> Josepha von Koskull: Antinationalsozialistische Parolen

Josepha von Koskull: Antinationalsozialistische Parolen

Aufzeichnungen aus der Autobiographie von Josepha von Koskull (1898-1996) aus Berlin, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 98/501):


Nach der Kapitulation von Stalingrad im Februar 1943 sah ich an einer Häuserwand angeschrieben "1918". Nichts weiter als diese Jahreszahl, die die Erinnerung an die Lage Deutschlands im Weltkrieg im Jahre 1918 wieder wecken sollte. Ich fand diese Inschrift sehr einprägsam und habe meinerseits an vielen Stellen die Zahl 1918 hingeschrieben. Meist tat ich es morgens früh um halb acht auf dem Weg durch die dunkle Nürnberger Straße. Ich hatte einen besonderen Stift, einen Dermatographen, wie ihn die Ärzte benutzen, um auf dem Körper der Patienten etwas anzuzeichnen.

Von diesem Stift hatte ich ein kleines Endchen abgeschnitten. Wenn man nämlich derartige Parolen schreibt, muß man das Schreibmaterial rasch wegwerfen können; im Falle man beobachtet worden ist und zur Rede gestellt wird, darf sich der Stift nicht finden lassen. Ebenso wie man von Flugblättern nie mehr als ein Stück bei sich haben darf, sonst ist man hinreichend verdächtig, sie zu verteilen, während man bei nur einem Stück behaupten kann, es aufgelesen zu haben. Wenn ich nachmittags vom Dienst die Nürnberger Straße oder eine andere Straße zur U-Bahn entlang ging, dann sah ich mir die Stellen an, wo ich morgens im Dunkeln "1918" anschreiben könnte. Tags drauf sah ich die Jahreszahl mit schwarzer Ölfarbe überstrichen: da waren Parteileute unterwegs gewesen und hatten meine Inschriften und die anderer "Saboteure" übermalt.

An der U-Bahn Rüdesheimer Platz waren auf dem unterirdischen Bahnsteig große Plakate mit den Spielplänen der Staatstheater angebracht, auf deren weißem Rand las man oft Parolen wie "Hängt Goebbels" oder einen Galgen und daneben ein "H", man wußte schon, was das zu bedeuten hatte. Dann waren am nächsten Tag die beschmierten Plakate durch neue ersetzt. Wenn es möglich war, schrieb ich immer ein "Ja" dazu.

Es klingt sehr einfach, aber es war recht aufregend, etwas anzuschreiben, denn wenn man dabei gesehen wurde, hätte es die schwersten Folgen haben können. Ich hatte auf alle Fälle die Ausrede bereit, ich habe die Inschrift ausstreichen wollen, weil sie mich beleidigte. Am leichtesten war es, nach nächtlichen Luftalarmen an die Litfaßsäulen Parolen anzuschreiben. Ich weiß wohl, daß diese Schreibereien durchaus kein Heldenstück waren und daß sie auch nichts nutzen konnten. So, wie es aber mich erfreute, wenn ich eine derartige Inschrift "1918" oder "Hängt Goebbels" irgendwo entdeckte, so wolle ich meinerseits Gleichgesinnten ein Lebenszeichen geben, indem ich Parolen anschrieb.

Übrigens habe ich später einmal eine großartige Inschrift gesehen. Es war ganz am Ende des Krieges, da wurde Propaganda gemacht, daß die alten Leute sich freiwillig zum Dienst bei der Luftverteidigung melden sollten, und es waren dazu Plakate gedruckt, auf denen ein alter Großvater und eine weißhaarige Großmutter mit strahlend zufriedenen Gesichtern von sich behaupteten, wie gern sie ihre Kriegsarbeit machten. Am Breitenbachplatz hatte jemand mit verstellter, ganz kindlicher Schrift dazu geschrieben "Opa dof" und "Oma dof"; nun heißt "dof" im Berliner Jargon bekanntlich dumm, beschränkt, und die Straßenkinder schreiben mit Kreide auf die Bürgersteige, wer von ihren Spielgefährten "dof" ist.

Die Person, die auf dies Propagandaplakat "Opa dof", "Oma dof" schrieb, hatte damit das Bild und den Text schlagend ad absurdum geführt! Ebenso erschien in den letzten Kriegsmonaten das riesige, grob gemalte Bild des "Schattenmannes", ein an die Häuserwände gemalter Schatten mit der Parole "Pst!", das heißt: "Schweige!", "Feind hört mit!" (übrigens ein Schlagwort aus dem ersten Weltkrieg!} und die Berliner, die am "Endsieg" zu zweifeln wagten, nannten das Bild "Adolf türmt!" das heißt "Adolf rückt aus". Diese Bezeichnung war auch aus echt Berliner Witz geboren. Man konnte den "Schattenmann", dessen Abbildung man an jeder nur möglichen Stelle von Partei wegen hingemalt hatte, nur noch lachend betrachten, wenn man diese Parole kannte. Manchmal sah man eine kleine Reisetasche in seiner Hand, dann war es noch komischer.

Noch eine kleine Geschichte über die Propagandaplakate: in den allerletzten Wochen, als die Partei zum Kampf um, in und hinter Berlin rüstete, den uns Dr. Ley vorhergesagt hatte, (er fand dafür keinen Glauben, man konnte einfach nicht annehmen, daß Berlin wirklich verteidigt werden sollte!), damals also wurden mit den primitivsten Mitteln und vielfach durch Frauenarbeit östlich und nördlich von Berlin Panzergräben und Tanksperren gebaut. Ein kleines Plakat, massenhaft verbreitet, warb für diese Frauenarbeit. Ich schrieb darunter: "Warum denn noch Gräben schippen? Zieht doch einfach ein paar Strippen!" (in Berlin nennt man Bindfaden "Strippe" und mein Vers sollte darauf hinweisen, wie nutzlos die "Schipperei", das Graben, wäre). Ich hatte die Freude, meinen Vers noch zweimal von fremder Hand geschrieben zu sehen.

lo