Erinnerungen von Walter Koch (1870-1947) aus Dresden, Chef des Sächsischen Landeslebensmittelamtes, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 2000/2128):
Es war wirklich zeitweise die Hölle, dieses Landeslebensmittelamt! Man bedenke einmal, was es hieß, eine Bevölkerung, die seit Unvordenklichkeit den Standpunkt einnahm, daß jeder essen kann, was ihm schmeckt, und soviel als ihm sein Geldbeutel erlaubt, allmählich zu der Einsicht zu bringen, daß ihm die Menge an Brot, Fleisch, Butter, Milch, Zucker usw., die er wöchentlich konsumieren darf, von der Behörde zugemessen wird. Wie die gesamte Rationierung schließlich durchgeführt worden ist, ist ein Ruhmesblatt für die Einsicht und die Disziplin.
Ich bin während des Krieges im Inneren Böhmens gewesen. Die hatten auch Lebensmittelkarten. Aber die Reichen warfen sie lachend in den Papierkorb, weil sie alles freihändig bekamen. Aber die Armen? Ich bin in Gottesgab gewesen und habe die Erwachsenen und die Kinder gesehen, die von gekochtem Grase lebten und mit Wassersäcken unter dem Halse, dem sogenannten Hungerödem, herumliefen. Ich habe mich schließlich entschlossen, trotz unser eigenen Knappheit den Leuten über der Grenze bei Reitzenhain und Olbernhau, die am Verhungern waren, Brotkarten und Brot von uns zuzuteilen. Und das gleiche habe ich mit den 400 Eisenbahnangestellten in Bodenbach-Tetschen gemacht, damit sie nicht von den Weichen wegliefen und auf Lebensmittelsuche gingen; denn Tag und Nacht fuhren die Züge mit unseren Feldgrauen durch diese Bahnhöfe. Wissen durfte das damals freilich niemand. [...] Aber in jeder Tageszeitung konnten wir lesen, in jeder Elektrischen konnten wir hören, daß wir alles verkehrt machten, daß wir die größten Versager der ganzen Kriegsmaschine seien.
Eine schwere Sorge war für uns von Anfang an die starke Schweinehaltung der Bevölkerung. Das Schwein lebt von denselben Nahrungsmitteln wie der Mensch, es verringert den Nahrungsvorrat des Landes. Solange der Bauer Schweine aufzog und mästete, suchte er sich der gewissenhaften Ablieferung der Vorräte, die zur Ernährung der Städte gebraucht wurden, zu entziehen. Aber auf der anderen Seite war das Schwein einer der wichtigsten Faktoren der Fettversorgung der Bevölkerung.
Um den Bestand einigermaßen zu verringern, schloß ich mit mehreren Konservenfabriken einen Vertrag auf Herstellung von Schweinefleischkonserven und Wurstkonserven im Werte von etwa 9 Millionen Mark. Diese Konserven, die übrigens vorzüglich waren, bot ich den sächsischen Städten an, die sie auch annahmen. Einzelne Städte saßen allerdings damals noch auf einem hohen Rosse und erwiderten, daß ihre Einwohnerschaft keine Konserven esse. So insbesondere die Stadt Plauen, die auch sonst zuweilen schwierig war. So hatte ich ihr, als die Kartoffeln dort knapp wurden, 50 Sack Reis geschickt, um die Not zu steuern. Sie sandte den größeren Teil zurück, da ein Teil der Einwohnerschaft den Genuß von Reis ablehnte.
Je mehr sich die Nahrungsmittelknappheit verschärfte, um so stürmischer verlangte ein großer Teil der Presse die Abschlachtung aller Schweinebestände. "Das Schwein ist der 9. Feind Deutschlands” war ein Schlagwort weiter Kreise. Selbst die angesehensten Rittergutsbesitzer des Landes suchten mich auf und warnten vor der großen Verantwortung, die ich auf mich nähme, wenn ich die Abschlachtung ablehne. Ich frug beim Hauptquartier an, wie lange der Krieg noch dauern werde. Die Antwort lautete: Mit 6 Monaten sei noch zu rechnen. Da die Schweine etwa im Alter von 8 Monaten fortpflanzungsfähig werden, so war eine schnelle Erneuerung des Bestande nach dem Kriege möglich. So wurde die Abschlachtung beschlossen und durchgeführt.
Der Krieg dauerte aber noch Jahre lang; und so trat der empfindliche Fettmangel ein. Nun rief die gesamte Presse - auch diejenige, die täglich die Notwendigkeit der Abschlachtung gepredigt hatte: "Welcher Idiot hat denn die Schweine abschlachten lassen!”. Und alle die sachverständigen Ratgeber, die mich gedrängt hatten, verhielten sich mäuschenstill und waren nicht dabei gewesen!