> Lisa Schomburg: Ist Krieg in Sicht

Lisa Schomburg: Ist Krieg in Sicht?

Dieser Eintrag stammt von Lisa Schomburg (*1930 ) aus Hamburg, Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen", Seniorenbüro Hamburg , Juni 2004 :

1939 wurde ich 9 Jahre alt und war gewohnt - wie meine Mutter - Bohnenkaffee zu trinken und Butter auf's Brot zu streichen. Nun gab es nur noch sonntags Bohnenkaffee, wochentags mußte wir mit Malzkaffee (Muggefug) vorlieb nehmen und auf's Brot wurde Margarine gestrichen, welche ich jedoch sehr gern mochte. Vielleicht war ich zu der Zeit noch zu verspielt, so daß ich gar nicht zuhörte, wenn sich die Erwachsenen über einen eventuellen Krieg unterhielten. Erst 1940, als die erste Luftmine im Bahnhofsgebiet von Wilhelmsburg explodierte, wurde mir ein wenig bewußt, was Krieg bedeutet. Wie konnten die Tommies so etwas machen! Da war nun das große Loch, alle Schreberlauben in Teilen über das ganze Gebiet zerstreut und die Kaninchen lagen tot oder halbtot unter den Trümmern, ebenso die Hühner. So etwa Schlimmes kann man doch nicht machen, was können denn die armen Tiere dafür! Und in unserem Haus waren an der Frontseite alle Fensterscheiben kaputt. (So empfand ich als kleines Mädchen).

Weil meine Eltern niemals Angst zeigten, fand ich den Alarm interessant. Da leuchtete der ganze Himmel von den "Tannenbäumen" und die Strahlen der Scheinwerfer bewegten sich am schwarzen Himmel hin und her, als ob sie spielten. Wenn es nach 12 Uhr Alarm gab, brauchte ich erst 2 Stunden später in die Schule. Dann waren wir Kinder unterwegs, um Flaksplitter zu suchen. Das war eine neue 'Masche'. Erst ein wenig später, als Bomben fielen und soviel zerstörten und Mensch und Vieh töteten, schlich sich dieses ängstliche Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei mir ein. Gegen Abend haben wir die Fenster mit Wolldecken verhängt, damit kein Licht durchschimmerte, die Feindflugzeuge hätte anlocken können.

Einen der Angriffe auf Hamburg habe ich dann hautnah miterlebt. Es war im Sommer 1943, und ich war mit Gerda, einer Freundin, nach Harburg gefahren, um Zigaretten für unser Geschäft von einem Großhandel zu holen. Mit 2 Stangen Zigaretten sind wir dann wieder in dem Bummelzug von Harburg Richtung Hamburg gefahren. Normalerweise hätten wir in Wilhelmsburg aussteigen müssen, aber uns überkam eine Abenteuerlust, und wir fuhren einfach durch. Am Hauptbahnhof stiegen wir aus und hörten die Sirenen heulen. Mit den Zigarettenstangen im Arm liefen wir in einer Gruppe von Leuten die Mönckebergstraße entlang. Wir dachten, wo die alle hinlaufen, muß es einen sicheren Keller geben. Wir liefen bis zum Pressehaus am Speersort und wurden in ein Keller-Labyrinth geschoben. Ich konnte viele kleine Kellerräume von einem Gang aus erkennen, und in einem von diesen wurden wir mit vielen, vielen Leuten hineingeschoben, sie drängten nach und wir standen dicht an dicht. Umkippen war nicht möglich. Hinter Gerda und mir standen eiserne Etagenbetten ohne Matratze. Wir hätten uns gern darauf gesetzt, aber die Löcher der Metallfedern waren zu groß. So standen wir, bis wir ein Dröhnen bis in die Kellerräume hinein hörten und dann lautes Rumsen und Krachen. Das Licht ging aus und Gips rieselt von oben auf uns herab. Jemand sagte: "Die Gasleitung ist getroffen."

Es war stockdunkel, und immer noch hörten wir so ein furchtbar lautes Rumsen. Dann plötzlich so stark, daß der Boden unter uns auf und ab rüttelte. Es waren nur Bruchteile von Sekunden. einige Frauen begannen zu schreien, andere weinten und beteten. Vor mir rutschte jemand auf meine Füße. Nun hatten Gerda und ich auch Angst, vor allem vor dem Gas. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir da noch so stehen mußten. Auf einmal gab es Bewegung in der Menschenmenge und wir wurden sehr, sehr langsam auf den Ausgang des kleinen Kellerraumes in den Gang geschoben. Vielleicht noch eine weitere Stunde und wir kamen schubweise in die Nähe eines Loches, welches nach draußen führte. In dieser Öffnung sahen wir bald 4 helfende Hände, die uns Eingeschlossene einen nach dem anderen vorsichtig herauszogen. Mir schien die Zeit unendlich lang, wir waren so viele. Endlich wieder am Tageslicht, sahen wir daß um uns herum haufenweise Pakete von Zeitungen brannten, Mauerbrocken waren verstreut und es herrschte überall Chaos. Wir hörten, daß das Pressehaus drei Volltreffer bekommen hatte - und wir unten im Keller! Die Decken hatten also gut gehalten.

Gerda und ich schlugen uns von der Steinstraße bis nach Wilhelmsburg zu Fuß durch, immer noch die beiden Stangen Zigaretten im Arm. Die Gleise in Richtung Harburg waren auch bombardiert, die Züge konnten nicht mehr fahren. Später, viel später habe ich Gott gedankt, daß wir da so heil herausgekommen sind. Meine Mutter war natürlich in größter Aufregung und konnte gar nicht begreifen, daß wir einfach von Harburg nach Hamburg durchgefahren sind.

lo