> Hildegard Kramer: Kriegserlebnis einer Säuglingskrankenschwester

Hildegard Kramer: Kriegserlebnis einer Säuglingskrankenschwester

Dieser Eintrag stammt von Hildegard Kramer (*24. April 1913, ✝ 8. August 2016) aus Hannover, 31.05.2002:

Nun habe ich mich doch dazu entschlossen, ein mehr als 60 Jahre zurückliegendes Kriegserlebnis zu Papier zu bringen. Ich beabsichtige damit, ein Erlebnis während meines Aufenthaltes als kriegsverpflichtete Säuglingsschwester in der Harzstadt Quedlinburg zu dokumentieren.

Ich wurde 1913 in Hannover geboren. Meine Ausbildung war von 1932 bis 1934 in Hannover und Wuppertal-Barmen im DRK. Bevor ich nach Quedlinburg kam, arbeitete ich in Wien, im Wiener DRK-Rudolfiner-Krankenhaus (es wurde während des Krieges umbenannt). Als die ersten Bomben auf Hannover fielen, hatte ich Angst um meine alten Eltern, hinzu kam viel Heimweh. So bat ich Frau Oberin um eine Versetzung - nicht allzu weit von Hannover entfernt. So landete ich in Quedlinburg und man setzte mich in einer Planstelle auf der Säuglingsstation ein. Dies Haus bildete auch braune Schwestern aus, so trug man mir schnell zu, dass meine Vorgängerin unbedacht ein Zitat ihres Vaters äußerte: "Wir werden nicht siegen". Diese junge Schwester wurde denunziert und an die Ostpreußenfront strafversetzt. Aus Verzweiflung ging sie in die "Masuren".

Eines Abends, ich war gerade noch im Spätdienst, brachte mir ein Autofahrer eine russische Zwangsarbeiterin. Sie erwartete ihr neuntes Kind. Ich telefonierte nach Hilfe, doch es war niemand mehr erreichbar. In der Geburtenhilfe hatte ich nur eine theoretische Ausbildung und durfte nur im Notfall Hilfe leisten. Dieses galt für mich als Notfall, also handelte ich. Alles verlief komplikationslos. Als ich dem Kleinen gerade mit Streicheleinheiten den ersten Schrei entlockte, betrat unsere Stationsärztin, eine Chirurgin, den Saal. Sie gratulierte mir zum ersten Gelingen und sagte leise: "Sie ist eine Jüdin". Die Ärztin übernahm den Rest der medizinischen Versorgung und es gelang uns, Mutter und Kind drei Tage zu verstecken. Die Stationsärztin kümmerte sich später noch um die Entlassung beider.

Der Stationshebamme war es jedoch nicht entgangen. Sie drohte fortan mit Verrat bei der Oberin. Die mit mir aktiv gewesene Ärztin verfügte in dem Hause über Rang und Namen. Die Hebamme indes war ohne Zeugen und zudem abhängig von der Ärztin in der Arbeit. Ich bekam fortan jegliche Repressalien zu spüren. Sie versteckte Kinderwäsche und Seife, so dass ich die Säuglinge nicht baden konnte und verspätet zur Arbeit kam. Wenn ich aus Zeitmangel mein Mittagessen nicht einnahm (die Schülerinnen brachten mir dann das Essen auf die Station), schüttete die diverse Person mein Essen in den Abfalleimer. Es folgten noch andere Bösartigkeiten.

Der psychische Druck nahm zu und ich bekam Nervenfieber. Aus Sorge, dass ich im Fieber reden könnte, bekam ich von der Ärztin Schlaf- und Beruhigungsmittel. Vom Fieber endlich genesen, vermittelte mich die Ärztin auf meinen Wunsch wieder nach Wien, wo ich mit der alten Zuneigung empfangen wurde.

Dieser Bericht wurde anlässlich eines Projektes der "Geschichtswerkstatt Hannover" von Frau Hildegard Kramer, Hannover, zur Verfügung gestellt und in der Zeitschrift "Widerstand" (Heft Nr. 4, 10/2000) publiziert.

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