doch wohl Heimweh gehabt haben, denn ich schrieb am 3.10.1944 u.a.:
"Mutter, Du hast schon recht, wenn Du schreibst, dass ich mir wohl kaum mehr vorstellen könne, wie es zu Hause aussieht. Ja, ich muss zugeben, dass es schon fast wirklich so ist. Obwohl ich wohl noch genau weiß, wo alles steht, so kommt mir doch alles wie ein Märchen vor, wie ein Traum, den ich heute Nacht geträumt habe. Wer hätte im letzten Jahre im August auch gedacht, dass es 13 Monate dauern würde und wir hätten uns noch nicht wieder gesehen und wer weiß, wie lange es noch dauern wird, bis ich endlich mal das Glück habe, in die Heimat zu den Eltern zurückzukehren. In der Fremde weiß man erst richtig die Eltern und die Heimat zu schätzen. Wie etwas Heiliges kommt einem vor, was man früher kaum gesehen oder gar gekränkt hat. Jeder Baum, jeder Strauch und jeder Graben und Fluss und jeder Acker und jede Wiese kehren wieder in Gedanken zurück und mir ist, als ob ich darüber hinwandle, noch einmal auf dem Acker bin, im Wald oder in den Wiesen. Und wenn man dann zum Heimatdorf geht, so steht es vor einem und man geht hinein und begrüßt die Leute, die von der Tagesarbeit nach Hause kommen und gelangt durch die Straßen nach Hause. Jedes Zimmer und jede Tür tut sich auf zu einem neuen Zimmer, bis man durch das ganze Haus gegangen ist und dann in den Garten und man sieht jedes Stück Erde noch so, wie man es verlassen hat. Man geht noch mal zum Bahnhof und sagt seiner Heimat noch einmal Lebewohl. Nur einer, der fern von der Heimat unter fremden Völkern gelebt hat, hat seine Heimat lieben gelernt.
Liebe Eltern, mögt Ihr denken, ich philosophiere, aber Ihr werdet es doch verstehen. Oft habe ich Euch geärgert; aber damals war ich noch zu dumm, um zu begreifen was es heißt, noch Eltern und eine Heimat zu haben. Jetzt wo ich fern der Heimat bin, habe ich es schätzen gelernt."


Wenn ich heute, nach mehr als 60 Jahren, als 84-jähriger diesen Brief lese, bin ich doch erstaunt, wie intensiv ich damals als 19-jähriger Soldat meine Liebe zur Heimat auszudrücken vermochte. Meinen Eltern habe ich damals sicherlich keinen guten Dienst erwiesen, denn sie mussten erkennen, wie sehr ich unter Heimweh litt.

Wie ich aus meinen Briefen ersehe, war es damals in Polen an der Front relativ ruhig. An meinem 19. Geburtstag am 6.10.1944 freute ich mich über die erhaltene Post. Ich bedankte mich besonders für die erhaltenen Fußlappen für meine Stiefel und Puddingpulver zum Puddingkochen, sowie ein Sternbüchlein zum beobachten der Sterne bei Nachtwachen.

Meinem Vater schrieb ich dann am 7.10.1944 zu seinem 57. Geburtstag am 17.10. u.a.:
"Hoffentlich wird es sich bald fügen, dass wir uns alle wieder sehen und auch unser lieber Heinz aus der Gefangenschaft zurückkommt. Hoffentlich wird es gelingen, dass dieser Krieg bald ein Ende nimmt."

Das war mein letzter Brief aus Polen. Wir lagen in dieser Zeit in der Nähe des Flusses Radomka nördlich Radom. Nun ging es nach Ostpreußen, wo wir uns sowjetischen Angriffen erwehren mussten.

lo