> Michael Ströber: Kriegsbeschreibungen meines Großvaters aus den Jahren 1914-1915 (Teil 3)

Michael Ströber: "Kriegsbeschreibungen" meines Großvaters aus den Jahren 1914/1915 (Teil 3)

Dieser Eintrag stammt von Michael Ströber (mihestroeber@web.de) aus Tittmoning, Februar 2012:

Einfall und Kämpfe im Norden Frankreichs

"Um 3 Uhr war Abmarsch und um 8 Uhr kamen wir nach Bognicount, wo wir in 2-stünd. Aufenthalt menagierten. Es wurde feindl. Gegner gemeldet und wir wollten ihn angreifen, konnten ihn aber nicht mehr erreichen, und so marschierten wir stets nach und kamen um 6 Uhr nach Cantiene, besetzten einen Bahndamm und wurden um 12 Uhr nachts wieder zurück genommen und konnten bis 6 Uhr morgens des 2.10. in einem großen Stadel Mann an Mann schlafen. Wir bekamen die Menage des vorigen Tag, an welchem uns die Feldküche nicht mehr nachkam, und marschierten um 1/2 8 Uhr ab nach Aris [vermutlich ist Arras gemeint], kamen aber schon um 10 Uhr an den Gegner und konnten nicht mehr vorwärts marschieren. Um 1 Uhr mußte das Batallion nach der rechten Seite ausschwärmen, und es begann ein furchtbarer Kampf, bei welchem es unsererseits zwar Tote und Verwundete gab, aber bei den Franzosen lagen ganze Reihen. Auch viele wurden gefangen herangeführt. Die Nacht mußten Verschanzungen und Vorposten gestellt werden, und so erwarteten wir den 2.10. Schon um 6 Uhr mußten wir hinaus aus dem Stadel und blieben als Unterstützung des 1. und 3. Zuges hinter Strohhaufen gedeckt bis 4 Uhr nachmittags. Dann wurde der Gegner vom 2. Rgt. angegriffen, und wir mußten vorgehen ungefähr 500 m weit. Bis Einbruch der Dunkelheit mußten wir uns verschanzen und die Nacht hindurch im Schützengraben verharren. Um1/2 5 Uhr morgens des 4.10. kam unsere Feldküche, und wir bekamen das Essen vom vorigen Mittag. Wir lagen noch bis 10 Uhr im Graben, dann mußten wir den Gegner angreifen. Auch um 11 Uhr nachts kam die Feldküche wieder nach, und so konnten wir am 5. X. wieder neugestärkt auf den Feind losgehen, der uns auch viele Verluste beibrachte besonders durch Artillerie-Feuer. Ich mit 6 Mann holten am Nachmittag 16 verwundete Franzosen, darunter auch ein Major. Die 11. Komp. konnte den Befehl des Vorgehens wegen zu starkem Artilleriefeuer nicht weiter ausführen und mußte hinter Strohhaufen gedeckt den Einbruch der Dunkelheit abwarten und bei Nacht in den Boden sich verschanzen."


Verwundung

"Von 6 Uhr morgens des 6. X. wurden wir in unseren Schützengräben vom Schlaf geweckt, um uns auf den Vormarsch vorzubereiten. Um 9 Uhr gings vorwärts im ganzen Battl. kaum 100 m und feindliches Artilleriefeuer bekamen wir so viel, daß nicht mehr weiter zum vorkommen war. Hinlegen und eingraben war das Allerbeste. Nach einer Viertelstunde hieß es staffelweise vorgehen, und unser Halbzug bekam Deckung hinter Strohhaufen. Dort blieben wir bis 4 Uhr in aller Ruhe, da kam von der rechten Flanke erst 1 und 3 Schuß der Artl., 1/2 Std. Ruhe, noch ein Schrappnelg. und mich hatte dös Vieh den Kopf verletzt, einem anderen den Fuß abgeschl., dann holten mich 2 Kameraden und fort gings zum Verbandsplatz, 2 Tage später ins Lazarett nach Düsseldorf. Am 19. X. wurde ich operiert und sehe hoffnungsvoll der Heilung entgegen."


