> Peter Gangl: Tagebuch aus russischer Kriegsgefangenschaft

Peter Gangl: Tagebuch aus russischer Kriegsgefangenschaft 1918-1920

Dieser Eintrag stammt von Christine E. Gangl (gangltext@t-online.de) aus München, Enkelin von Peter Gangl (1882-1941), Januar 2014:


Mein Großvater Peter Gangl (25. Juni 1882 bis August 1941) war Bauer in Zirnetschlag / Südböhmen. Im Ersten Weltkrieg geriet er als Soldat des K.u.k- Infanterie-Regiments 91 am 16. November 1915 in russische Kriegsgefangenschaft.

Über seine Gefangenschaft hat er sich nur vorsichtig geäußert, da in diese Zeit die Russische Revolution sicher auch mit Folgen für die Gefangenen fiel. Am 28. Oktober 1918 erklärte sich die Tschechoslowakei für unabhängig, das Königreich Böhmen wurde am 31. Oktober 1918 aufgelöst und die Gefangenen aus diesem Hoheitsgebiet mussten den neuen Staat per Unterschrift anerkennen. Mein Großvater unterschrieb am 24. Juli 1919. Damit war der Weg frei für die Entlassung und die Heimkehr.

Über die letzte Zeit der Gefangenschaft in Marianski bei Rewda / Mittlerer Ural, die Entlassung, die Zugfahrt über Jekaterinburg und Irkutsk nach Wladiwostok, die Einschiffung und die Heimfahrt auf dem Passagierdampfer „President Grant“ von Wladiwostok bis nach Triest vom 24. August bis 13. Oktober 1920 hat mein Großvater mit Bleistift ein großteils noch leserliches Tagebuch geführt, das von meiner Mutter / seiner Schwiegertochter Elisabeth Gangl entziffert werden konnte.

 

Die Tagebucheinträge:

Am 27. April 1918 war ich in Rewda (Mittlerer Ural – ca. 40 km westlich der Oblasthauptstadt Jekaterinburg) – erhielt 41 Rubel mit der Post – Eine Fotografie von meiner Familie und einen Brief vom 16.11.1917 von meiner Frau. Im Ganzen habe ich 13 Karten, 1 Fotografie und 3 Briefe von ihr erhalten.

Am 9.5. (1918) von Marianski nach Rewda.

Am 30.5. nach Haus geschrieben.

Am 30. August habe ich mich mit dem Beil ins Knie gehackt – wurde gleich ins Spital gebracht – blieb dort bis September – wo ich dann noch in die Maroden-Baracke kam. Dort war ich bis 19. September - Ging wieder ins Sägewerk.

Am 20. September wieder zu arbeiten angefangen.

Am 9. Februar (1919) erhielt ich von meiner Frau eine Karte und zugleich auch eine von meinen Eltern. Abgang von Rewda am 25. Februar.

Am 26. früh in Jekaterinburg (heute Oblast Swerdlowsk, östlich des Mittleren Ural). Mittags wurden wir in einem Eisenbahn-Waggon einquartiert – blieben bis 12. März abends am Bahnhof im Waggon. In der Nacht Abfahrt nach Irkutsk (Südwestufer des Baikalsees). Kamen am 25. März in Irkutsk an – blieben im Waggon am Bahnhof bis 5. April. Übersiedelten in eine Klosterschule außerhalb der Stadt Irkutsk. Hatten schöne Backstube.

20. April – Ostern – Weißbrot 1 Pfund. 29. Juni Brief nach Haus geschrieben mit (unleserlich).

Am 16. April kaufte ich mir eine silberne Uhr in Irkutsk für 295 Rubel.

Am 24. Juli 1919 unterschrieb ich die Anerkennung unserer Republik (Tschechoslowakei).

Am 6. September erhielten wir die Nachfassungen – 6 Pfund Zucker auf einmal.

Am 19.9.1919 Brief nach Haus in der Kanzlei abgegeben. Am 1.11. bekam jeder Mann 1 Pfund Weißbrot als Zubesserung für Parade.

Am 28. September 1919 Entstehung unserer Republik!

Auf Weihnachten Minaschaufbesserung – Zucker und 80 Stück Zigaretten – 1 Striezel, 2 Pfund.

