Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Paul Thomaschki (1861-1934), Pfarrer an der Burgkirche zu Königsberg/Ostpreußen.

Das Tagebuch bezieht sich nicht nur auf den privaten Bereich, den kirchlichen Alltag, die Kriegsereignisse sowie um Verluste aus der Gemeinde, dem Corps und von Bekannten sondern reflektiert auch die persönliche Meinung zu den vielfältigen Ereignissen. Teilweise wurden auch die Kopien der Todesanzeigen aus der Zeitung eingefügt. Die nachfolgenden Auszüge reflektieren Szenarien der einzelnen Zeitabschnitte und stellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der Informationen dar. Ein ganz besonderer Dank gilt der Sütterlinstube in Hamburg, die das 720 Seiten umfassende Original in mehr als 500 Stunden durch ehrenamtliche Mitarbeiter in die lateinische Schrift transliterierte. Dabei wurde die zum damaligen Zeitpunkt verwendete Grammatik, Ausdruckweise und Rechtschreibung im Wesentlichen beibehalten.
J. Frank, September 2017


August 1914
Heute mit der Morgenzeitung ist auch die Kriegserklärung Englands an uns gemeldet. Das ist das Furchtbarste. In Belgien sollen wir bereits eingerückt sein, weil sonst uns die Franzosen zuvorgekommen wären. –

Die Regierung ist von Gumbinnen nach Insterburg verlegt und die Verwundeten sollen  ebenfalls weiter befördert werden. Der Landrat von Goldap ist gefangen. –

[Anmmerkung J. Frank: In den ersten Monaten des Tagebuches befinden sich nur wenige Anmerkungen zur Regierung und Politik sowie der Verschiebung von Grenzen. Die Kriegsereignisse überwiegen und beschreiben das Hin und Her der Frontverläufe.]


06. März 1916
Mit America steht es faul. Wilson will offenbar den Krieg und scheint auch den Senat zu übertümpeln.


24. April 1916
America hält uns in Atem. Die Stimmung ist: zum Krieg kommt’s doch, also lieber jetzt. Der Tenor der Note ist unverschämt, die Versicherung der  „Freundschaft zu Deutschland“ eine elende Heuchelei. Desgleichen die Betonung der „Menschlichkeit“ uns gegenüber.


05. Mai 1916
Die Note an America ist heraus. Ich bin entzückt von ihr. Von A bis Z eine mannhafte, kernige Sprache, die Wilson und Konsorten hören läßt, was für ein Gesindel sie sind.
Am 10. kam die Antwort: sie nehmen unsere Erklärung an und verzichten zunächst auf den Krieg mit uns.


06. Juni 1916
Ein großes Ereignis ist die Reichstagsrede des Kanzlers Bethmann-Hollweg mit der Bloßstellung Kapps, auch ein großes Ereignis. Wir läuten 1x Frieden mehr an, nachdem wir 2x mit Hohn zurückgewiesen wurden. Jetzt wird durchgekämpft.


27., 28. und 29. August 1916
Kriegserklärung Italiens an Deutschland, Rumäniens an Österreich-Ungarn sowie Deutschland an Rumänien.


28. Oktober 1916
Die Friedensverhandlungen mit Rußland sollen wieder einmal gescheitert sein, weil Rußland die Dardanellen verlangte und die Forderung aufstellte, daß wir keine Truppen von Osten fortziehen dürften. (englische Einfluß natürlich)


07. November 1916
Polen ein selbständiges Königreich! Das ist das erste große geschichtliche Ergebnis des Krieges. Man nimmt die Nachricht mit geteilten Gefühlen auf.


25. November 1916
Bethmann-Hollweg müßte gestürzt werden. Er ist ein Unglück für Deutschland. Er ist ein schwacher Mann, der keine hohen, festen vaterländischen Ziele hat.


