> Lisa Schomburg: Der nette Herr Wolpert

Lisa Schomburg: Der nette Herr Wolpert

Dieser Eintrag stammt von Lisa Schomburg (*1930) aus Hamburg, Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen", Seniorenbüro Hamburg , Juni 2004 :

Meine Mutter führte vor und während des Krieges, bis zu unserer Ausbombung, ein kleines Tabakwaren- und Konfitüren-Geschäft in Hamburg-Wilhelmsburg. Ich erinnere mich an eine Begebenheit im Jahre 1941/42, als ich etwa 11 Jahre alt bin.

Der nette Herr Wolpert ist einer unserer Zigarettenlieferanten. Meine Mutter freut sich jedesmal, wenn er unseren Laden betritt. Manchmal sehe ich ihn bei solchen Gelegenheiten ebenfalls und wir begrüßen uns sehr freundlich. Nachdem er mit meiner Mutter die geschäftlichen Dinge besprochen hat, unterhält er sich auch oft mit mir. Er erkundigt sich, wie es mir in der Schule gefällt und welches meine Lieblingsfächer sind und ob ich den weiten Weg dorthin mit dem Fahrrad fahre oder zu Fuß gehe. Oft erzählt er auch von seiner eigenen Familie und er fragt mich, ob ich nette Freundinnen habe und welche Bücher ich gern lese. Beim Verlassen ruft er uns jedesmal ein freundliches "Bis zum nächsten Mal" zu.

Wir sitzen gerade am Mittagstisch, als meine Mutter ganz verstört aus dem Laden kommt und verkündet: "Stellt Euch vor, Herr Wolpert war eben hier, um sich zu verabschieden. Er trägt an seinem Mantel einen gelben Judenstern und sah sehr blaß aus. Er soll demnächst abgeholt werden." "Wo geht er denn hin?", frage ich. "Er wird in ein Arbeitslager gebracht", sagt meine Mutter, "und er wird nicht wiederkommen." Meine Mutter und meine Großmutter sehen sehr niedergeschlagen aus.

'Was sind das eigentlich für Menschen, diese Juden', denke ich, Mama hat mir nie etwas von ihnen erzählt. An den Nachmittagen, die ich als Jungmädchen in der Hitlerjugend verbringe, sagte man uns, daß Juden unehrliche und hinterhältige Menschen seien, meistens Geldverleiher und Betrüger. Dazu gehört doch aber nicht unser Herr Wolpert! Niemals!!'

Ich kann es nicht begreifen, bin fassungslos.

Wir haben ihn nie wiedergesehen.

lo