Am 19. Januar (1920) übersiedelten wir von Monastir (vom Kloster) in die Stadt Irkutsk – blieben bis 7. Februar – wurden einwaggoniert im Bahnhof Wyanski Putik (?).

Am 10.2. fuhren wir ab nach Wladiwostok.

Am 7. März Masareks (Freund?) Geburtstag. Doppel Minasche und Brot.

Am 3. Mai in Wladiwostok angekommen.

Am 4. Mai erhielt ich einen Brief von meiner Frau vom 23.1.1920, wo mir auch Franzi (ältester Sohn von Peter Gangl, * 1910) zu meiner großen Freude die ersten eigenhändig geschriebenen Grüße sendete.

Am 9. Mai erhielt ich von der 8. Rotte folgende Sachen: 1 Paar Galoschen, 1 Tabakdose, 1 Paar Hosenträger, 1 Handtuch, 1 Paar Socken, 1 Hemd, 1 Dose Cacao, 1 Obstkonserve, 1 Kamm, 1 Zahnpulver, Briefpapier.

Am 10. Mai übersiedelten wir auf die Insel Ruski Ostowa (?).

Am 13. Mai weitere Verpflegung und diverses bekommen. Auszahlung bekommen – 5519 Rubel.

Am 2. Juni wurden wir geimpft. Am 9. Juni wieder verschiedene Sachen erhalten. Lebensmittel und Gebrauchsgüter.

Am 12. Juni übersiedelt von der Insel in die Stadt Irkutsk. Hatten hier bei der 2. Rotte Küchenarbeit.

Am 29. Juli erhielt ich Lavka (?) Sachen für 15.22 Rubel.

Am 2. Juli übersiedelte ich zur 5. Schorno-Rotte auf der Insel Brod-Roschin (?).

Am 13. Juli bekam ich die letzte Auszahlung von dort.

Am 21. Juli Wäsche und Handtuch gefaßt, am 19. Juli Koffer abgegeben ins Magazin.

Am 24. Juli wurden wir geimpft gegen Cholera auf der linken Brustseite – worauf ich abends etwas Fieber hatte.

Am 28. Juli auf der rechten Seite gegen Thyphus und Cholera.

Am 30. Juli Montur gefasst, Befehl marschbereit zu halten. 5 Uhr abends ärztliche Visite. Sollten mit Schiff „Logan“ (?) fahren. Wurde wieder abgesagt.

Am 8. August alte Monturstücke abgegeben. 1 Hose, 1 Bluse, Wickelgamaschen.

Am 15. August 14 Uhr nachmittags wieder marschbereit. Das Schiff „President Grant“ sollte kommen – ist aber nicht gekommen. – Kam am 18. August Nachmittag. Sind schon um 4 Uhr früh aufgestanden. 5 Uhr Teewasser, 8 Uhr Baracke ausräumen. Dann warteten wir bei der Landungsbrücke den ganzen Tag. - Ein Teil wurde noch abends eingeschifft. Wir blieben über Nacht auf der Brücke und wurden am 19. August 6 Uhr früh eingeschifft – bekommen schon Frühstück – President Grant-Kaffee mit Zwieback. In der Nacht vom 19. auf 20. mußten wir Gepäck einladen, am 21. dasselbe. Um 5 Uhr früh bis Mittag frei am 22.8. Dachte öfter an unseren Kirchtag.

Am 23. nachmittags Küchenarbeit.

Am 24. August (1920) Abfahrt 5 Uhr Nachmittag von Wladiwostok. Auch der tschechische Frachtdampfer fuhr zu gleicher Zeit ab.

Am 26. abends war ein Gewitter mit ziemlich Regen. Viele badeten sich und wuschen Wäsche mit Regenwasser. Bei Tag sah man links und rechts Inseln – rechts japanische und links koreanische.

Am 27. war ein sehr schöner Tag. Vormittags kreuzte ein kleines Schiff nahe von uns vorüber. Nachmittags sahen wir zwei große Fische ganz in der Nähe unseres Schiffes, welche zuerst das Wasser in die Höhe bliesen wie aus einem Dampfrohr und dann auf der Oberfläche des Meeres sichtbar waren.

