> Werner Mork: Als Soldat in Frankreich 1940

Werner Mork: Als Soldat in Frankreich 1940

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921 ) aus Kronach , Juli 2004 :

Als ich im Sommer 1940 als Soldat in Paris war, gab es zu der Zeit auch noch keine Spannungen zwischen uns und den Franzosen, wie sie dann entstehen sollten, als die Gestapo, der SD, die SS, die Partei und nicht zuletzt dann die Wehrmacht selber sich so widerlich und unmenschlich aufführten, dass auch die noch bestgesonnen Franzosen zu Gegnern wieder werden mussten. Alles was an gegenseitiger Sympathie in den Monaten entstand, wurde später wieder zerstört, die Deutschen wurden wieder die "Boches", die erneut gehasst wurden, bis hin zur blutigen Gewalt, zum Widerstand gegen die Deutschen.

Dabei war es noch 1941 so, dass der Krieg gegen Russland sogar von sehr vielen Franzosen als gerechter, und erforderlicher Kreuzzug gegen den Bolschewismus angesehen wurde.

Es entstand sogar eine französische Legion von Freiwilligen, die auf der Seite der Waffen-SS in Russland kämpfte. Die neue, sehr schwerwiegende Feindschaft gegen die deutsche Besatzung in Frankreich begann dann nach 1941, als sich immer mehr brutale Übergriffe in Frankreich ereigneten. Das hatte zur Folge, dass, der im englischen Exil lebende, General de Gaulle mehr und mehr Anhänger bekam, und das der Widerstand im Maquis sich in ganz Frankreich zu einem schlimmen Partisanenkrieg entwickelte.

Natürlich war jetzt, nach dem Waffenstillstand das Grauen des deutschen Vormarsches nicht vergessen bei den Franzosen, auch nicht das eigene große Flüchtlingselend, das Brüllen der Geschütze, der Terror der Stukas, das Rollen der Panzer, nicht die vielen Toten und Verwundeten, die dieser "Feldzug" den Franzosen als Opfer gekostet hatte. Aber viele der Franzosen waren auch der Meinung, dass das alles nicht nötig gewesen war, weil die Beistandsverpflichtung gegenüber Polen, nicht von allen als richtig angesehen wurde. Es gab nicht wenige, die mit dem Verhalten der seinerzeitigen Regierung in Frankreich nicht einverstanden waren.

Das, was heute noch immer als "der brutale Überfall" auf Frankreich geschildert wird, wurde in Frankreich durchweg nicht so gesehen. Historiker sollten sich auch hierbei doch mehr der Wirklichkeit bedienen und sich nicht immer von Meinungstrends leiten lassen, in denen die Deutschen als die schlimmen Nazis gesehen werden, die hemmungslos Frankreich überfallen haben. Sie sollten sich mehr der Realitäten bedienen, die ihre Ursachen im Vertrag von Versailles haben, wie es auch von vielen Ex-Gegnern nach 1919 gesehen worden ist. Geschichtliche Wahrheit ist dringend angebracht.

Wegen des erlebten Grauens im eigenen Land, seinerzeit im 1.Weltkrieg und jetzt in diesem Krieg wieder, war die Mehrheit der Menschen für einen Frieden mit den Deutschen und das Thema Nationalsozialismus spielte in der Zeit noch eine untergeordnete Rolle.

Und das Thema Juden in Deutschland, war für viele Franzosen kein Thema, das sie aufgeregt hätte, denn der Antisemitismus war auch in Frankreich nicht unbekannt, nicht nur aus der Zeit der Affäre Dreyfuss. Es gab nicht wenig Sympathie für das Vorgehen der Deutschen gegen die Juden, und es gab auch in Frankreich etliche willige Helfer bei den Deportationen und Verhaftungen. Über diese Zeit, das Verhalten der Franzosen, das Verhalten der Deutschen gegenüber Frankreich gibt es sehr gute Informationen, die man Büchern entnehmen kann, die von Franzosen geschrieben worden sind, in der betreffenden Zeit und auch danach. Das habe auch ich getan, und mich in Büchern schlau gemacht, die ich in der jüngsten Vergangenheit aus Antiquariaten erworben habe.

