> Werner Mork: Fliegerangriffe der Engländer in Afrika 1942

Werner Mork: Fliegerangriffe der Engländer in Afrika 1942

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Januar 2005 :

Als LKW-Fahrer auf der Fahrt von Tobruk nach Marsa Matruk erlebte ich den ersten Tieffliegerangriff in meinem bisherigen Dasein. Wir waren bei Fort Capuzzo über die Grenze nach Ägypten gefahren, die Fahrzeuge unserer Kolonne hielten einen großen Abstand, um nicht ein massiertes Ziel für feindliche Flugzeuge zu sein. Die Beifahrer saßen draußen auf dem rechten Kotflügel, um ihre Pflichten als Beobachter zu erfüllen. Dazu gehörte vor allem die Kontrolle des Himmels auf mögliche Feindflugzeuge, aber auch auf die mangelhaften Straßenmarkierungen zu achten, um zu verhindern, dass die Fahrzeuge vom "rechten Weg" abkommen, was durchaus möglich war. Wichtig war auch, trotz Wüstensand, Staub und mieser Sicht den Kontakt zu den vorausfahrenden Fahrzeugen nicht zu verlieren und außerdem auf die vielen Schlaglöcher zu achten und dem Fahrer rechtzeitig ein erforderliches Umlenken zu signalisieren. Die Hauptaufgabe war aber, die Beobachtung des Himmels, und das war ein Problem für sich. Ich hatte inzwischen gelernt, dass die Jagdbomber (Jabos) immer aus der Sonne kommend angreifen, deswegen oft nur in allerletzter Sekunde sichtbar werden. Dann konnte es schon zu spät sein für einen Halt und eine Fliegerdeckung abseits der Straße.

Und dann passierte es. Ganz plötzlich waren sie da, die Jabos. Wirklich wie aus heiterem Himmel! Der Alarm der Beifahrer reichte kaum noch um "auszusteigen", da krachten schon die Bomben, da hämmerten die Maschinenwaffen ihre Leuchtspurmunition, die hundsgemeine "Standard-Munition" aller Jagdbomber auf beiden Seiten. Schon stand weiter vorne ein Fahrzeug lichterloh in Flammen. Wir, die Besatzung unserer Zugmaschine, waren runter und liefen so schnell das möglich war in die Wüste hinaus. Ich armer Irrer, ich glaubte hinter einem Stein Deckung finden zu können, noch dazu in der blöden Annahme, dass man mich dahinter nicht erkennen könne von da oben, aus dem Flugzeug. Doch ich merkte sehr schnell, dass ich mich mit dieser Annahme wohl gründlich geirrt hatte. Die Jabos machten Jagd auf jeden Einzelnen und ein Jeder war von oben gut erkennbar. Aber es wurde nicht jeder getroffen, und so plötzlich wie die Jabos gekommen waren, waren sie auch schon wieder weg. Wir hatten großes Glück gehabt, uns war nichts passiert und unsere Zugmaschine samt Hängern war auch unversehrt geblieben. Aber es gab viele Ausfälle an anderen Fahrzeugen, besonders aber an Menschen. Es herrschte ein völliges Durcheinander und es war mühsam, aus dem Wirrwarr so herauszukommen, dass wir weiterfahren konnten. Wir nahmen dann noch zwei Verwundete mit, nachdem sie notdürftig verbunden worden waren.

