> Werner Mork: Heimaturlaub 1943/1944: Gedanken über den Krieg

Werner Mork: Heimaturlaub 1943/1944: Gedanken über den Krieg

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Juni 2006:

Im Dezember 1943 war ich auf Heimaturlaub in Bremen. Belastend waren dort die Gedanken, die sich mit dem befassten, was mir als Soldat noch bevorstehen würde, wie auch die, was in der Heimatstadt noch geschehen könne bei den immer stärker werdenden Luftangriffen. Diese trüben Gedanken wurden noch verstärkt durch die in Kürze wieder bevorstehende Trennung von meiner Frau Ilse, die ich während des Urlaubs zu Weihnachten 1943 geheiratet hatte. Die Ungewissheiten über die nächste Zukunft machten mir mehr Kummer und Sorge als alles andere. Weil Ilse und ich aber dennoch etwas unbelastet sein wollten in den nur wenigen Urlaubstagen, machten wir trotz des Krieges eine Hochzeitsreise. Wir wollten dahin, wo es noch ruhig war, wo noch keine Luftangriffe tobten, und wir fuhren nach Goslar. Wir fanden ein Quartier in einer Privat-Pension, was noch möglich war im Jahre 1943, das nun zu Ende ging, und wir verbrachten den Jahreswechsel in Goslar.

Meine soldatische Auffassung und Einstellung war inzwischen auf einem sehr tiefen Punkt angelangt. Das Heldentum hatte langsam seine Grenzen gefunden, es war schon längst nicht mehr "süß und ehrenvoll für das Vaterland zu sterben". Sein eigenes Leben zu erhalten, stand weitaus mehr im Mittelpunkt der allgemeinen Überlegungen, nicht nur beim "kleinen Landser". Nur wurden dennoch bis zum bitteren Ende so viele übermenschliche Leistungen von den Soldaten erbracht. Sie mussten kämpfen, sie mussten dem militärischen Gehorsam Folge leisten trotz der Gewissheit, nur mit viel Glück den Wahnsinn überstehen zu können, hätten sie es nicht getan, dann hatten sie absolute Gewissheit standrechtlich erschossen oder aufgehängt zu werden.

Allerdings kam dann eine große Wut über uns alle, als bekannt wurde, dass unsere Gegner niemals einen Waffenstillstand schließen wollten, sondern nur eine totale Kapitulation annehmen würden – das bedeutete: Krieg bis zur Vernichtung der deutschen Menschen, des deutschen Volkes und Reiches. Diese Wut, die alle überkam, war das, was die Soldaten bis zum totalen Ende kämpfen ließ. Es gab bald keine Hoffnung mehr auf einen ehrenvollen Frieden, und wir lehnten uns bewusst oder unbewusst auf gegen diesen Akt einer totalen Vernichtung unseres Volkes und unserer Führung. Die Führung war für uns noch keine Clique von Verbrechern. Vor allem aber wollten wir nicht von den möglichen Siegern versklavt werden, wir wollten unser Dasein weitgehend selber gestalten, trotz Krieg und allem Unheil, das aber doch auch nicht von uns alleine angerichtet wurde. Wir wollten den Krieg zwar nicht verlieren, aber wenn es so kommen sollte, dann wollten wir einen Frieden, wie er sich unter zivilisierten Völkern doch immer ergeben hatte. Aber dabei wollten wir keine ehrlose Nation sein, und der mögliche Frieden durfte nicht noch schlimmer und brutaler als das seinerzeitige Diktat von Versailles sein, damals 1919. Wir wollten unser Deutschland nicht untergehen lassen, wir wollten es erhalten.