Es soll und darf aber nicht verschwiegen werden, dass auf dem "Vormarsch" der deutschen Truppen viel Schlimmes geschehen ist, auch an Vergewaltigungen und Plünderungen. Zwar habe ich das nicht erlebt, aber ich konnte dann in der nächsten Zeit vieles hören von deutschen Soldaten, die sich dieser "Heldentaten" noch immer rühmten und sich mit einem widerlichen Stolz damit brüsteten. Es gab auch diese Kreaturen in der Wehrmacht und die angeblich so guten Deutschen waren nicht besser als die Soldaten, die Soldateska zu allen Zeiten, in allen Völkern und allen Nationen. Nur will das kaum einer für sein Volk, für seine Soldaten gelten lassen, denn die Bösewichter sind immer nur die anderen. Und die, die 1940 "siegreich" durch Frankreich zogen, waren ganz normale deutsche Soldaten, das war keine Horde von wildgewordenen und blutgierigen Nazi-Soldaten der "Nazi-Wehrmacht." Es gab in dieser Wehrmacht, genau wie im normalen Leben, alle Typen und Menschen von der anständigen Art, bis hin zum Lumpen und Verbrechern. Die Wehrmacht war ein sehr getreues Spiegelbild der menschlichen, wie der unmenschlichen Gesellschaft. Ein Spiegelbild, das ich selber noch zur Genüge erleben sollte.

Nun Schluss mit diesen eingeschobenen Gedanken, die sich ergeben haben, bei der Schilderung der Stimmung und dem Verhalten in der Zeit 1940/1941 in Frankreich aus meinem Erleben heraus. Womit nicht gesagt werden soll, dass nur eitel Sonnenschein geherrscht hat, aber durchweg war das gegenseitige Verhalten anständig und gut, trotz der widerlichen Typen, die es aber auch auf beiden Seiten gab.

Unser Marschbefehl beorderte uns von Paris zu unserem eigentlichen Standort, der hieß Trouville. Ein Name, der uns eigentlich nichts sagte. Wir hörten nur, dass diese Stadt an der Atlantikküste liegt und ein Nachbarort des Seebades Deauville ist, was uns aber auch nichts sagte, bis wir dann vom Hauptmann über die Bedeutung dieser Orte, besonders Deauville, aufgeklärt wurden. Da fühlten wir uns nun ganz toll, weil wir in eine solch erlauchte Gegend kommen würden. Es war doch auch großartig, was uns geboten wurde - an Krieg dachten wir dabei kaum noch.

Die Fahrt der Kolonne von Paris zum neuen Standort führte durch Gebiete, die den meisten von uns vom Namen her nicht unbekannt waren, wie es auch schon auf der Fahrt von der deutschen Grenze nach Paris gewesen war. Viele dieser Namen, waren uns aus der Zeit des letzten Krieges bekannt, Namen die auch ich schon in der Schule gehört hatte und auch aus den Erzählungen der Erwachsenen, vor allem der Väter. Aber noch mehr waren sie uns bekannt aus dem gerade jetzt vergangenen "Feldzug", aus den Wehrmachtsberichten und Sondermeldungen. Nur fuhren wir über die alten und die neuen Schlachtfelder, das war ein Erleben, das uns mit einem besonderen Bewusstsein und auch Stolz erfüllte.

Wir fuhren durch Gebiete, in denen unsere Väter das Grauen der Stellungskämpfe erlebt hatten, in denen so viele Soldaten hatten sterben müssen, in denen aber die deutschen Soldaten doch unbesiegt blieben, wie wir es gelernt hatten. In uns herrschte das Gefühl, dass nun unsere Väter gerächt waren, dass ihre Soldatenehre wieder voll hergestellt war. Wir kamen durch die Gebiete, in denen im jetzigen Krieg die Panzerschlachten getobt hatten, deren Spuren noch deutlich erkennbar waren. Wir kamen aber auch in viele Orte, die starke Zerstörungen aufwiesen, die wir schon mit einer gewissen Beklemmung sahen. Wir sahen auch, die an den Rändern der Straßen liegenden Wracks von französischen und englischen Fahrzeugen und zerstörten Panzern. Diese Eindrücke vermittelten uns zumindest zweierlei Gefühle, einmal das Sehen von Kriegseinwirkungen nun mit dem eigenen Auge, nicht mit dem Blick der deutschen Wochenschauen, und zum anderen mit einer nationalen Emotion in bezug auf den 1. Weltkrieg, die sich in einer gewissen Euphorie über den deutschen Sieg darstellte. Das Gefühl von Stolz über unsere Wehrmacht war dabei aber stärker, als der Eindruck von dem, was der Krieg angerichtet hatte. Dabei entstand sogar ein Bedauern darüber, dass wir nicht hatten dabei sein können bei dem Siegeszug der Wehrmacht. Mitleid über das Geschehene kam uns nicht in den Sinn. Für uns, war das eben der Krieg mit allem was dazu gehört! Kriege waren nun mal so, meinten wir.