12. Dezember 1916
Friedensangebot seiner Majestät und der Herrscher der treu verbündeten Staaten an die Feinde.


24. Dezember 1916
Mit  der Aufnahme unseres Friedensangebotes steht es auf der Kippe.  Ich hatte  nicht  gedacht, daß  man  überhaupt viel darüber verhandeln würde. Aber nun mischt sich noch dieses Ekel von Wilson ein, angeblich ganz neutral!  –  na, so wie die braven Amerikaner jetzt schon 2 Jahre hindurch unsere deutschen Brüder mit ihren Munitionslieferungen neutral niederkardätscht haben. Aber das Friedensbedürfnis ist groß bei allen, auch bei den Truppen an d. Front.
Am 03.01.1917 wurde das Friedensangebot abgelehnt.


17. Januar 1917
Der Kaiser hat, nach der so unerhört schroffen Ablehnung des Friedensangebotes, einen flammenden "Aufruf an sein Volk" gerichtet. Es geht jetzt aufs Ganze. England hält konsequent und unbeugsam an der Fortsetzung Krieges fest um jeden Preis, und mit eisenhartem Griff umklammert es seine Verbündeten. Frankreich verblutet sich. In Italien wird die Begeisterung künstlich geschürt durch engl. Geld, engl. Kohle, engl. Munition. In Rußland ist der allmächtige Mann der engl. Gesandte, u. die Politik steht unter engl. Kontrolle. Deutschland, der einzige wirklich gefährliche Rivale im Welthandel soll vernichtet werden. Ob die andern Festlandsmächte daran zu Grunde gehen, kümmert das um die kl. Staaten so heuchlerisch besorgte Albion nicht. Im Gegenteil, das ist wohl mit sein 2tes Hauptkriegsziel. Das wahre Hindernis des Friedens ist nicht der preuß. Militarismus, nicht der franz. Chauvinismus, auch nicht einmal der russ. Panslawismus, sondern der Konkurrenzneid dieses geldgierigen Krämervolkes.


31.Januar 1917
Ausschnitt aus der Kriegszeitung aus Rotterdam vom 30.01.1917:
Auf der am 23. Januar in London stattgehabten Generalversammlung der London and Provincial Bank führte der Vorsitzende Oberst aus: Wir haben diesen Krieg begonnen, um die industrielle Macht und den steigenden Einfluß Deutschlands auf das internationale Bankwesen endgültig zu vernichten…. Der Deutsche muß aus dem Wege geräumt werden! Das war unsere Absicht als wir den Krieg begannen.


05. April 1917
Der Senat in Washington hat heute mit 82 gegen 6 Stimmen die Resolution angenommen, die den Kriegszustand gegen uns erklärt.


11. April 1917
Cuba erklärt Deutschland den Krieg, auch Panama. Wir werden darüber keine Krämpfe kriegen.


15. April 1917
Bolivia bricht die Beziehungen zu Deutschland ab, vorher schon Cuba u. Panama, später Guatemala, Honduras, Nikaragua, Brasilien vergewaltigt die deutschen Kaufleute u. plündert ihre Häuser u. Geschäfte. Der Freistaat Liberia  will auch gegen uns gehen, Na, legen wir ihn zu den andern, Monacco, Portugal etc.


19. August 1917
Seit dem 14.8. 10 Uhr vormittags besteht zwischen China und Deutschland und Österreich-Ungarn der Kriegszustand. Wieder ein Volk mit 400 Millionen Menschen in Feindschaft gegen uns.


14. Oktober 1917
27 Staaten haben wir bis jetzt zu Feinden: Rußland, Frankreich, England mit Kolonien in 5 Erdteilen, Italien, Belgien, Portugal, Rumänien, Serbien, Montenegro, Griechenland, Monako, Japan, China, Siam, Vereinigte Staaten, Cuba, Guatemala, Haiti, Honduras, Nikaragua, Panama, Brasilien, Bolivien, Peru, Uruguay, u. Liberia.
Was wird nun aus Holland werden? Die Amerikaner unterbinden ihm jede Zufuhr, ebenso Schweden, Schweiz u. Dänemark. Gott bewahre uns vor noch mehr Feinden. Es würden wieder 2 Millionen Soldaten sein.