Die Alliierten hatten mit ihrer Forderung der bedingungslosen Kapitulation das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten: der Wille zum Widerstand wurde damit nicht gebrochen, er wurde stärker, trotz der Tatsache, dass die Soldaten die Nase zwar restlos voll hatten, aber nun keine andere Möglichkeit mehr sahen, als weiter zu kämpfen, und das an allen Fronten. Hitler und seine gesamte Kamarilla musste den Alliierten eigentlich dankbar sein für diese Proklamation. Und ein Goebbels wusste das dann auch gut auszunutzen, dieses Geschenk der Alliierten. Der Führer konnte also weiter befehlen, das Volk war in seiner Mehrheit bereit, weiter zu folgen, um den erforderlichen Sieg zu erringen, trotz der Opfer die noch gebracht werden mussten, aber das war in einem Kriege nicht zu ändern, und in diesem schon gar nicht. In dem ging es jetzt um das Sein- oder Nichtsein der deutschen Nation, der Existenz des deutschen Reiches. Darum musste die bisherige Führung erhalten bleiben, da konnte man sich einen etwaigen Wechsel doch wirklich nicht erlauben. Erst das Eine und dann das Andere!

Das deutsche Volk war voll drin im totalen Krieg, der von Goebbels propagiert worden war, und alle machten nun mit, ein jeder und eine jede hatten ihre kriegswichtigen Aufgaben, die auch von allen erfüllt wurden, nicht nur als Soldaten, sondern auch als Beschäftigte und Dienstverpflichtete in der Rüstungswirtschaft, in der sie dann auch viele "Mitarbeiter" vorfanden, die nicht als überzeugte Deutsche arbeiteten, sondern Zwangsverpflichtete, die aus anderen Ländern zur Arbeit nach Deutschland transportiert worden waren, aber auch viele Freiwillige aus europäischen Ländern, die sich zur Arbeit nach Deutschland gemeldet hatten. Auch solche fremden Arbeiter gab es im Reich, und das waren nicht wenige. Das sollte man nicht vergessen, wenn man die damalige Zeit betrachtet. Nur wird mehr von den Sklaven geredet und kaum noch von den vielen Freiwilligen aus Frankreich, aus Belgien, aus Holland, aus Norwegen und aus Dänemark. Nicht alle Fremdarbeiter waren Zwangsarbeiter im Reich, sehr viele kamen völlig freiwillig aufgrund von Anwerbungen die in den betr. Ländern erfolgten, ohne Druck und Zwang. Mehr Objektivität ist auch bei diesem Thema angebracht, trotz der Tatsache, dass die Zwangsarbeit nicht nur schlimm war, sondern auch einen größeren Umfang gehabt hat, als die Freiwilligkeit. Nur sollte man nicht jeden Fall von Zwangsarbeit als ein Verbrechen erscheinen lassen, wie es nach 1945 pauschal geschah. Ich weiß, dass ich mir mit solch einer Meinung keinen "weißen Fuß" machen werde, aber ich sage dennoch meine Meinung, auch wenn sie als nicht "akzeptabel" gilt bei vielen anderen Zeitgenossen.

Unser Hochzeitsurlaub ging zu Ende, wir fuhren zurück nach Bremen, dort hieß es dann Abschied nehmen von meiner jungen Frau und von meinen Eltern. Der Abschied von meiner Mutter war einer für die Ewigkeit, wir sollten uns nie wiedersehen, es war das letzte Mal, dass ich meine Mutter umarmen konnte, dass sie mir Glück und Gesundheit wünschte. Ihr so großer Wunsch war in Erfüllung gegangen, sie hatte ihre Schwiegertochter, die sie haben wollte, ihr Junge war verheiratet, und sie, die Mutter war überglücklich. Es konnte keiner auch nur ahnen, dass dieses Glück nur von ganz kurzer Dauer sein sollte. Mit noch nicht erreichten 50 Lebensjahren musste sie bereits am 8. April 1944 sterben, nur wenige Monate nach der Heirat von Ilse und mir. Der Abschied im Januar 1944 war schwerer als je zuvor. Über uns allen lastete das schlimme Gefühl einer furchtbaren Angst. Der Abschied war überschattet von der alle beherrschenden Ungewissheit, die sich bis hin zu einer Unerträglichkeit gesteigert hatte, weil es jetzt an allen Fronten so miserabel aussah, dass der Glaube an eine gute Wiederkehr und an den Sieg sehr erschüttert war. Es war kaum noch vorstellbar, dass es zu einem guten Ende kommen könnte, es gab zuviel, was dagegen sprach, auch wenn es von den Menschen so nicht ausgesprochen wurde. Die innere Belastung eines jeden Einzelnen war aber so groß, dass immer mehr Menschen damit nicht mehr fertig werden konnten, sie fühlten sich zerstört und hatten keine guten Hoffnungen mehr in sich.