Bei einer Rast der Kolonne, sprach dann der Hauptmann Rilling zu uns über seine Zeit im 1. Weltkrieg. Dabei erlebten wir, dass dem Hauptmann Tränen in den Augen standen, die kamen ihm aus der Überwältigung darüber, dass sich jetzt alles so wunderbar gewandelt hatte. Bei ihm war sogar die Rede von heiligen Schlachtfeldern wobei dem "alten Krieger" keine trüben Gedanken kamen über den Wahnsinn eines Krieges, über die unsinnigen Opfer, über das Elend des Krieges. Er, der Herr Hauptmann der Reserve, war erfüllt von der Gloriole, des nun endgültigen Sieges über den Erbfeind. Mit diesen stolzen Gefühlen in der Brust, fuhr er mit den ihm im neuen Krieg anvertrauten Soldaten über die alten, und die neuen Schlachtfelder. Er und wir alle, taten das in dem Bewusstsein der Sieger, die nie wieder Verlierer sein würden. In seiner Ansprache hatte der Herr Hauptmann der Reserve auch den Führer erwähnt, dem er dankte für das Wiedererstehen des Deutschen Reiches!

So fuhren wir nun über Frankreichs Straßen in Richtung Atlantikküste. Ich hatte zu meinem Vehikel, dem LKW ein ganz gutes Verhältnis gefunden und kam mit dem Fahrzeug nun zurecht. Es machte mir jetzt auch direkt Spaß damit zu fahren. Die anfänglichen Probleme waren nicht mehr vorhanden, ich hielt gut Schritt bzw. Tempo mit der Kolonne. Ohne Pannen und Schwierigkeiten kam ich mit allen gemeinsam an das Ziel. Meine ursprünglichen, etwas wehmütigen Gedanken darüber, dass ich kein richtiger Nachrichtenmann mehr war, hatten dem Gefühl Platz gemacht, dass auch ein Kraftfahrer von Nutzen sein kann. Dahinzu kam aber auch die Meinung, dass es doch gar nicht so unangenehm ist, ein solcher zu sein, weil es doch bequemer war, als womöglich auf eigenen Sohlen marschieren zu müssen. Ich hatte meinen inneren Frieden gemacht mit dem stattgefundenen Wandel, ich war mit mir selber nun ganz zufrieden, vorläufig!

Wir kamen gut an in Trouville, und wurden dort, weil die endgültige Unterkunft noch nicht feststand, wieder in einem Hotel einquartiert. Und das lag unmittelbar an der Seepromenade! Wir kamen uns vor, als wären wir Touristen. Das Hotel hieß "Chatham", war ein ziemlich großer Kasten noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Das war in seiner Glanzzeit eines der vielen Seebäder-Hotels gewesen, in denen sich die damalige Oberschicht Europas ein Stelldichein gab. Trouville und Deauville waren berühmte Badeorte, wobei in Deauville vor dem 1.Weltrieg, besonders die Russen dominiert hatten, Adel und Großbürgertum. Und in Trouville waren nun wir die "Gäste" in einem Seebäder-Hotel, das allerdings etwa mies und herunter gekommen wirkte, eine Folge der Soldaten-Einquartierung.

Von meinem Zimmer aus hatte ich das Vergnügen, in die Fenster einer Wohnung zu schauen, die von einer sehr hübschen Dame als mein Gegenüber bewohnt wurde. Dieses sehr angenehme Gegenüber wurde von mir als äußerst nett empfunden. Beim Schauen blieb ich aber nicht unbemerkt. Ich wurde sehr wohl wahrgenommen und dabei ergab sich sehr schnell ein intensiver Blickkontakt, der dann "ausartete" im Schreiben von kleinen Zettelchen, die von beiden Schauenden, mit Hilfe eines kleinen Wörterbuchs produziert und auch übersetzt wurden. Der Austausch erfolgte, nach Zeichensprache von Fenster zu Fenster, an der Haustür, die dann aber eine offene Tür wurde und ich die schöne Nachbarin in ihrer Wohnung besuchte, wozu sie mich eingeladen hatte. Nach dem ersten Besuch ergaben sich viele weitere Besuche, immer dann, wenn ich dienstfrei hatte. Es entstand eine sehr heftige, gegenseitige Zuneigung, die sehr stürmisch wurde. Tja, das war dann ja wohl fast eine Art von Völkerverständigung.

Die junge Dame war verheiratet, hatte einen kleinen Sohn, mit dem sie nun alleine lebte, denn der Mann, ein französischer Offizier befand sich im unbesetzten Teil Frankreichs, hinter der Demarkationslinie, bei dem Teil der Armee, die dem Vichy-Regime unterstand. Ein Besuch war nicht möglich, die Demarkationslinie wurde für Besuche nicht geöffnet. Es gab auch keine Möglichkeit der Rückkehr, weil dann der Offizier automatisch ein Kriegsgefangener wäre und in ein Lager kommen würde. Die hübsche, junge Madame hieß Yvonne Pierett Pierrou, sie war von Beruf Sängerin. Sie war aufgetreten auf Bühnen und in Konzerten. Es gab von ihr auch Schallplatten, die ich mir anhören konnte. Abgespielt wurden sie auf einem Koffergrammofon. Aber auch in natura erlebte ich ihre wunderbare Gesangsstimme, die sehr beeindruckend war. Dabei kam mir die Erinnerung an Lieselotte Thomamüller in Bremen, als ich seinerzeit eine Radioanlage in ihrer Wohnung installierte, und dabei auch ihre so wunderbare Stimme vernehmen durfte, weil sie mir einfach ganz vergnügt vorsang in ihrer Wohnung in der Contrescarpe, in nächster Nachbarschaft von Hillmanns Hotel.