/lemo/bestand/objekt/kurz_5 Zwischen Lazarett und Entlassung

"Als ich ungefähr 2 Monat im Bett lag, kamen unverhofft Mutter und Schwiegervater mich besuchen, was mich sehr freute. Ende Januar 1915 durfte ich das Bett verlassen und bald darauf wurde ich auch meines großen Kopfverbandes los - was für mich eine große Wohltat war, weil ich seit meiner Verwundung am 19. X. 1914 [offensichtlich hat mein Großvater hier das Datum seiner Verwundung mit dem Operationstermin verwechselt] den Kopf nicht mehr abwaschen konnte. Am Ostermontag, den 5.4.1915 besuchten mich meine allerliebste Gattin und Schwester, worüber ich große Freude, aber beim Abschied schweres Herz hatte.

Nun ging es wieder den alten Gang weiter, bis ich am 17.5. ds. Jh. ins Marinehosp. überführt wurde zu einer Nasenoperation, welche so ziemlich schmerzte, nach 7 Wochen, anfangs Juli kam ich wieder zurück ins Theresienhospital, wo Hr. Chefarzt Arnolds mir die Stirnwunde zumachen wollte, infolge Eiterung aber nicht gemacht wurde. Später erkrankte Hr. Chefarzt, und am Freitag, 6.8.15 reichte ich Urlaubs- und Überweisungsgesuch nach Bayern ein, um meine Lieben und das traute Heim nach einjährigem Fernsein wieder zu sehen und in München ganz geheilt zu werden. Am 27. IX. bekam ich 3 Tage Urlaub, wo ich die traute Heimat mit meiner geliebten Gattin und guten Mutter und Schwester mit dem Schwager Joseph begrüßen durfte.

/lemo/bestand/objekt/kurz_7 Weiteren Urlaub bekam ich vom 18. - 31. XI., 23. - 29. XII 15, 17. - 30. I., 15. - 29. II. [1916], worauf ich nach 16 Tagen, also am 16. III. zur Truppe in Revierbehandlung kam, aber schon am 19. III. auf 14 Tage in Urlaub fuhr. Im April bekam ich 2 mal 14 Tage Urlaub bis 2. Mai, dann war ich in der Kaserne bis 30. Mai. Ab 1. VI. bekam ich Heu - und Ernteurlaub bis 30. VIII. mit 5 Tag Unterbrechung. Am 1. IX. kam ich ins Rekruten-Depot Wörthschule, wo ich nach 8 Tagen wieder zur 5. Komp. zurück, bekam je 14 Tag Erholungsurlaub bis 18. XI., da hieß es Entlassungsurlaub, bis ich am 1. III. 1917 mit 27,50 M. [Mark] entlassen wurde."

Damit enden die Aufzeichnungen des "Reservemannes" Michael Kurz, auf dessen wenigen Bildern bezeichnenderweise das mitten auf der Stirn deutlich sichtbare Loch der Verwundung von den Photographen retouchiert ist - nicht zuletzt auf dem Foto seines Kriegsverletztenausweises. Das zum Gehirngewebe hin mit einer Silberplatte verschlossene Loch hatte eine Verbindung zur Nase, sodass beim Rauchen aus ihm Rauch entwich.

Seine Familie vergrößerte sich mit der Geburt seiner Töchter Maria (1916), Therese (1921)und Rosalie (1926) sowie des einzigen Sohnes Michael (1920), der im 2. Weltkrieg (22.8.1942) sein Leben verlor. Dazu kam mit Maria Seidl noch ein Pflegekind.

Anfang der 30er Jahre erwarb er das "Urban-Sachl" in Holzhausen, ein landwirtschaftliches Anwesen in der ehemaligen Gemeinde Kay, jetzt Tittmoning. Hier starb er am 23. August 1946 nach kurzem, schweren Leiden im Alter von nur 61 Jahren.

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