In Italien fand ich 1944 Verwendung als LKW-Fahrer. Diese wurden dringend benötigt, um den Nachschub für die Front am Monte Cassino zu sichern. Dort tobte ein wahnsinniger, ein grauenhafter Kampf, weil der Monte Cassino als eine natürliche Sperre in dem Berggelände der Abruzzen galt und um jeden Preis gehalten werden sollte, so meinten die Deutschen. Und die Alliierten wollten auch um jeden Preis diese Sperre brechen und in ihren Besitz bringen. Auf deutscher Seite kämpften in dem Gebiet neben Heeres-Einheiten – wie auch meine 90. Panzer-Grenadier-Division – Fallschirmjäger und Einheiten der Waffen-SS. Die Fallschirmjäger sollten dann einen legendären Ruf bekommen, hüben wir drüben. Sie galten nicht nur als Elite-Soldaten, sondern als "heldenmütige" Kämpfer, die noch in den Trümmern von Cassino kämpften, als die Lage so gut wie aussichtslos geworden war.

Auf der Seite der Gegner, d.h. in der 8. britischen Armee, war auch eine polnische Division im Einsatz, unter dem Befehl des polnischen Generals Anders, außerdem indische Gurkha-Einheiten unter dem Befehl englischer Offiziere. Es gab bei uns schlimme Gerüchte über die polnischen wie über die indischen Einheiten, die aber leider zu einem nicht geringen Teil bittere Wahrheit wurden für deutsche Soldaten, nicht nur im Kampf, sondern noch mehr, wenn sie in Gefangenschaft gerieten. Von den Polen hieß es, dass sie kaum Gefangene machten und von den Gurkhas hieß es, dass sie, als eine "Art von Beute", Gefangenen ein Ohr abschneiden würden. Eines war aber eine grauenhafte Tatsache, das war die brutale Kampfesweise der Gurkhas. Sie waren gefürchtet wegen ihrer Dolche, die sie bei Nahkämpfen rücksichtslos einsetzten. Berüchtigt waren sie auch wegen ihres lautlosen Heranschleichens, vor allem an Vorposten, und die Gegner lautlos mit dem Dolch umbrachten. Diese Helden galten bei den Engländern als vorbildliche Elite-Truppen, und ihre Vorgesetzen, die englischen Offiziere, ließen ihren Gurkhas freien Lauf in ihrem "Bemühen", ihrem Ruf gerecht zu werden. Waren das eigentlich keine Kriegs-Gräuel? Anscheinend nicht, wurden sie doch nicht also solche verübt, das war eben die übliche Art der Gurkhas Krieg zu führen, sie kannten ja von ihrer Heimat her wohl nichts anderes. Außerdem war dieser Krieg, aus der Sicht der Alliierten, doch ein gerechter Krieg gegen die Nazi-Barbarei, und da war jedes Mittel recht. Kriegsverbrechen verübten ja nur die Nazi-Barbaren, die anderen nicht, die kämpften für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit. Dass sie dabei gegen die Barbaren auch mal barbarische Mittel anwenden mussten, lag eben an den Barbaren, weil man ihrer sonst nur schwer Herr werden konnte - oder? Ich möchte aber hierbei nicht falsch verstanden werden. Diese Anmerkung ist kein Versuch einer Aufrechnung, sie ist nur eine Feststellung der Tatsache, dass in jedem Krieg, von jedem Kriegführenden Verbrechen verübt werden. Für mich ist aber jeder Krieg ein Verbrechen, für mich gibt es keine gerechten Kriege. Die Ideologien, die um die gerechten Kriege immer wieder gesponnen werden, sind eine widerliche Umschreibung und Bemäntelung von Mord und Totschlag, ausgeführt von dazu angestifteten Menschen in beiden Lagern.

