> Karl-August Scholtz: Letzter Kriegseinsatz am Frischen Haff 1945

Karl-August Scholtz: Letzter Kriegseinsatz am Frischen Haff 1945

Dieser Eintrag stammt von Karl-August Scholtz (*1920 ) aus Hamburg , Juli 2007 :

In den letzten Wochen vor Kriegsende war unsere Nachrichtenkompanie auf der Frischen Nehrung in Ostpreußen stationiert, von wo unsere Funktrupps zeitweise zu besonderen Einsätzen an Kampfgruppen im ostpreußischen Raum abgestellt wurden, soweit das in jenen Tagen überhaupt noch möglich war. Noch am 20. März 1945 wurde ein 5 Watt–Funktrupp mit Uffz. Lange, Brandner und mir nach Pillau geschickt. Von dort schipperten wir auf dem Frischen Haff nachts auf einem Prahm zum deutschen Brückenkopf Leysuhnen, nicht ohne durch Navigationsfehler an der Küste fast dem Russen in die Hände gefallen zu sein. Die Rote Armee hatte seit Wochen das Südufer des Haffs erreicht.

Schon beim Aufbau unserer Funkstelle in einem sicheren Quartier Leysuhnens vertrieb uns sehr unliebsam ein Artilleriefunktrupp wegen seiner "älteren Rechte" aus einem Kellerraum, obgleich sich die Funkfrequenzen gegenseitig nicht gestört hätten. Also suchten wir trotz schweren Fliegerangriffs eine neue sichere Unterkunft – unser Glück! Ein Volltreffer auf die Artilleriefunkstelle tötete sämtliche Soldaten – einschließlich der Funker – in dem Haus. In den folgenden Tagen brach unsere Funkverbindung zur Nehrung ab. Am 23. März war Leysuhnen wegen der russischen Angriffe, des Artilleriefeuers und der dauernden Fliegerangriffe nicht mehr zu halten. Vor dem Ausweichen in eine andere Verteidigungslinie wurde nachts noch eine letzte Mahlzeit ausgegeben. Doch in dem Tohuwabohu schüttete der Koch statt Zucker Salz in den Tee. Ein böses Omen!

Unser Funktrupp hatte Offiziere des Stabes und der Kommandantur von Leysuhnen im Schutz der Dunkelheit des frühen Morgens mit einem Ruderboot zum nahen Brückenkopf Follenberg (auch am Haff) zu bringen. Dort eingetroffen konnten wir uns nur noch schnellstens mitten im Dauerbeschuss durch Granaten und Fliegerangriffe in der Böschung des sandigen Steilufers eingraben. Es gab viele, viele Tote und Verschüttete. Trotzdem war die Böschung die Ruhestellung für die wenige Meter landeinwärts kämpfende Truppe. Unsere Funkverbindung zur Nehrung klappte auch hier nicht. War es dieser oder der nächste Tag: Ein deutscher General jagte fast im Laufschritt am Ufer entlang mit dem Ruf: Rette sich wer kann!

Sofort stürzten trotz russischen Feuers hunderte Soldaten aus ihren Erdlöchern –meist schon ohne Munition– zum Wasser und wagten als letzten Verzweiflungsversuch auf Brettern, Planken, Holztüren, leeren Benzintonnen u.dgl. über das Haff die Frische Nehrung zu erreichen. Wir hatten das einzige, nun natürlich überfüllte, Ruderboot, auch mit vielen Soldaten im Schlepp. Durch Artillerie und Tieffliegerangriffe, aber auch Unterkühlung, starben zahllose deutsche Soldaten im Wasser. Es war grauenvoll, mit welcher Brutalität auf die Wehrlosen im Wasser geschossen wurde.

Wir kamen durch und betraten am 26. März wieder die Nehrung. Dort übernahmen wir vorerst die Funkstelle bei der Kommandantur von Major Wille, der uns mit dem Ausruf "Was, Ihr lebt noch?" begrüßte. Wir erfuhren, dass seine Funkstelle wegen des Überrollens der deutschen Front uns abgeschrieben hatte und gar nicht mehr auf Empfang für uns gewesen ist! Unser kleiner Funktrupp wurde am 2. April überraschend nach Pillau gebracht, wo unsere Nachrichtenkompanie inzwischen lag. Wir sollten von Pillau nach Swinemünde verschifft werden zwecks einer Neuaufstellung in Neuruppin. Kein Gerücht – Wahrheit und unvorstellbar!

Als unsere Kompanie am Abend am 12. April im Hafen von Pillau den Dampfer Wiegand bestieg, legte das Schiff während eines Fliegerangriffs plötzlich ab. Die meisten meiner Kameraden waren schon an Bord. In dem nun allgemeinen Durcheinander sprang ich mit Gepäck, Gewehr und Gasmaske von der Kaimauer noch schnell auf die Plattform eines Fallreeps, kletterte nach oben, wurde von Matrosen über die Reling gehievt und befand mich wieder bei meiner Einheit! Erst Jahre später las ich in der Literatur, dass ein Bombentreffer, zum Glück ein Blindgänger, das plötzliche Ablegen des Schiffes verursacht haben soll.

Die Wiegand war mit Flüchtlingen voll beladen. Aber auch Angehörige der SS-Division Großdeutschland waren dabei, die an Deck noch mit Lautsprechern Deutschlands bevorstehenden Sieg verkündeten, z.B. weil Gott gerade hätte den amerikanischen Präsidenten Roosevelt sterben lassen. Der SS-Fanatismus war einfach nicht zu fassen! Beim Ausladen der Soldaten in Swinemünde bestiegen für diese wieder Flüchtlinge das Schiff zur Weiterfahrt nach Schleswig-Holstein, darunter – ich ahnte es ja noch nicht – ein Mädchen mit ihren Eltern, das ich später kennenlernte und geheiratet habe!

  • Das Kriegsende als Soldat - eine Welt brach für uns zusammen
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