> Ilse Schier: Kriegstrauung 1941

Ilse Schier: Kriegstrauung 1941

Dieser Eintrag stammt von Ilse Schier-Weimann (*1924) aus Berlin: ilseschier-weimann@web.de März 2011 Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: "Die Frau hinter der Theke. Lebensgeschichte einer Berlinerin" erschienen im Frieling-Verlag Berlin, 2008

/lemo/bestand/objekt/schier_009 Seit 1935 lebte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester in Schillen (Szillen) in Ostpreußen. Dann wirbelte 1940 ein Brief aus Berlin von Tante Klärchen alles durcheinander und veränderte unser Denken und Handeln: Sie bot nämlich meinen Eltern ihre Gaststätte in Berlin zum Kauf an für siebzehntausend Reichsmark, weil sie nach Jahren einen neuen Lebenspartner gefunden hatte und ihm folgen wollte. Tage- und Nächtelang haben die Eltern an einer Entscheidung gebastelt. Sollten sie den Sprung wagen? Ihre Existenz im Dorf Schillen war aufgrund des Krieges zertrümmert, da schien Berlin nicht nur ein Strohhalm, sondern ein dicker Balken zu sein, der ihnen gereicht wurde. Und das erforderliche Geld hatten sie sich erarbeitet.

Nun ging die Feldpostbriefe zwischen meinem Verlobten Reinhard und mir hin und her: "Ich soll mitgehen nach Berlin!" "Dann lass' uns noch vorher heiraten", schrieb er zurück. Keiner wollte sich dem verschließen. Und wieder purzelten in der Familie die grauen Zellen durcheinander: Nachdenken, ob wir das alles in die Reihe kriegen - Organisationstalent war gefragt. Und als alle Einzelheiten durchgesprochen waren, fiel die Entscheidung für Berlin! In Berlin erwartete uns ein Eck-Restaurant in der Neanderstraße 28, eine urige Kneipe in Stadtmitte (heute U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße) und in der zweiten Etage eine Drei-Zimmer-Wohnung. In der ersten Etage war das Polizeirevier 13 etabliert - sichere Gäste, spekulierten wir schon! Vom verschlafenen Dorf in die Häuserwüste Berlin, die Straße ohne Baum und Strauch...

Was nun kam, kann sich jeder ausmalen. Der Hochzeitstermin wurde auf Rosenmontag, den 24. Februar 1941, festgelegt; der Umzug nach Berlin sollte zum 1. März 1941 erfolgen. Da Reinhard als Wachtmeister Berufssoldat und auf 12 Jahre verpflichtet war, musste ich als seine künftige Ehefrau für die Heirat den "Arischen Nachweis" erbringen. Wochenlang war ich damit beschäftigt, die Standesämter um die entsprechenden Dokumente zu bitten. Gottlob kriegte ich alles Erforderliche zusammen und konnte somit meinen "Ahnenpass" vorweisen. Das Hitler-Regime hatte seine eigenen, besonderen Ansprüche und Gesetze auch für die Wehrmacht: die "Arische Rasse" als Herrscher über die "Untermenschen" als Ziel. Aus der Sicht des heutigen globalen Völkermix war die Nazi-Arroganz ungeheuerlich!

Meine Eltern mussten auch ihre Einwilligung zur Hochzeit geben, da ich noch nicht mündig war.

Die ganze Familie hatte mit der Organisation der für die Hochzeit notwendigen Dinge zu tun und meine Schulfreundinnen teilten mit mir meine Aufregung. Aber es begann auch das Abschiednehmen. So richtig begriffen hatten wir es überhaupt noch nicht. Die bäuerliche Verwandtschaft verstand ohnehin nicht, wie das abenteuerliche Vorhaben in Berlin funktionieren sollte, denn nur meine Mutter kannte sich in der Gastronomie aus. Sie war unser perfekter Lehrmeister und der Motor des ganzen Unternehmens!

/lemo/bestand/objekt/schier_017 Der Hochzeitstermin rückte immer näher, Reinhard befand sich mit seiner Einheit an der Atlantik-Küste in Frankreich, in Quimper. Er hatte an dem "Blitzkrieg" teilgenommen und zum Glück alles unbeschadet überstanden. Es folgte die Besetzung der französischen Gebiete, und so wurde die Steilküste des Atlantiks für die deutschen Landser zu einem unvergesslichen touristischen Erlebnis. Sie bekamen die Möglichkeit, an Segeltörns teilzunehmen und auch sonst das "Leben in Frankreich" kennen zu lernen, was sie sehr genossen. Der Kontakt zur Zivilbevölkerung war zwar kriegsbedingt, aber es zeigte sich bei vielen Soldaten, dass sie gar nicht feindselig sein wollten, im Gegenteil. Ich entnahm dies damals aus Reinhards Schilderungen und seiner persönlichen Einstellung.

Mit Pfarrer Jordan in Schillen hatten wir alles wegen unserer kirchlichen Trauung besprochen - die standesamtliche Heirat war auch vereinbart. So konnte das Ereignis stattfinden unter den Augen des ganzen Dorfes. Reinhard hatte ein Auto für die Fahrt zum Standesamt organisiert und steuerte es auch selbst. Der überaus strenge Winter in dem Jahr hatte die Straßen vereist, Kopfsteinpflaster führte bergan zur Kirche. Auf halbem Wege drehten die Räder durch und der Motor versagte, wir trudelten rückwärts... Um dann wieder neu zu starten und zum Ziel zu gelangen. Wer abergläubig war, machte sich Gedanken, und die sind bekanntlich frei. Die Panne hat Reinhard und mich jedoch kaum berührt. Uns beglückte ja das Hochzeitsfest: Ich erhielt kostbare Geschenke, so von Reinhard aus Frankreich Chanel Nr. 5 und wunderschöne Bretonische Handarbeiten, die ich heute noch besitze; irgendwie wurden sie gerettet. Nicht gerettet, sondern vergraben in Schillen ist ein edles japanisches Teeservice mit meinem gesamten Hausrat...

/lemo/bestand/objekt/schier_018 "Kriegstrauung" - unter dieser Überschrift lief auch unsere Hochzeitsfeier ab; jeder hatte so seine eigenen Gedanken im Hinterkopf. Das hielt unsere Gäste jedoch nicht davon ab, den üblichen Schabernack zu treiben, z.B. unter dem Bett des frisch vermählten Paares heimlich Glocken anzubringen... Eine Hochzeitszeitung beleuchtete die Vergangenheit und die Vor- und Nachzüge von Braut und Bräutigam ("Nase, mitten im Gesicht hindert beim Küssen" war nur eine von vielen Feststellungen) und es gab ein Festmahl, zu dem die Verwandtschaft beigetragen hatte. Ein weißes Seidenkleid, Myrten-Kranz und Schleier schmückten mich Mädchen nun als frisch gebackene Ehefrau - eine Rolle, in die ich noch hineinwachsen musste. Ich hatte gottlob keine Ahnung von dem, was da auf mich zukam. Reinhards Abschied in Richtung Krieg verlief wie immer sehr tränenreich, mich hat's zerrissen.

Der bevorstehende Umzug nach Berlin lenkte dann aber von all dem Schmerz ab, es gab viel zu tun - und wir packten es.


Weitere Beiträge von Ilse Schier-Weimann:

  • Ilse Schier-Weimann: Berlin im Krieg

 

  • Ilse Schier-Weimann: Bombenhagel auf Berlin
lo