Krepieren ist ein unschönes Wort, aber es ist leider zutreffend bei dem elenden Sterben am Monte Cassino, der Berg musste gehalten werden, koste es was wolle, um dann doch aufgegeben zu werden. Aber der Feind war hingehalten worden, hatte Menschen opfern müssen, wer auch immer der Feind war. Es war das wirklich nur noch Wahnsinn, ich konnte dem Krieg nichts mehr abgewinnen, was ihn noch hätte als sinnvoll erscheinen lassen. Nur was sollte ich, was sollten die anderen Landser denn tun? Befehle verweigern, weil sie als sinnlos angesehen wurden? Das war nicht möglich, auf Befehlsverweigerung stand durchweg die Todesstrafe. Desertieren? Eine Unmöglichkeit, wenn man noch die Hoffnung hatte, doch noch einmal aus allem wieder herauszukommen. Abgesehen davon, dass ein Überläufer, ein Deserteur auch beim Gegner als ein Feigling und Verräter galt. Diese Art von Soldatenehre war in allen Armeen aller Völker und Nationen gleich, da gab es keine Unterschiede, auch wenn zum Überlaufen immer wieder und an allen Fronten aufgefordert wurde. Wer solches tat, hatte kein Ansehen beim Feind zu erwarten, er galt dort als unehrenhaft. Und den Krieg beenden konnten die Überläufer auch nicht, so viele konnten nicht überlaufen, nicht desertieren, wie dazu notwendig gewesen wären. Man sollte das anders sehen und nicht aus der dummen und unwissenden Sicht derer, die nach dem Krieg ihre Besserwisserei als ihre absolute Weisheit verkauften, ohne Wissen um die Wirklichkeit, die nicht nur in der deutschen Wehrmacht zu Hause war und ist. Um es noch einmal zu sagen, die Soldaten, die kämpfen mussten, waren keine Verbrecher, sie waren keine blutgierige Soldateska, keine wildgewordenen Nazis, das waren Soldaten, die in dem Krieg, den sie nicht angezettelt hatten, das taten, was sie als Soldaten tun mussten, nämlich ihre Pflicht erfüllen, bis hin zum Krepieren; ob sie nun (noch) wollten oder nicht, und damit unterschieden sie sich von keinem Soldaten auf der anderen Seite. So mussten wir weiter machen, dem Zwang gehorchend weiter unsere Pflicht tun, auch hier im Gebiet des Bergmassivs vom Monte Cassino und unsere Kameraden in ihren nur schwer zugänglichen Stellungen mit Munition und Verpflegung versorgen unter den Strapazen und Gefahren der nächtlichen Gänge durch eine unbekannte und unwirtliche Berggegend, wo wir nicht wussten, ob das möglicherweise unser letzter Weg sein würde, ohne ein Zurück. Wir taten das nicht als Helden, wir taten das, weil es sein musste, auch wenn wir den Sinn nicht mehr einsehen konnten, auch wenn wir dabei voller Wut waren auf die, denen wir dieses Elend zu verdanken hatten und auch, wenn wir den Krempel lieber hingeschmissen hätten. Wir mussten aushalten – oder auch vor die Hunde gehen, und damit haben wir uns wohl kaum unterschieden von den anderen, die auch im Dreck lagen und auch nur krepieren oder überleben konnten.

