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Karl Kosse: Von den Sowjets verhaftet

Dieser Eintrag stammt von Karl Kosse (*1928) aus USA, April 2001:

1945. Die deutsche Kapitulation war in Karlshorst am 8. Mai unterzeichnet worden. Wir waren in Luebben/Spreewald erleichtert, dass die Kämpfe nun doch zu Ende waren. Langsam fing das Leben wieder an. Die Trümmerfrauen und andere säuberten die Straßen vom Schott (Luebben war zu 80 Prozent zerstört, die Innenstadt war ein großer Trümmerhaufen), wir bekamen wieder Wasser and Strom, und die Entwässerung wurde auch wieder in Gang gesetzt. Und natürlich, für uns Jüngere fing die Schule wieder an. Ich war 16 Jahre alt, also zwei Jahre vor dem Abitur. Klassenkameraden vom Jahrgang 28 waren als Luftwaffenhelfer eingezogen, auch die kamen aus der Gegend von Bremen, glaube ich, zurück. Da war kein großer Unterschied in den Fächern, nur Russisch war neu als Pflichtfach eingeführt. Nachmittags verbrachten wir unsere freie Zeit zusammen, manchmal waren wir baden in der Spree, manchmal suchten wir auf den Feldern nach Zigaretten. Die Russen hatten amerikanische Pakete, die unter anderem auch Zigaretten enthielten, beim Kämpfen, auf den Feldern geöffnet, und oft mussten sie schnell weiterziehen, sodass dann manchmal einige Packungen von Chesterfield oder Camel herumlagen.

An einem Spätnachmittag kam ich dann einmal, es muss im September gewesen sein, zum Haus eines Klassenkameraden, Wofgang Varduhn, und fragte nach ihm. Da war das ganze Haus still, und endlich kam seine Großmuter raus und sagte: "den Wolfgang, den haben sie doch abgeholt!" Ich hatte dabei keine Ahnung, was das bedeutet hat. Später habe ich erfahren, dass damals auch weitere Klassenkameraden "abgeholt" worden waren. Klaus Ostermann, Frank Hartwig, Gerhard Wasserman, und noch andere 16jährige Jungen wurden verhaftet. Es war damals alles sehr geheimnisvoll, denn niemand hat darüber gesprochen. Das Gerücht war, dass sie nach Jamlitz, in der Nähe von Lieberose im Kreis Luebben in ein Konzentrationslager gebracht worden waren. Wir haben von ihnen niemals wieder etwas gehört. Im Kreis Luebben waren auch junge Mädchen verhaftet (abgeholt) worden, Man sprach von insgesamt 30 Jugendlichen aus dem Kreis Luebben. Im Allgemeinen wurden die Jugendlichen von der deutschen Polizei verhaftet und dann an die russischen Behörden (NKVD) übergeben.

Einmal wurde mein Vater auf der Straße von den Russen verhaftet und zum Verhör gebracht. Er merkte bald, dass sie den falschen Karl Kosse hatten, denn sie fragten ihn über den Turnverein, das Schulorchester, usw. Sie liessen ihn wieder gehen. Aber er kam nach Hause und meinte, dass ich aus Luebben verschwinden müsste. Bei Zufall waren Bekannte aus Berlin-Tempelhof zu Besuch (die suchten nach Nahrungsmitteln), und die nahmen mich dann in ihrer Wohnung in Berlin auf.

Bis heute weiss ich nicht, warum meine Klassenkameraden verhaftet wurden. Sie waren nicht mehr Nazi als alle anderen, eine Wehrwolforganisation gab es nicht. Ich habe niemals etwas über das Schicksal dieser Jugendlichen gehört. In Jamlitz besteht aber jetzt eine Gedenkstätte mit vielen Namen der Opfer, meistens Jugendliche, die durch Krankheit und Schwäche gestorben sind.

lo