Madame war eine bezaubernde, bildschöne und sehr attraktive junge Frau, die voller Lebenslust und Lebensfreude war. Wir verlebten, in der leider nur kurzen Zeit wunderbare Stunden voller Zärtlichkeiten, die ich Jüngling, so noch nie erlebt hatte. Ich hatte mich in diese hinreißende Französin hemmungslos verliebt, ich war ihr total verfallen, aber das sehr gerne. Sie hatte ein unwahrscheinliches Temperament, das immer wieder mir ihr durchging. Sie hatte eine unwahrscheinliche, kastanienfarbene Haarpracht, die einen großen Reiz ausübte. Wie ich dann viele Jahre später feststellte, hatte sie eine sehr große Ähnlichkeit mit der italienischen Sängerin Milva. Das wurde mir bewusst, als ich Milva zum ersten Mal im Fernsehen sah und hörte, sie hätten Zwillingsschwestern sein können, auch in der Stimme. Kein Wunder, dass ich von der Milva so begeistert bin, bis auf den heutigen Tag. Unsere Treffen in der Wohnung, waren nicht immer leicht zu bewerkstelligen, weil auch nächtliche Stunden miteinander verbracht wurden, was ja nicht hätte sein dürfen, denn auch im Hotel, gab es für uns den Zapfenstreich, und das bedeutete, um 22 Uhr im Hotel und dann im Zimmer zu sein. Und ich wurde prompt erwischt, d. h. meine Nichtanwesenheit im Zimmer wurde bei einer Kontrolle festgestellt, das brachte mir dann einige Tage Ausgangssperre ein. Die waren kaum zu ertragen, aber danach ab es ein sehr heftiges Wiedersehen.

Aus moralischer Sicht war dieses "Verhältnis" natürlich verwerflich, einmal, weil es ein Verrat an der Freundin in der Heimat war und zum anderen, weil das doch auch ein Ehebruch war. Aber ich war nach wie vor, ein schon etwas mieser Luftikus, der sich einfach das nahm, was ihm geboten wurde, und sie, die liebenswerte Französin hatte mir ihrem Verhalten auch keine Probleme. Und es war eine Verlockung für mich, in dem fremden Land mit einer tollen Frau, einer heißblütigen Französin ein Verhältnis zu haben. Aber es war auch eine Verlockung für sie, der charmanten und zauberhaften Frau, mit einem Deutschen ein Verhältnis zu haben. Wir konnten beide nicht widerstehen, und wir beide schämten uns dessen auch nicht. Ich bereue nichts von den schönen Stunden, die ich mit dieser wunderbaren Frau verleben durfte. Wie sie mir sagte, hatte sie sich in mich verguckt, weil ich so groß, so blond und so stark wirkte, wie ein richtiger Teutone, meinte sie.

Aber alles nimmt einmal ein Ende, so auch die heftige Liebe zu der Madame aus dem Haus von gegenüber. Die Einheit verließ das Hotel, um nun oberhalb von Trouville, in einer sehr vornehmen Villengegend das zugewiesene Quartier zu beziehen. Auf einem Areal von drei zusammenhängenden Grundstücken wurde die Kommandantur in den dazugehörigen Villen untergebracht. Die bisherigen Besitzer bzw. Bewohner waren während des Feldzuges geflüchtet, sie sollten sich jetzt im unbesetzten Teil Frankreichs befinden. Für mich begann jetzt ein sehr anstrengender Dienst, der mir keine Zeit mehr ließ, mich der Liebe in Trouville hinzugeben. Oftmals war ich mehrere Tage mit dem LKW unterwegs, dann wenn meine Fahrten nach Belgien führten, zu den dortigen Feldzeuglagern, wie z. B. in Mons. Von meiner Madame hatte es einen sehr stürmischen und auch sehr traurigen Abschied gegeben. Da merkte ich wieder einmal einen großen Liebesschmerz! Bei dem Dienst, den ich jetzt zu verrichten hatte, hätte es auch keine Möglichkeiten eines Ausbüxens mehr gegeben, ich war fest eingespannt, da ging nichts mehr.

     

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