Der Krieg war ein Verbrechen an allen Menschen, gleich auf welcher Seite, auch wenn immer so gerne von den anderen als den Befreiern geredet wird, so als seien sie in einem Kreuzzug gegen die Nazi-Barbaren unterwegs gewesen. Das ist doch ein Unsinn, mit dem endlich einmal Schluss gemacht werden soll. Wir Soldaten waren alle arme Schweine, ob hüben oder drüben. Und alle wurden vollgepackt mit einer für die jeweilige Seite passenden Ideologie. Der Kampf um Recht und Freiheit, für Demokratie und angeblichen Humanismus war doch mehr eine Phrase als Realität im Denken und Handeln der Soldaten, die einen Krieg zu führen hatten, in dem sie keine Fragen zu stellen, die zu gehorchen hatten. Alle i unterstanden einer Befehlsgewalt, der sie zu folgen hatten, bei der sie nicht nach Sinn oder Unsinn zu fragen hatten, der sie sich fügen mussten, wie es schon immer in allen Armeen zu allen Zeiten gewesen ist. Der Wahnsinn des Krieges war seit Urzeiten ein trauriger Bestandteil der Menschheit, nur die Mittel und Maßnahmen der Kriegführung hatten sich laufend gewandelt, so wie sich die angebliche Zivilisation auch wandelte und dabei immer neue und "bessere" Möglichkeiten schuf, um noch wirkungsvoller Kriege zu führen. Und der Sieg der Vernunft in der Französischen Revolution war kein Sieg, denn die Unvernunft des Krieges wurde von den humanen und toleranten Revolutionären unter dem Banner der Nation über die Grenzen getragen.

Der Wahnsinns-Krieg, in dem wir uns jetzt befanden, hätte vermieden werden können, wenn 1919 in Versailles die Vernunft als entscheidender Faktor mit am Verhandlungstisch gesessen hätte, aber da war sie vollends ausgesperrt worden. Dieser Krieg war nicht etwa ein völkermordendes Verbrechen des Nazi-Regimes, der hatte leider schon in der Luft gelegen in Versailles, wie es von vielen Politkern der Entente und des Reiches damals schon erkannt worden war. Auch unter einem anderen Regime in Deutschland wäre es zu einem neuen Krieg gekommen, denn die Revanchegelüste waren im Reich weit verbreitet und auch die Ideen vom Großdeutschen Reich, das den Mittelpunkt eines neuen Europas bilden sollte. Das ändert nichts daran, dass unter Hitler der Krieg zu einem Machtstreben geführt hat welches verbrecherische Ausmaße annahm und nun die Vernichtung und Ausrottung ganzer Völker zum Ziel hatte. Dabei ist aber grundsätzlich festzuhalten, dass neben oder unter Hitler bzw. vielmehr mit Hitler, die Konservativen und die deutschen Militärs voll und ganz hinter ihm und seiner Politik standen, die doch den eigenen Grundsätzen entsprach, wie es nachzulesen ist, wenn man denn solches will. Diesen Willen bezweifle ich aber sehr, weil nach 1945 sich ein anderes Betrachtungsbild entwickelte und das ist einseitig davon geprägt, dass der 2. Weltkrieg ein ausschließlich deutsches Verbrechen ist. Wer das anders sieht oder darüber anders reden will, den trifft die wirkungsvolle Totschlagskeule, die gegen ihn als den angeblich Unverbesserlicheren oder als schlimmen Neo-Nazi geschwungen wird. Und die Alt-Konservativen haben erfolgreich ihre schmutzigen Hände wieder sauber gewaschen mit dem Bemerken, sie seien doch von Anfang an gegen diesen widerlichen Emporkömmling Hitler gewesen.

Und die deutschen Landser "durften" in diesem Scheißkrieg krepieren oder Krüppel werden, weil sie der Befehlsgewalt gehorchen mussten, die nicht eine Nazi-Gewalt war, sondern ausgeübt und befohlen wurde von preußisch-deutschen Offizieren, die das ihnen eigene Welt - und Feindbild fleißig gelernt hatten in der militärischen Schule der bewährten Kaste des preußisch-deutschen Militarismus. Aus dieser Kaste kamen sie, die es als eine Ehre ansahen, ihr angehören zu dürfen, auch wenn sie sich nun dem Ex-Gefreiten Hitler unterstellt hatten als ihren Obersten Befehlshaber! Warum wohl? Weil sie damit Widerstand ausüben konnten? Nein, das ist Schwachsinn, sondern weil sie nun ganz groß werden wollten auf der militärischen Erfolgsleiter, mit tollen Aufstiegsmöglichkeiten und vielen Orden und Auszeichnungen.

