> Jutta Schneider: Erinnerungen an Luftangriffe auf Bremen

Jutta Schneider: Erinnerungen an Luftangriffe auf Bremen

Dieser Eintrag von Jutta Schneider (*1927) aus Reisbach (wolf.jutta@gmx.de) von März 2011 stammt aus dem: Biografie-Wettbewerb Was für ein Leben!

Während des Krieges kam eine Zeit, wo ich besonders oft in der Klasse fehlte, da meine Mutti schweres Rheuma bekam und das Bett nicht verlassen konnte. Kam Fliegeralarm, schafften wir es nicht bis in den Keller, schon gar nicht mehr bis in den Bunker. Mindestens zweimal in der Nacht kamen die Bomber. Dann legte ich meinen Kopf auf die Bettdecke der Mutti und breitete meine Arme über sie und meine kleines Schwesterchen und betete ganz still: "Lieber Gott, lass hier keine Bomben runter fallen".

Am Ende unserer Straße fielen Brandbomben auf unsere Kirche und die stand in hellen Flammen. Zuerst ging niemand, um das Feuer zu löschen, denn hinterher warfen die feindlichen Flugzeuge schwere Sprengbomben. Deshalb traute sich niemand aus dem Keller. Als Entwarnung kam, war es zu spät. Der Kirchturm war eine lodernde Flammensäule und rundherum wünschten sich die Menschen, dass er nicht auf ihr Haus fiele. So auch ich, denn ich hätte die Mutti niemals allein aus dem Bett und die Treppe hinunter tragen können. Aber diesmal hatten wir noch Glück gehabt.

/lemo/bestand/objekt/schneider_09 Bald konnte Mutti wieder aufstehen und jetzt mussten wir manchmal dreimal in der Nacht unser Gepäck nehmen und um unser Leben laufen. Manchmal kam eine Vorwarnung, dann zog man sich etwas ruhiger an, setzte sich auf einen Stuhl und wartete auf den Alarm oder die Entwarnung. Man beobachtete den Himmel und hörte übers Radio, welche Route die Flugzeuge fliegen. Oft lief man vor der Warnung los, denn am Eingang des Bunkers stauten sich die Menschenmengen, und das konnte sehr gefährlich werden, wenn schon die Bomben fielen. Sah man am Himmel die "Tannenbäume", das waren Leuchtraketen, welche am Himmel schwebten, um den Fliegern ihr Ziel zu zeigen, wusste man sogar, welches Viertel bombardiert werden sollte. Ganz sicher war es natürlich nicht, denn Bomben fielen auch daneben.

Ganz schlimm waren die Phosphorbomben wenn sie platzten. Da brannte einfach alles, die Straßen, die Bäume, die Häuser und schrecklicherweise wurden viele Menschen zu lebenden Fackeln. Muttis Freundin Martha starb mit ihrem Kind im Keller, wo sie Schutz gesucht hatten. Man sah es ihnen nicht an, dass sie tot waren. Sie hatten von dem starken Luftdruck einer Sprengbombe einen Lungenriss bekommen.

War ich in der Schule und es kam Fliegeralarm, so hatte die Mutti noch mehr Angst, denn sie konnte nicht wissen, wo sie ihr Kind im Notfall hätte suchen müssen. Umgekehrt war es auch so. Ich fühlte mich am sichersten, wenn ich die Mutti und die Schwester bei Alarm dabei hatte. Nachts guckte ich im Bunker auch immer nach den Großeltern, die in einem anderen Raum saßen. Es war eigentlich kein richtiger Bunker. Es war ein sehr großes Bürogebäude. Darum konnten tagsüber nicht alle Leute aus den umliegenden Häusern aufgenommen werden. Als eines Nachts wieder ganz in ihrer Nähe Sprengbomben fielen und das Haus schwankte, sich dabei die Bänke hoben, stieg eine Nachbarsfrau aus meiner Straße auf die Bank und schrie und schrie. Sie stand dabei auf meiner Hand, die gleich anfing zu bluten. Krankenschwestern mussten kommen, um die Frau auf die Krankenstation zu bringen. Es war ganz unheimlich, denn alle anderen Leute waren still vor Angst.

Eines nachts waren die Menschen schon zweimal aus dem Schlaf gerissen worden, um in den Bunker zu gehen. Ich hatte schon ganz lange Arme vom Koffertragen bekommen. Die Mutti sagte immer: "Pack nicht so viel ein, lass die Fotos zu Hause. Es gibt wichtigere Dinge". Da stieß sie aber bei mir auf Granit. Alles konnte man kaufen, wenn der Krieg vorbei war, aber wer hätte ihnen die Fotos wiedergeben sollen? Nun war wieder Entwarnung gewesen und alle waren nach Hause gegangen. Die Mutti legte das Schwesterchen, das immer weiterschlief, im Kinderzimmer in ihr Bettchen. Ich ging mit der Mutti nach nebenan. Wir schauten noch einmal in den Himmel, um sich zu vergewissern, ob auch keine Flugzeuge zu sehen sind. Die Scheinwerfer suchten den Himmel ab und immer noch waren Leuchtraketen da oben.

Ich stand an der Balkontür, als ich ein scharfes Pfeifen über mich hörte. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und konnte mich nicht mehr rühren. "Nun ist es so weit", dachte ich und meinte damit, dass eine Bombe grad auf unser Haus fällt. Plötzlich war der Pfeifton weg. Erst herrschte eine Totenstille, dann gab es eine Erschütterung und das Haus schwankte. "Gleich - wird es zusammenfallen", dachte ich und rannte dabei schon ins Kinderzimmer, riss ihr Schwesterchen aus dem Bett und raste die Treppe runter. Nun vergaß ich sogar die Fotos.

Ich kam nur bis zur ersten Etage, von da an war die ganze Treppe voller Steine und Schutt. Vor lauter Staub konnte man seine Hand nicht mehr vor den Augen sehen. Aber die Angst trieb mich weiter mit meinem Schwesterbündelchen auf den Armen. Unten sah ich die Bescherung. Der Raum, in welchem wir immer saßen, wenn die Zeit zu knapp war, um den Bunker noch zu erreichen, war mit dicken Mauerbrocken übersäht. Im Kellerzimmer, wo der Heizer wohnte, war das Bett unter den Trümmern zusammengefallen. Nie stand der Mann auf, wenn Fliegeralarm war, aber diesmal war er nicht zu Hause gewesen. Eine Bombe war seitlich unten in das Haus eingeschlagen. Es war ein Blindgänger. Nur 3-4 Meter weiter ins Haus hinein wäre alles zusammengebrochen und die Bombe wohl explodiert und niemand im Haus hätte es überlebt.

Von diesem Zeitpunkt an zog ich mir höchstens das Kleid aus, wenn ich ins Bett ging. So war ich immer beim kleinsten Geräusch auf dem Sprung. Fortan nahm ich auch mein Schwesterchen zu mir ins Bett, und am liebsten kroch ich zusammen mit ihr zur Mutti unter die Decke.

lo