18. Dezember 1917
Der Waffenstillstand mit Rußland ist geschlossen, vom 17.12. – 14.01., und dann weiter, wenn nicht 7 Tage vorher eine Kündigung erfolgt.

 
22. März 1918
Uns kostet der Krieg 2 ½ Milliarden monatlich, das sind über 83 Millionen täglich. Jetzt hat die Werbung für die 8te Kriegsanleihe eingesetzt.
Eine Tonne Schiffsraum kostet 1.000 M, die Ladung im Durchschnitt 2.000 M, das sind bei der tägl. Durchschnittsversenkung von 23.000 t ca. 70 Millionen Mark.


07. April 1918
Bessarabien soll selbständig werden, im Anschluß an Rumänien. Dieses verräterische Lausevolk wird geradezu umschmeichelt. Wir machten damit den Anfang. Österreich folgte natürlich. Und jetzt macht auch Bulgarien Kotau: wir müßten ja die Dobrudscha nehmen, da fast die ganze Bevölkerung bulgarisch ist; aber nun haben wir nur freundschaftl. Gefühle für das ganze Brudervolk u. hoffen etc. etc.


08. Mai 1918
Der Bukarester Friede mit Rumänien ist am 7.5. abgeschlossen. Es folgt die Auflistung der Bedingungen sowie die Grenzziehungen und Gebietszuordnungen.


07. August 1918
Die Kolonien: West-Afrika verteidigt, Kamerun verteidigt, Ostafrika verteidigt, Samoa, Neuguinea und Togo erlagen in den ersten Kriegsmonaten.


13. September 1918
Prinz Fr. Karl von Hessen ist Kandidat für die Finnische Krone.
Der Kaiser hat eine prachtvolle Rede gehalten an die Kruppschen Arbeiter in Essen u. z. Durchhalten gemahnt, wovon unsere u. unserer Kinder Existenz u. Lebensmöglichk. abhänge.
Hindenburg warnt vor den moralischen u. polit. Vergiftungsversuchen der Feinde. Vicekanzler von Payer sprach auch gut. Er führt die gedrückte Stimmung der Gegenwart zurück auf die Aussichtslosigkeit eines baldigen Friedens u. widerlegt die Befürchtungen: es folgen 6 Argumente. 
Am 15. 9. Erfolgt eine Friedensoffensive Österreichs.


01. und 02. Oktober 1918
Der Reichskanzler hat nach 11 Monaten abgedankt. Der neue Reichskanzler ist  Prinz Max von Baden, den wohl keiner kennt.


14. Oktober 1918
Die Stimmung ist übertrieben pessimistisch. Die Kriegsanleihen wurden gelöscht.


29. Oktober 1918
Alles kracht zusammen: Österreich bietet den Feinden einen Sonderfrieden an u. ergibt sich auf Gnade u. Ungnade. Das war ja v. diesem schlappen Volk zu erwarten, das sich so oft wie ein Bleigewicht an uns gehängt hat.
Ungarn sagt sich von uns los und löst das dtsche. Bündnis. Der ganze morsche Bau fällt auseinander in Ukraine, Polen, Tschechen, Südslaven, Deutsch-Österreicher. –
Auch die Türkei trennt sich v. uns u. verlangt ein sofortiges Ausschalten des deutschen Einflusses. Wir stehen allein.


11. November 1918
Letzter Tagesbefehl mit der Bekanntgabe, daß mit dem heutigen Tag der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet wird und an allen Fronten die Feindseligkeiten eingestellt werden.


03. März 1919
Eroberung Königsbergs durch die Regierungstruppen und damit Niederschlagung der Revolution durch Spartakisten und anderen.


22. Juni 1919
Diesaster den 22. 6. 19
Der Schmachfrieden ist unterzeichnet.



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