> Josepha von Koskull: Kriegsalltag und Kriegspropaganda

Josepha von Koskull: Kriegsalltag und Kriegspropaganda

Aufzeichnungen aus der Autobiographie von Josepha von Koskull (1898-1996) aus Berlin, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 98/501):


Mein Bekannter Kotik und ich gingen in den ersten Kriegsjahren noch öfter als sonst in die Oper, ins Theater. Es war der einzige Ausgleich für all die schrecklichen Ereignisse, von denen man täglich erfuhr. Er war gern unter Menschen und in Lokalen mit guter Musik, wie in der "Traube", wo man nicht gar so eng beisammen saß und nicht von den Nachbartischen belauscht werden konnte.

Ich habe die Musik der an und für sich sehr gut spielenden Kapelle in der "Traube" nach einigen Jahren nicht mehr hören mögen, sie hatte immer das gleiche Repertoire, spielte jeden Abend zu gleicher Zeit die gleichen Tangos und andere Schlager. Wenn um acht Uhr der "Wehrmachtsbericht" aus dem Lautsprecher dröhnte, war Kotik verschwunden. Er konnte es einfach nicht mitanhören, nahm an der Garderobe Mantel und Hut und machte einen kleinen Spaziergang, während ich allein am Tisch blieb und auf ihn wartete. Ganz schlimm war es, wenn plötzlich unerwartet eine "Sondermeldung" durchgesagt wurde. Kotik erstarrte vor Abscheu und Wut, wenn das Lied "Wir fahren gegen Engelland" erklang. Wir hoben dann unsere Gläser und tranken "auf den Sieg der Alliierten!". Die "Traube", Berlins schönstes Restaurant, unser Stammlokal, in dem uns jeder vom Geschäftsführer bis zur Blumenfrau kannte, brannte im Herbst 1943 beim ersten großen Bombenangriff auf Berlin ab.

Wenn ich jetzt, da unser Leben im zertrümmerten Berlin so proletarisch und ärmlich geworden ist, an diese ersten Kriegsjahre zurück denke, an die schönen Theater- und Opernabende, an die Selbstverständlichkeit, mit der ich in den eleganten Kleidern durch schöne Restaurants ging, an die vielen Flaschen Sekt und alten Rotwein, die Kotik und ich "auf den Sieg der Alliierten" tranken, kommt es mir wie ein Traum vor. Das alles könnte eine so heitere und schöne Erinnerung sein, aber sie ist es nicht, denn die Zeiten waren beschattet von der furchtbaren Gewißheit, daß dieser Krieg ein schreckliches Ende nehmen würde.

Zu Anfang des Krieges war die Lebensgefahr für den einzelnen noch nicht in Erscheinung getreten, die schweren Bombenangriffe fingen erst im Herbst 1943 an. Noch ahnte ich nicht, wie viele Freunde und Verwandte ich durch den Krieg und durch die Nazi-Schergen verlieren würde. Aber damals schon sagte ich: "Ich will gern ganz ärmlich leben, schwer arbeiten, meine Kleider zehn Jahre lang tragen, wenn nur das "Dritte Reich" zu Grunde geht!" Und heute, da man wieder sprechen und schreiben kann, was man denkt, bin ich glücklich und von diesem furchtbaren Druck erlöst, der damals auf uns lag. [...]

Kotik war während des Krieges mehrmals in Italien und fand dies früher so sehr geliebte Land so sehr verändert, so trostlos, so von den Deutschen geknechtet. Zu Weihnachten schenkte er mir "eine Italienreise, stellte die Mittel dafür bereit, aber ich wollte nicht allein reisen und er konnte sich nicht losmachen. So bleibt mir nur die schöne gemalte Geschenkurkunde, die er mir unter den Weihnachtsbaum legte.

Ich erinnere mich, daß mir Kotik nach seiner Rückkehr aus Italien schon im Frühjahr 1941 an einem Abend im Restaurant des "Eden-Hotels" erzählte, die Spannung zwischen den deutschen und den italienischen militärischen Stellen nehme zu. So sage man, der Führer rede bereits Mussolini nicht mehr mit dem Wort "Duce", sondern nur noch mit "Siece" an und nenne ihn nicht mehr "Benito", sondern "Finito".

Diese Anekdoten waren immerhin nicht bloß komisch, sondern als Zeichen der Stimmung zu werten. Ein Jahr später kursierte an meiner Arbeit in der ABP [Auslandsbriefprüfstelle] handschriftlich verbreitet eine ebenso bezeichnende Anekdote, diesmal auf die Stimmung der Truppen in Nordafrika anspielend: "Italienischer Heeresbericht vom 1. 1. 42. Einer großen italienischen Einheit gelang es, an der Tobrukfront einen feindlichen Radfahrer zum Absteigen zu zwingen. Das Vorderrad wurde am Boden vernichtet. Mit dem Verlust des Hinterrades ist mit Sicherheit zu rechnen. Die Lenkstange befindet sich in unserem Besitz. Um den Rahmen wird noch gekämpft."

Als ich diese Anekdote meinem Bekannten Ri, einem überzeugten Nazi, erzählte, ging er hoch vor Zorn. Wie man die Tapferkeit unserer Bundesgenossen anzuzweifeln wage, rief er. Man sollte die Verbreitung derartiger Anekdoten anzeigen! Der Führer und der Duce seien die engsten Freunde und Waffengefährten. Ich reizte ihn, indem ich ganz kühl behauptete, Italien werde einen Sonderfrieden erbitten. "Niemals!" rief Ri. "Das tut der Duce nie und nimmer!" "Er ist auch nur ein sterblicher Mensch ..." sagte ich. Aber den Sinn dieses Ausspruches konnte Ri nicht verstehen, in seinen Augen hatten der Führer und der Duce schon die Sterblichkeit abgelegt.

Er war bestimmt bereit, einen Bericht wie den folgenden für bare Münze zu nehmen, als er im Oktober 1942 in der Zeitung stand, während ich ihn ausschnitt und wir im Freundeskreis herzlich über diese unverschämte Prahlerei lachten!

"Heldenhafter italienischer Kämpfer

Höchste italienische Kriegsauszeichnung verliehen

dnb. Mailand 29. 10.

Für die goldene Tapferkeitsmedaille, Italiens höchste Kriegsauszeichnung, wurde jetzt Mario Paolucci von den am Dom kämpfenden Schwarzhemden vorgeschlagen. Bei einem Erkundungsvorstoß wurde ihm, wie ein Frontberichter der "Stampa" ausführt, der rechte Arm von einem Granatsplitter weggerissen. Nachdem er sich den Armstumpf von einem Kameraden mit einem Taschentuch hatte verbinden lassen, warf er mit der Linken Handgranaten, ließ sich auf dem Rückweg ein Maschinengewehr auf den Rücken legen und nahm eine Munitionskiste in die linke Hand. Kaum war er auf dem Verbandsplatz verbunden worden, als er erneut nach vorn ging, wo sein Oberleutnant verwundet lag.

Da eine Maschinengewehrkugel ihm auch den Gebrauch des linken Armes unmöglich gemacht hatte, faßte er mit übermenschlicher Anstrengung seinen verwundeten Offizier mit den Zähnen am Mantel und trug ihn so aus der Feuerlinie, bis ihn eine weitere Kugel dicht vor den eigenen Reihen tödlich traf."

lo