Der Angriff hatte nur wenige Augenblicke gedauert, die Jabos waren verschwunden, was aber zurück blieb, das waren brennende und rauchende Trümmer und sehr viele Verwundete, leider auch etliche Tote. Dieser erste erlebte, aber Gott sei Dank überlebte Angriff war für mich das, was man immer so blöd als "Feuertaufe" bezeichnet. Das war die erste Bekanntschaft mit der Realität des Krieges, mit Bomben und gezieltem Beschuss aus Bordkanonen. Mir zitterten die Knie, als ich wieder beim Fahrzeug angelangt war, und mir war hundsmiserabel zu Mute. Ich war ganz schön mitgenommen - oder vielmehr sehr unschön. Aber dagegen gab es die alten Afrikaner, die schon erfahrenen Landser, die behielten den Kopf einigermaßen oben, sorgten dann auch dafür, dass das entstandene Durcheinander nicht zu einem Chaos führte. Diese alten Hasen, die schon vieles mitgemacht hatten, brachten jetzt wieder Ordnung in das Desaster, damit weiter gefahren werden konnte. Dazu gehörte vor allem das Freimachen der Fahrbahn so gut das ging, ein mögliches Abschleppen von Fahrzeugen und Hängern mit Hilfe der anderen noch fahrtüchtigen Fahrzeuge, das Versorgen und Übernehmen der Verwundeten, die ohne ärztliche Hilfe nun aushalten mussten, bis wir in Marsa Matruk sein würden. Und dazu gehörte auch das Aufsammeln der Toten und die als traurige Last der Kolonne mitzugeben, bis Mars Matruk. Sie sollten dort begraben und nicht im Wüstendreck längs der Fahrbahn verscharrt werden. Aber dann war es so, dass es für viele der Toten doch keinen Platz gab auf den Fahrzeugen gab, die nun mal den Lebenden gehörten und dem, was sie zu transportieren hatten. So bitter das auch war, aber das war wichtiger als die Mitnahme von zusammengeschossenen Leichen. Tote zählten nicht mehr, die waren nur unnötiger Ballast. Das klingt brutal, aber das war sie, die schreckliche Realität.

Ich hatte Angst bekommen, um mein eigenes Leben und vor den kommenden Gefahren, die hier erst ihren Anfang nahmen. Jetzt war ich drin, im freiwillig gewollten Kriegserleben und konnte nur hoffen, dass das nicht zum Tode führen würde, aber möglichst auch nicht zu schweren Verwundungen, wie ich sie, bei diesem Angriff erstmals in ihrer Furchtbarkeit gesehen hatte. Nun war ich im Einsatz, zwar nicht mit der Waffe in der Hand, und nicht unmittelbar an der Front, aber dennoch in einem Einsatz, der nicht minder voller Gefahren war. Schlimm war dabei das Gefühl, diesen Gefahren doch völlig hilflos und wehrlos ausgeliefert zu sein. Es gab keinen Feind, dem man gegenüber lag oder stand, es gab bei diesen Gefahren "nur" den Feind von oben, aus der Luft, gegen den man selber doch wehrlos war. Bei den Luftangriffen, konnte man nur versuchen, aus dem direkten Angriffsbereich der Jabos zu flüchten. Nur war das ein kläglicher Versuch, bei dem man sich selber direkt beschissen vorkam, weil es doch nur ein Davonlaufen war, eine Art von Selbstbetrügen mit der fadenscheinigen Hoffnung, man könne dem Feind damit entkommen.

Von einer frisch-fröhlichen Feuertaufe konnte bei mir keine Rede sein, es war das ein schreckliches Erlebnis, meine erstes dieser Art. Nun war er da, der Krieg in seiner ganzen Grausamkeit, in seinem ganzen Schrecken, der mich nun auch nicht mehr verlassen sollte. Erstmals hatte ich eine furchtbare Angst verspürt, die mich auch nicht mehr verlassen sollte. . Sie wurde sogar noch furchtbarer, als ich noch viel Schlimmeres erlebte, aber froh sein musste, dass ich lebend davon kam. Es war der 2. November 1942, gegen 17 Uhr, als im Hafen von Tobruk ein Inferno ausbrach. Es geschah, dass urplötzlich Bomben vom Himmel fielen. Es gab nicht den sonst "üblichen" Fliegeralarm seitens der Flak, die von den anfliegenden Feindflugzeugen nichts bemerkt hatte. Was nun folgte, war ein wirklich infernalischer Bombenangriff auf den Hafen und auf Menschen, die hilflos ohne Schutz dem Angriff ausgeliefert waren. Was sich jetzt abspielte, war grauenhaft. Aus einer Höhe, die für die Flak nicht erreichbar war, flog ein Verband britischer Flugzeuge des Typs Bristol-Blenheim den ersten Zielbombenangriff auf den Hafen von Tobruk. Bei diesem Zielangriff, der gesteuert wurde von neuesten Geräten in den Maschinen, luden diese Bomber zielgenau, ungestört und mit absoluter Präzision ihre Bomben ab. Diese Einzelheiten erfuhr ich aber erst in den nächsten Tagen.

