Peter Obst: Mutter stoppt den Exodus - Kriegsende im Berliner Vorort Oberschöneweide

    Dieser Eintrag stammt von Peter Obst aus Berlin , August 2008 :

    Am 23. April 1945 war in Oberschöneweide - einem südöstlichen Vorort von Berlin - das Kriegsende abzusehen. Vereinzelter Geschützdonner zeugte davon, dass sich um den benachbarten Köpenicker Bahnhof Sowjets und die SS erbitterte Kämpfe lieferten, die zu mehrfachem Besitzwechsel des Bahnhofs führten.

    Unsere Mutter traf aus Dahmdorf in letzter Minute ein; sie hatte einen ausgelagerten Koffer mit Kleidungsstücken retten können. Ein Soldatentrupp auf der Fahrt nach Müncheberg hatte sie auf seinem Lastwagen mitgenommen.

    Aus Sicherheitsgründen kampierten wir nunmehr im Luftschutzkeller des Hauses Goethestraße 22. Abends besuchten einzelne Soldaten die Häuser, um die Bewohner aufzufordern, sich den abziehenden deutschen Truppenverbänden - die in der Wannseegegend einen Ausbruch planten - anzuschließen. In unserem fall war es ein blutjunger Gebirgsjäger. Meine Mutter Erna Obst lehnte als einzige Bewohnerin im Haus Goethestraße 22 dies ab und beeinflusste alle Bewohner in diesem Sinne. Damals eine sehr mutige Entscheidung, die Vielen das Leben und die Wohnung rettete.

    Am Morgen des 24. April gegen 6.00 Uhr sahen wir durch einen Haustürspalt einen sowjetischen Spähtrupp vorsichtig schleichend unsere Straße überqueren. Oberschöneweide war kampflos übergeben worden. Eine Stunde später trauten wir uns, vor die Haustür zu treten. Am Fenster des Nebenhauses stand ein Rotarmist und unterhielt sich in deutscher Sprache mit einem Bewohner und rauchte mit ihm eine Papyrossa.

    Ein fast friedliches Bild.

    Angelockt durch diese Szene verließen auch wir den Keller, um uns nach Lebensmitteln umzusehen. In der Wilhelminenhofstraße stand Haubitze an Haubitze, sie feuerten in Richtung Johannisthal. Auf dem Marktplatz vor der katholischen Kirche feuerten Stalinorgeln in Richtung Baumschulenweg. Nun sahen wir, dass der Kaisersteg und die Treskowbrücke gesprengt worden waren. Einen Tag früher hatten wir die Brücke überquert, die zu diesem Zeitpunkt bereits mit Sprengmunition bestückt war. Wache hielten deutsche Fallschirmjäger. Dabei bemerkten wir, dass in den Hauseingängen der Brückenstraße Soldaten der SS-Division Nordland postiert waren. Sie sind jedoch vor Kampfbeginn in Richtung Berlin-Neukölln abgezogen worden.

    Am Bahnhof Schöneweide hatte man eine 8,8-Flak eingegraben mit Schussrichtung Adlergestell.

    Allmählich setzten die sowjetischen Kampftruppen ihren Vormarsch in Richtung Berliner Innenstadt fort. Nun sickerte der Mob ein. Rotarmisten - ein Großteil Mongolen, teilweise sturzbetrunken - gingen in den Kellern ein und aus, im Anschlag die Maschinenpistole, u.a. nach Uhren suchend. Die von den Bewohnern aufgestellten Wecker befriedigten sie nur selten. Aus Erfahrungen von Frontsoldaten hatten wir unsere Armbanduhren am Oberarm befestigt, so dass wir dieser Aktion entkamen.

lo