Nur hatten sie wohl nicht daran gedacht, dass die Kriege der Neuzeit andere sind, als die der Vergangenheit. Das erlebten sie nun täglich im Geschehen dieses Krieges, der totaler geworden war, nicht nur wegen der geifernden Rede von Goebbels, sondern in der Art und Methodik der Kriegführung aller Beteiligten. Dabei zeigte sich aber, dass die Verbrechen in diesem Krieg von allen Beteiligten begangen wurden. Diese Verbrechen waren ein Bestandteil der totalen Führung des Krieges, gleich auf welcher Seite, gleich wer es war, gleich wo es geschah. Das war vielleicht der Rechenfehler dieser Herren gewesen, den einige von ihnen dann 1944 korrigieren wollten, ohne aber deswegen den Krieg gegen Russland zu beenden. Aber die deutsche Geschichte wird deswegen sicher nicht neu geschrieben werden.

Es ist das die für mich noch immer ungelöste Frage, warum die Befehlshaber, denen doch schon klar war, dass dieser Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte, diesen Irrsinn fortsetzten und dabei noch Hunderttausende von Soldaten sterben ließen. Das waren doch wirklich hirnverbrannte Militärs, die sich von einem völlig irrealen Denken leiten ließen, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hatte. Schon gar nicht mit einer menschlichen Verantwortung den Soldaten gegenüber. Diese Militärs, die angeblich zur Ehre ihres Vaterlandes Offizier geworden waren, ließen davon nicht allzu viel spüren, wie es aber ja auch schon im 1. Weltkrieg der Fall war. Seltsam ist nur, dass diese "Herren" in der Wehrmacht der Bundesrepublik, in der Bundeswehr, wie die neue Wehr dann hieß, wieder als hoch bewährte Offiziere, als Generale ihren neuen Dienst verrichteten, in einer Weise, als seien sie immer nur erstklassige Militärs gewesen, und keiner hinderte sie daran. Diese Typen waren hochwillkommen für den Neuaufbau der neuen, jetzt aber demokratisierten Wehrmacht. Hoch klingt das Lied vom braven, patriotischen deutschen Offizier, der immer nur sein Vaterland kennt, dem er immer zu Diensten ist, auch in den schlimmsten und hoffnungslosesten Lagen. Und wenn wir dann kapitulieren müssen, dann immer schön zackig, in bester Haltung, wie es von Offizier zu Offizier üblich zu sein hat.

Ich habe dann später, in den fünfziger Jahren, nicht verstehen können, wie solch ein Mann wie Kesselring auf der sogenannten Traditionsveranstaltung des "Deutschen Afrika Korps" in Hannover von den Teilnehmern begeistert gefeiert wurde. Bei diesem Treffen trafen sich die "alten Kameraden", die überlebt hatten und feierten dabei den Mann, dem sie wirklich nicht sehr viel Gutes zu verdanken hatten. Aber nicht nur sie, sondern auch die anwesenden Gäste der englischen Armee stimmten in den Jubel für den Herrn ein, der dabei unverändert als der Herr Generalfeldmarschall tituliert wurde. Ein Marschall von Hitlers Gnaden wurde gefeiert, als hätte es Hitler nie gegeben und als sei er, der Herr Kesselring, ein völlig untadeliger deutscher General gewesen, auch wenn die Alliierten ihm nach 1945 einen Prozess gemacht hatten - oder vielleicht gerade deswegen? Die alten Kameraden hatten ihren großen Marschall bei diesem Treffen bei sich, er war unter ihnen und das deutsche Wesen feierte seine typisch deutschen Triumphe.

Ich habe das damals nicht begreifen können. Ich war zu dem Treffen gefahren, um vielleicht den einen oder anderen Kumpel von einst wiederzusehen, und mich mit ihm darüber zu freuen, dass man aus dem Schlamassel heil heraus gekommen war und nicht, um einen General zu feiern und auch nicht, um am Abend den "Großen Zapfenstreich" zu begehen, so, als sei nichts Schlimmes geschehen, in dem beschissenen Krieg. Das, was jetzt in Hannover geschah, fand ich zum Kotzen.

