> Lisa Schomburg: Mai 1941

Lisa Schomburg: Mai 1941

Dieser Eintrag stammt von Lisa Schomburg (*1930 ) aus Hamburg, Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen", Seniorenbüro Hamburg , Juni 2004 :

Die Kinderlandverschickung für das Gymnasium Hamburg-Wilhelmsburg steht vor der Tür, wir sollen in Sicherheit gebracht werden. Ich werde noch in diesem Monat 11 Jahre alt. Es wird das erste Mal sein, daß ich allein von zu Hause fort bin.

Das Ziel lockte sehr: Tegernsee.

Meine Mutter bringt mich zum Bahnhof. Dort treffen sich alle anderen Mädchen des Gymnasiums. Noch auf dem Bahnhof erfahren wir, daß unser Ziel nicht Tegernsee sein wird, sondern Bamberg. Wir sind enttäuscht. Kein See, keine Berge, nur eine Stadt. Ich bekomme schon jetzt ein wenig Heimweh und verabschiede mich schweren Herzens von meiner Mutter. Die zweite große Enttäuschung ist unsere Unterkunft in Bamberg. Auf der Anhöhe der Stadt, direkt an der Stefan-Kirche, befindet sich eine kleine Haushaltungsschule, die in der Struktur wie ein Kloster gebaut ist und einen hoch ummauerten Innenhof hat, in dem 2 Kastanienbäume stehen. Dies ist nun unser Domizil.

Die Betreuung findet ausschließlich durch Nonnen statt. Einige Kinder aus der Sexta und Quinta, zu denen auch ich gehöre, werden in einem Zimmer untergebracht mit dem Namen "Hummelnest". Es ist das größte Zimmer mit den meisten Kindern. Die Betten sind aus Metall, immer drei übereinander, daneben Metallspinte für unsere Kleidung. Ich schlafe in einem der unteren Betten. wir fühlen uns nicht wohl, so haben wir es uns nun gar nicht vorgestellt!

Am Morgen werden wir zur Schule geführt, den Berg hinunter, durch einen Teil der Stadt, den ich als sehr alt empfinde.

Die Jungen unseres Gymnasiums sind inzwischen auch in Bamberg eingetroffen und in einem anderen Gebäude, weit von uns entfernt, untergebracht. In der Schule treffen wir uns und haben gemeinsam Unterricht.

Ich fühle mich nicht wohl, es ist alles so furchtbar fremd. Ich mag nicht essen. Das Mittagessen ist beinahe jeden Tag gleich. Es sieht aus wie grauer, zusammengemantschter Kaiserschmarren. Ich kann es zuletzt nicht mehr sehen und werde krank, bekomme Fieber. Zwischendurch geht es mir mal etwas besser und ich darf in den Innenhof, wo ich meine Kameradinnen treffe.

Am 29. Mai werde ich 11 Jahre alt. meine Mutter hat mir einen wunderbaren Rosinenkuchen geschickt, mit 'Guter Butter' gebacken. (Margarine hieß bei uns früher Butter und richtige Butter war eben die Gute Butter). Alle Mädchen, die gerade wie ich krank sind, lade ich zum Kuchenessen ein sowie auch unseren Spanischlehrer, den wir alle ein wenig verehren. Gerade dieser Spanischlehrer ißt etwa ein Viertel des Kuchens allein auf, er muß sehr ausgehungert sein. Wann bekommt man denn auch so etwas Gutes!?

An einem Nachmittag müssen sich alle Mädchen im Innenhof versammeln. Ein Radio ist an dem Laubengang befestigt. Unsere Lehrerin, die auch in der Haushaltungsschule wohnt, sagt, daß wir uns die Nachrichten anhören sollen. Warum? Der Radiosprecher verkündet, daß Deutschland sich seit gestern im Krieg mit Rußland befindet. Ich höre es wohl, kann aber den ganzen, tiefen Sinn nicht erfassen. Ilse, die nicht weit von mir steht, fängt plötzlich an zu weinen. Wir erfahren, daß ihr Vater mit einem Transport an die Grenze nach Rußland gebracht worden ist.

Lange kann ich in diesem "Kloster" nicht mehr bleiben. Ich habe starkes Heimweh, bin appetitlos und esse kaum etwas. Von Tag zu Tag verliere ich mehr an Gewicht und liege nur noch im Bett. Meine Mutter kann mich nicht einfach nach Hause holen. Sie braucht die Genehmigung des Hamburger Gauleiters Kaufmann, was mit viel Schwierigkeiten und großen Umständen verbunden ist. Nach langen Bemühungen, und mit dem Hinweis auf meinen schlechten gesundheitlichen Zustand, erhält sie endlich die Genehmigung, mich nach Hause zurückholen zu dürfen. So kommt es, daß meine Mutter plötzlich an meinem Bett steht. Ich kann es nicht fassen, denn man hatte mir nichts von ihrem Kommen erzählt. Ich bin überglücklich und mag meine Arme nicht mehr von ihrem Hals lösen.

Sie kann mich sofort mitnehmen. Wir wohnen noch 2 Tage in einem Hotel und ich fühle mich wie auf Wolken, finde Bamberg auf einmal wunderschön. Bald darauf bin ich wieder zu Hause.

lo