Die Bomben fielen nicht nur in das Hafengelände, sondern auch auf Transportschiffe, die vor dem Hafen ankerten. Ich hatte bei dem Angriff, im Gegensatz zu anderen im Hafen, aber ein sehr großes Glück. Mein Glück war, dass ich mich mit meinem Fahrzeug in Wartestellung befand und noch nicht zu Beladen gekommen war. Die Türen meiner Zugmaschine hatte ich auf beiden Seiten weit geöffnet, weil ich in der drückenden Luft Durchzug haben wollte. Weil dem so war, wurde ich durch den Luftdruck einer in nächster Nähe gefallenen Bombe aus der Zugmaschine geworfen und landete im hohen Bogen etliche Meter weiter entfernt auf dem Boden. Die weit offenen Türen waren meine Rettung, nun lag ich draußen im Bombenhagel und im Splitterregen, aber in nächster Nähe des Eingangs zu einem Luftschutzstollen. Den nahm ich in dem Moment überhaupt nicht wahr, was ich aber wahrnahm waren zwei italienische Soldaten, die, wie sich später herausstellte, unter Einsatz ihres eigenen Lebens nach draußen rannten und mich dann in den rettenden Stollen schleppten oder zogen. Diesen beiden beherzten Italiener, ihrem Mut und ihrer Tapferkeit verdanke ich, dass ich mit dem Leben davon gekommen bin, denn die Wahrscheinlichkeit draußen umzukommen oder zumindest verwundet zu werden, war größer, als das Inferno zu überstehen.

Wie lange ich draußen gelegen habe, weiß ich nicht, auch nicht, wie lange dann noch im Stollen. Es hat schon eine Zeit gedauert, bis ich wieder zu mir gekommen bin. Mit dem Bombenhagel war es vorbei, aber dafür flog jetzt Munition durch die Gegend. Die Briten hatten das mit Munition voll beladene Schiff getroffen, von dem ich ursprünglich Munition hatte auf meinen LKW laden sollen, bevor ich zum Mehl-Transport in die hinteren Reihen der wartenden Fahrzeuge abgestellt worden war. Manchmal geht das Schicksal schon seltsame Wege.

Zu meinem Schock ist noch nachzutragen, dass ich auf Jahre hinaus Flugzeuggeräusche nicht mehr hören und Angriffe nicht mehr ertragen konnte. Mich überkam dann immer ein furchtbares Zittern am ganzen Körper und ein wahnsinniges Angstgefühl. Alle Versuche dagegen anzugehen, waren erfolglos. Ob an der Front, oder auch in der Heimat. Bei Flugzeuggeräuschen, anfliegenden Bomberverbänden, Tieffliegerangriffen und sogar beim "normalen" Flugverkehr gingen die Nerven mit mir durch, immer wieder überkam mich eine panische Angst. Und jedes Mal glaubte ich, durch Davonlaufen mich dem drohenden Unheil entziehen zu können. Das führte im Verlauf der weiteren Kriegsjahre sehr oft zu einem völlig kopflosen Verhalten, welches von anderen nicht verstanden und als Feigheit ausgelegt wurde. Als schon längst Frieden war, konnte ich noch immer keine Flugzeuggeräusche ertragen, ohne ungute Gefühle zu bekommen.

Ein Kamerad von mir, ein Wiener, hatte bei dem Angriff einen Nervenzusammenbruch erlitten, der zur Folge hatte, dass er im Lazarett in eine Zwangsjacke gesteckt werden musste und dann ausgeflogen wurde. Auch das war eine der grauenhaften Realitäten des Wahnsinns, der als Krieg über die Menschen gestülpt wurde.

lo