> Ingeborg Marotzki: Einmarsch der Engländer in Wilhelmsburg

Ingeborg Marotzki: Einmarsch der Engländer in Wilhelmsburg

Dieser Eintrag stammt von Ingeborg Marotzki aus Hamburg, Juli 2002:

Wir hatten Glück, in Wilhelmsburg nicht ausgebombt zu sein, und so verfolgten wir in den letzten Kriegstagen die Radiosendungen, wenn nicht gerade Stromsperre war.

Die Engländer standen kurz vor Harburg. Weil sehr schönes Wetter war, saßen wir oft mit Nachbarn vor der Haustür und warteten darauf, was kommen würde. Wir erörterten immer wieder alle möglichen Gerüchte. Bis dann endlich am 3.Mai 1945 die kampflose Übergabe Hamburgs bekannt gegeben und Ausgangssperre verhängt wurde.

Die britischen Truppen fuhren in endlosen Kolonnen, mit Panzern, Jeeps, Last- und Mannschaftswagen von Süden kommend über die schnurgerade heutige Wilhelmsburger Georg-Wilhelm-Straße nach Hamburg ein.

Um mir dieses Ereignis nicht entgehen zu lassen, war ich trotz Ausgangssperre durch die Straßen geschlichen, immer an den Wänden entlang, bis ich einen geschützten Platz fand, von dem aus ich alles beobachten konnte. Es war eine merkwürdige Stimmung. Die unheimlich stillen, menschenleeren Straßen, die Häuser mit geschlossenen Fenstern und dagegen die Geräusche von Panzerketten und hunderten von Fahrzeugen - stundenlang. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich war froh, daß sie endlich kamen.

Da meine Familie überzeugte Gegner des Naziregimes waren, fühlte ich mich befreit. Endlich konnte ich ungefährdet sagen, was ich dachte! Meine Eltern hofften auf eine Demokratie unter besseren Voraussetzungen als zur Weimarer Zeit, auch wenn wir alle glaubten, wir müßten mindestens zehn Jahre warten, bis es wieder alles ohne Lebensmittelmarken zu kaufen gäbe.

Eines aber kam mit dem 8. Mai gewiß: keine Luftangriffe mehr, nie mehr in den großen Bunker, der ständig mit mehreren tausend Menschen überfüllt war. Endlich wieder in Ruhe schlafen. Waffenstillstand!

lo