Das geschah nur wenige Jahre nach Kriegende, in trauter Gemeinsamkeit mit englischen "Wüstenfüchsen", und man gab sich voller Stolz den Erinnerungen an den doch so ritterlichen Krieg in Afrika hin. Der Krieg war anscheinend nur ein Geschehen, das vorkommen kann, denn von Verbrechen und Gräuel war keine Rede, auch nicht bei den Engländern. Feindschaft war ja nun auch passee, jetzt war man nicht nur befreundet, sondern auch verbündet im gemeinsamen Kampf gegen das wirklich Böse auf der Welt, gegen den Kommunismus, der ja viel schlimmer war als der Nazismus. Das war mein erstes aber auch mein letztes Mitmachen bei einem Treff des Deutschen Afrika Korps, das aber jedes Jahr neu abgehalten worden ist, nicht nur mit Engländern, sondern ganz besonders unter Mitwirkung und Teilnahme der Bundeswehr und Ex-Generalen, die wieder neue Generale waren.

Das Elend des Krieges wurde 1944 nun auch in der Heimat täglich größer, täglich schlimmer. Ich hörte von den sehr schweren Bombenangriffen auf Bremen, wobei mich dann wieder eine unsägliche Wut packte auf die Engländer, aber noch mehr auf die Amerikaner, die mit riesigen Geschwadern ihre Angriffe flogen und ihre Bombenlast auf die zivile Bevölkerung abwarfen, was für mich ein gemeiner, ein heimtückischer Mord war. Ich hatte eine große Angst und Sorge um meinen Vater und um meine Frau. Die Feldpost kam auch nicht mehr so, wie es einmal gewesen war, und die ankommende Post konnte unter Umständen schon die letzte sein. Mit großem Bangen wartete ich auf die nächste Post. Es ab keine anderen Möglichkeiten der privaten Information als die Feldpost, die oftmals zu spät kam, an der Front und in der Heimat.

In Italien war es weiter "voran gegangen" mit dem erfolgreichen Rückzug gen Norden und dem unaufhaltsamen Vordringen der Alliierten. Auch der norditalienische Raum war schon weitgehend im Besitz der Alliierten. Rimini, Florenz und Bologna waren von ihnen "befreit" worden. Es gab nichts mehr, was sie noch hätte aufhalten können auf ihrem Siegeszug hin zu den Alpen. Auch die so genannte "Apennin-Stellung" hatte sie nicht stoppen können. Verwunderlich war aber noch immer der Widerstand, der ihnen entgegenschlug, der sie dann bremste, wenn auch nur kurzfristig. Und immer wieder waren es die deutschen Fallschirmjäger, die den heftigen Widerstand leisteten, die erst aufgaben, wenn es wirklich keine weiteren Möglichkeiten mehr gab. Der Krieg konnte mit solchen "Kämpfern" noch immer weiter geführt werden. Die kämpften wirklich bis zur letzten Patrone, unbegreiflich, aber es war so. Das Verhalten solcher Soldaten, aber auch die noch immer nicht völlig umgeschlagene Stimmung im Volk ermöglichten dem GRÖFAZ Hitler Ende September 1944, den Befehl zur Aufstellung des "Deutschen Volkssturms" zu erteilen. Der Befehl wurde Mitte Oktober veröffentlicht, mit dem Inhalt, dass alle waffenfähigen Männer zwischen 16 (!!) und 60 (!!) Jahren zum Dienst im Volkssturm zu dienen hätten. Dieser Befehl, der doch eigentlich eine Konkurserklärung der Führung war, wurde als eine solche aber nicht gesehen.