Am 28. nur Wasser zu sehen – zwei kleine gelbliche Schlagen ganz nahe, dann sahen wir eine Schar fliegender Fische. Auf unserem Schiff Grant sind 5684 Personen, darunter über 300 Weiber und 60 Kinder.

Am 29. August war Wäsche waschen erlaubt mit Süßwasser. Wusch mir auch ein paar Wäsche und eine Arbeitshose, wobei ich ziemlich schwitzen mußte. Kommen schon in die Tropenhitze um 30 Grad. Sahen den ganzen Tag schon Segelboote und kamen abends um 10 Uhr in Hongkong an. Mußten etwas außer dem Hafen stehen bleiben. In der Früh fuhr unser Schiff langsam noch ein Stück in den Hafen ein. Der Hafen ist ringsum von Bergen umgeben. Auf manchen sind Häuser bis zum Bergesgipfel.

Am 31. (August) früh wurde Süßwasser ins Schiff gebracht – tagsüber Lebensmittel. Die (? wohl Händler) kamen schon sehr früh auf ihren Kähnen herangefahren und boten verschiedene Sachen zum verkaufen an. Auch bei uns war der Besuch der Stadt erlaubt.

Am 1. September dasselbe. Die (? wohl Händler) kommen mit ihren Sachen schon auf das Schiff herauf. Der eine hatte Karten, der andere Obst, der dritte Zigarren und Zigaretten u.a.

Am 2. September um 10 Uhr vormittags Abfahrt von Hongkong. Zeitdifferenz eine halbe Stunde später, als in Wladiwostok. Um 3 Uhr ziemlich große Meereswellen, dass sogar unser Schiff etwas schaukelte. Um 3-4 in der Nacht Waschraum und Speisesaal reinigen. Um fünf Uhr früh ziemlich bewegte See. Unser Schiff schaukelte – viele hielten sich an den Wänden und Säulen fest. Besonders ein Weib taumelte im Speisesaal von einer Ecke in die andere. Am Abend fuhren wir an einem kleinen Dampfer vorbei, welcher auch bald zurück blieb.

Am 6. September hatte sich der Sturm gelegt – war wieder ein herrlicher Tag. Am Nachmittag führen wir wieder in weiter Entfernung einem Schiff vor. An diesem Tag hatte ich starken Schnupfen.

Am 7. war ein sehr schöner, ruhiger Tag. Nachmittags sah man rechts und links vor ein Schiff – auch Land war zu sehen.

Am 8. September, 6 Uhr früh in Singapur angekommen. Der erste uns besuchende war ein Wasserträger. Wenn jemand ein Geldstück ins Wasser warf – schwups war er aus seinem kleinen Schinakl (kleines Boot) ins Wasser gesprungen. Später kamen mehrere mit Obst, Fisch und anderen Sachen. Nachmittags war Erlaubnis in die Stadt zu gehen. Da war ein (?) übers ganze Schiff. Viele kamen gar nicht, weil das Warten zu lange dauerte.

Am 9. Sept. ging das gleiche Leben an. Mittags mussten sich die Araber und Obsthändler vom Schiff entfernen. Alle Unsrigen mussten um 1 Uhr auf dem Schiff sein Um 5 Uhr Abfahrt von Singapur. In der Nacht hatte ich Arbeitstour – Speisesaal reinigen.

Am 10. Sept. vormittags begegneten wir einigen Schiffen. Rechts war Land zu sehen.

Am 11. Sept. Regen bis gegen Mittag. Nachmittags Feueralarm (Probe) zum 3. mal – war sehr gut, sagte der amerikanische Schiffsoffizier. So soll es auch sein, wenn es ernst wäre. Gegen Abend windig – schaukelte sehr.

12. Sept. Wind und Wellen, links von uns ein Schiff.

Am 13. wieder ein etwas schönerer Tag, jedoch Wind und Wetter. Man sah schon einige Segelboote. Rechts war Land zu sehen – Insel Ceylon, Löwen-Insel. Soll größer sein, als Böhmen. Um 4 Uhr in Colombo angekommen.

