> Lisa Schomburg: In der Hitlerjugendzeit

Lisa Schomburg: In der Hitlerjugendzeit

Dieser Eintrag stammt von Lisa Schomburg (*1930 ) aus Hamburg, Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen", Seniorenbüro Hamburg, Juni 2004 :

Während meiner Schulzeit von 1940 bis 1944 mußte ich zweimal in der Woche zum Dienst, d.h. Zusammenkunft der JM (Jungmädchen) später BDM (Bund Deutscher Mädel).

Alle Mädchen und Jungen trugen Uniform. Wir Mädchen hatten eine weiße Baumwollbluse, ein schwarzes Vierecktuch, das mit einem hellbraunen Lederknoten unter dem Kragen gehalten wurde; einen schwarzen Wollrock und eine hellbraune, affenhautähnliche Jacke, die "Kletterweste" genannt wurde. Diese Uniform sah gut aus und wir trugen sie voller Stolz. Meine Ohrringe mußte ich ablegen. Es hieß: Ein deutsches Mädchen trägt keine Ohrringe!

Der Dienst wurde in einem Bauernhaus bei uns in Hamburg-Wilhelmsburg abgehalten und wir fanden es interessant, manchmal auch lustig. Natürlich wurde uns die Lebensgeschichte von Hitler, seinem Wirken und seinen Taten erzählt und bald verehrten wir ihn wie einen Gott, eigentlich mehr noch. Hermann Göring, Joseph Goebbels sowie alle obersten Generäle unseres nationalsozialistischen Deutschland wurden uns in löblichster Weise vorgestellt. Zwischendurch machten wir Gemeinschaftsspiele, was uns Spaß brachte, oder wir lernten Volks- und Marschlieder. bei Veranstaltungen mußten wir zu unserer Uniform weiße Kniestrümpfe tragen und in "Reih und Glied" oder Spalier stehen, auch wenn es sehr kalt war! Das hatte dann bei mir zu einer Nierenentzündung geführt.

Das Marschieren und fröhliche Singen hat mir gut gefallen, ich war ziemlich begeistert.

In damaliger Zeit gab es die Reichsjugendwettkämpfe. Es war wichtig, daß ein deutsches Mädchen sportlich etwas leistete. Bei diesen Wettkämpfen in Leichtathletik erhielt ich die höchste Auszeichnung: Die Goldene Nadel. Ich war gerade erst 12 Jahre alt. Die Siegerehrung fand auf dem Sportplatz statt. Wir standen wieder in Reih' und Glied, und natürlich in Uniform. Ich hatte keine Zeit mehr, nach den Wettkämpfen meine Turnschuhe in die Ablagen zu legen und versteckte sie krampfhaft unter dem linken Arm, der rechte Arm war ja geradeaus, halbhoch, gestreckt. Es mußte alles wie 'geleckt' aussehen und ich hatte Angst, daß man meine Turnschuhe entdecken würde. Gottseidank stand ich in dritter Reihe, hinten. Der Ringführer hielt eine Ansprache, die Flagge an dem hohen weißen Mast gehißt, wir sangen "Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen...", immer noch mit erhobenem Arm, der allmählich lahm wurde. Die Führerinnen standen links und rechts neben dem Mast. Endlich! Wir konnten den Arm herunternehmen.

Dann wurde der Name der Siegerin dieses Wettkampfes in Laufen, Hochsprung, Weitsprung und Schlagball-Weitwurf bekannt gegeben. Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben. Ich konnte es nicht fassen, daß ausgerechnet ich Kleine die Siegerin von fast 200 Teilnehmerinnen sein sollte. Die Kameradin neben mir stieß mich mit dem Ellenbogen an, weil ich überhaupt nicht reagierte.

Ich sollte aus der hinteren Reihe nach vorn treten. "was mach ' ich mit den Turnschuhen?" dachte ich noch gerade, dann ließ ich sie auf der Stelle einfach fallen, drängelt mich nach vorn durch und stand 'stramm' vor dem Ringführer, wieder den Arm zum Gruß erhoben. Dieser schrie die Siegerehrung in die Luft und mit einem allgemeinen "Sieg - Heil" steckte er die Goldene Nadel an meine Kletterweste. Ich durfte in die Reihe zurückgehen.

Zum feierlichen Abschied sangen alle:

"Deutschland, Deutschland, über alles..."

Von diesem Tag an war ich wochenlang im Umkreis die Hauptperson. (Im Stillen dachte ich, ob die sich nicht doch bei der Auswertung geirrt haben?? Aber meine Punktzahl stand ja nun mal fest.)

lo