Der Volksturm konnte aufgestellt werden, das Volk ließ seine Kinder und seine alten Männer in den Krieg ziehen, so gut wie ohne Uniform, fast nur mit Handfeuerwaffen, aber mit Panzerfäusten und gekennzeichnet nur mit einer Armbinde, die sie als angeblich reguläre Soldaten ausweisen sollte, nicht als sonst mögliche Freischärler, die nicht unter dem "Schutz" der Genfer Konvention stünden. Leider war es so, dass der am 1.9.1944 in seinen Details aufgeschriebene und bekannt gewordene Morgenthau-Plan sich so auswirkte, dass nun das Volk meinte, es müsse um jeden Preis um seine Existenz kämpfen. Dieser Plan, auch wenn er dann von Roosevelt nicht unterschrieben wurde, sah im einzelnen die vollständige Entmilitarisierung Deutschlands vor, sowie Gebietsabtretungen. Polen sollte denjenigen Teil Ostpreußens erhalten, der nicht an Russland fallen würde, dazu den südlichen Teil Schlesiens. Frankreich solle die Saar und die Gebiete erhalten, die vom Rhein und der Mosel begrenzt werden. Weiter soll der Restteil Deutschlands in zwei autonome, unabhängige Staaten aufgeteilt werden. Das Ruhrgebiet soll aller dort befindlichen Industrien "entblößt" und so kontrolliert werden, dass es in absehbarer Zeit kein Industriegebiet wieder werden kann. Dieses Rest-Deutschland würde dann nur noch aus Agrar-Staaten bestehen, zur Armut verurteilt.

Mit diesen veröffentlichten Einzelheiten war es der Führung, war es dem Goebbels sehr leicht gemacht, jetzt das wirklich letzte Aufgebot zu mobilisieren. Das Volk war davon überzeugt, dass es nichts mehr zu verlieren habe, dass der Krieg mit allen Mitteln für Deutschland erfolgreich zu Ende gebracht werden muss. Und der "Jude Morgenthau" war nun der Beweis dafür, dass die Juden wirklich unser Unglück seien, dass sie den Untergang des deutschen Volkes wollten. Wären jetzt die Gräuel in den KZs bekannt geworden, es hätte keinen Sturm dagegen gegeben. Jetzt gab es nur einen Sturm, das war der von Goebbels propagierte Sturm des deutschen Volkes gegen seine Feinde, und das an allen Fronten. Der Wahnsinn fand neue Nahrung, das Volk nahm diese zu sich, zwar ungern, aber sie wurde angenommen, weil das Volk gar keine andere Wahl hatte. Der Volkssturm konnte marschieren, so er denn überhaupt konnte, und mit Panzerfäusten in den Händen sollten diese "Männer" nun erfolgreich zum Sieg beitragen.

Bei dem, was 1944 geschah, brachte mich mein Denken dann zu dem sehr klaren Bewusstsein, dass wir wirklich von einem Regime regiert wurden, das man nur noch als verbrecherisch bezeichnen kann. Es war doch zu erkennen, dass es diesem Regime nicht mehr um das Wohl des Volkes ging, sondern nur noch um die Erhaltung der eigenen Macht, und das unter doch völlig irrealen Umständen. Alles was geschah in diesem Reich, hatte nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, die auch wir täglich erleben mussten an der Front und in der Heimat. Ganz schlimm war, dass der jetzt vorhandene und erkennbare Wahnzustand nicht "nur" den Hitler und einige andere betraf, sondern dass der nun sogar noch verstärkt in der Wehrmachtsführung, in der Generalität aber auch in weiten Kreisen der Bevölkerung und vielen Landsern wie eine Seuche grassierte. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass soviel Wahnsinn nicht nur noch vorhanden war, sondern in so vielen Köpfen als "normal" angesehen wurde, dass der Wahnsinn nicht als ein solcher diesen Menschen bewusst wurde. Sollten und mussten wir denn alle wegen dieses verbrecherischen Verhaltens von nicht mehr normalen Menschen vor die Hunde gehen, für wen und wofür eigentlich? Vom schutzwürdigen Vaterland konnte doch wohl keine Rede mehr sein. Für mich war das nun die Zeit, in der mein Rest an Patriotismus und von einem bewussten Deutschsein in mir zerstört wurde. Ich hatte kein gutes Verhältnis mehr zu meinem Vaterland, das sich von nicht mehr normalen Menschen führen ließ. Dafür hatte ich mich 1939 nicht kriegsfreiwillig gemeldet, meine Ideale waren jetzt völlig zerstört.

  • Amerikanische Landung im Raum Anzio-Nettuno 1944
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