> Silvia Koerner: Evakuierung aus Berlin 1943

Silvia Koerner: Evakuierung aus Berlin 1943

Dieser Eintrag stammt von Silvia Koerner (* 1938) aus Schweden (vielebluemchen@web.de), 11.01.2000:


Im Spätsommer 1943 mußten wir unsere Wohnung in Berlin-Tempelhof verlassen. Wir wurden evakuiert. Mit der Eisenbahn kamen wir nach Königsberg in Ostpreußen. Von dort aus ging es weiter mit der Kutsche auf ein großes ländliches Anwesen. Der Besitzer des Anwesens stand mit all seinen Leuten auf der Treppe des großen Wohnhauses, um uns zu empfangen. Einer nach dem anderen stiegen wir aus der Kutsche, wobei ich rasch bemerkte, daß sich die Gesichtszüge der Leute merkwürdig veränderten und regelrecht abweisend wirkten, als meine Geschwister und ich vor ihnen standen, um sie mit Knicks bzw. Verbeugung zu begrüßen. Wir blieben nur ein, zwei Tage auf diesem Anwesen.

Später einmal fragte ich Mutti nach dem Grund dieses so kurzen Aufenthaltes, an den ich mich dennoch sehr gut erinnerte. Da erzählte sie mir, daß sie auf ihren Papieren "Mutter mit Kind" angegeben hatte. Kein Wunder, daß die Leute ihr Erstaunen nicht verbergen konnten, als wir vier an der Zahl waren, die da aus der Kutsche stiegen! Warum Mutti diese falschen Angaben gemacht hat, habe ich nicht erfahren, nehme aber an, daß sie wohl Angst gehabt hat, nirgendwo mit ihren vier Kindern aufgenommen zu werden.

So kamen wir schließlich mit dem Zug nach Prenzlau in der Uckermark und von dort aus auf ein Rittergut in einem nahegelegenen Dorf.

Auf dem Land war es merkwürdig ruhig und friedvoll; anstelle von Lärm durch Fliegeralarm und Bomben hörte ich nun zum ersten Mal natürliche Laute wie das Muhen von Kühen, das Gackern von Hühnern, das Krähen von Hähnen und das Blöken von Schafen und entdeckte Tiere wie Hasen, die zwischen den Zuckerrüben zickzack liefen, kleine Erdmäuse, die zielstrebig in Löchern im Erdboden verschwanden, dunkelblau glänzende Käfer, die planlos umherspazierten oder auf dem Rücken gelandet waren und mit den Beinen in der Luft zappelten.

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