„Das Schiff President Grant ist 188 m lang, 21 m breit, fasst 11.111 Tonnen. Tragfähigkeit 24.400 Tonnen.“

Es kamen gleich einige Barken mit Süßwasser. Am 16. (September)  reinigen und desinfizieren.

Zeitdifferenz in Colombo 3 Stunden später als in Wladiwostok.

Am 17. Sept. hatte unsere Rotte Ausgang – dazu 10 Rupien Vorschuß.

Am 18. Sept. fuhr das tschechische Frachtschiff in den Hafen von Colombo ein.

Am 19. fuhr es schon wieder ab.

Am 20. Sept. 4 Uhr Nachmittag Abfahrt von Colombo.

21. schöne, ruhige Fahrt. Am 22. Vormittag sah man links eine Insel Indiens. Nach der Abfahrt von Colombo erhielten wir Liebesgaben – 15 Bananen, ¼ Kokosnuß, 1 Orange, 2 Schachteln Zigaretten.

23./24./25. (September) schöne, ruhige Tage. Zu sehen war nichts, außer Himmel und Wasser.

26. etwas bewegte See.

Am 27. Nachmittag wurde es ganz ruhig und furchtbar heiß.

Am 28. sehr heiß. In der Nacht fuhren wir in der Höhe von Aden – wo wir nicht stehen blieben. Es begegneten uns mehrere Schiffe.

Am 29. Sept. fuhren wir durch eine Meerenge (Dschibuti) ins Rote Meer. Man sah links und rechts nicht weit. Vor uns Land, meist nackte Berge – alles ausgebrannt vor Hitze. Nachmittags kam wieder etwas Wind, was uns sehr wohltat.

Am 30. Sept. sehr heiß – auch in der Nacht konnte man vor Hitze nicht schlafen.

Am 1. Okt. etwas Wind und in der Nacht konnte man doch schlafen.

2. Okt. Schöne angenehme Luft – sind schon außer den Tropen. Links sehr nahe Land, ganz kahle, nackte Berge – kein Baum, kein Strauch. Auch rechts waren Berge zu sehen. In weiter Entfernung der Berg Sinai.

Am 4. Okt. Kamen wir gegen Mittag zum Suezkanal, wo wir stehenblieben bis 5. Okt. Um 8 Uhr Früh Abfahrt in den Kanal, links die Stadt Suez, – schöne Gebäude mit Gärten verschiedener Art, Bäume. Auch außer der Stadt zogen sich Baumgruppen hin und Behausungen. Kühe und Kamele weideten daneben. Am rechten Ufer (Osten) nur Sand und Wüste. Um 4 Uhr Nachmittag blieben wir in einem See stehen bis am 6. Okt. Früh um 6 Uhr ging die Fahrt weiter. Links am Kanalufer war die Eisenbahn – rechts immer Wüste und englisches Militärlager. Brücke über den Kanal. Mittags um 11 Uhr kamen wir in Port Said an.

Am 7. Okt. wurde Wasser, Kohle und Esswaren eingeladen. Ausgang in der Stadt, wer wollte bis 4 Uhr Nachmittag.

Am 8. Okt. Mittags 1 Uhr Abfahrt von Port Said. Gleich außer dem Hafen sah man auf 3 Stellen die Mastspitzen von untergegangenen Schiffen.

Am 9. Okt. bewegte See, starker Wind, gegen Abend Gewitter mit starkem Regen. Ziemlich kühl.

Am 10. Okt. sehr schön und ruhige See. Rechts sah man am Abend die Insel Kreta.

Am 11. etwas Wind, am Abend Gewitter und Regen.

Am 12. Okt. öfter Regen, Mittags Gewitter – Nachmittags meistens Regen.

Am 13. Okt. schönes Wetter, doch in der Nacht frisch 13-14 Grad. In Triest angekommen.

Am 14./15./16. wurde ausgeladen. Nachmittags wurden wir einwaggoniert – abends fuhren wir ab nach Budweis.

Am 20. Oktober 1920 in Budweis angekommen. Zehn Uhr abends bekam ich meine Abfertigung und fuhr ¼ Uhr ab und bin um 5 Uhr in Kaplitz und um ½ 10 Uhr glücklich und gesund zu Hause angekommen.

lo