> Willi Witte: Kriegserlebnisse in der Waffen SS (Teil 2)

Willi Witte: ”Als es hell wurde, sah ich, dass das Gewehr rot vom Blut war” - Kriegserlebnisse in der Waffen SS (Teil 2)

Dieser Eintrag stammt von Willi Witte (*1928) aus Westerland/Sylt, April 2001:

Die Russen waren nicht aufzuhalten gewesen und unser Haufen wurde immer kleiner. Nach dem Absetzen versammelten wir uns meistens zum Zählen. Einmal weiss ich, fehlte einer aus unserem Nachbarschützenloch. Unser Zugführer meinte, dass wir versäumt hätten, den Befehl zum Absetzen weitezugeben, wir waren mit unseren Löchern auf Rufweite auseinander. Na ja, ich bekam den Befehl, Kamerad X zu holen. Vielleicht war er eingeschlafen in seinem Loch. Alleine zurück ohne zu wissen, ob der Russe schon da ist ! Und das im Halbdunkeln. Als ich angekommen war, entdeckte ich, dass Kamerad X tot war. Als es hell wurde, sah ich, das das Gewehr rot vom Blut war.

Ein anderes Erlebnis. Einer unserer Gruppenführer (Fahnenjunker), ohne Auszeichnung, unterhielt sich mit unserem Zugführer (Die waren miteinander befreundet). Der Zugführer war hochdekoriert! Der Zugführer über-gab dem Junker einen Brief und sagte: "Ich glaube nicht, dass ich hier herauskomme. Wenn ich falle, gib bitte diesen Brief meiner Verlobten". Aber ich hörte weiter, dass der Junker zu gerne das EK 1 mit nach Hause gebracht hätte. Da durfte der Junker sich dann Freiwillige für eine Art Spähtrupp aussuchen. Davon waren, als er zurück kam, mehr tot, als er gefangene Russen mitbrachte. Ob er dafür das EK 1 bekam, kan ich nicht sagen. Das ich dieses Gespräch mitbekommen hatte, war beiden sicher höchst peinlich. Leider, leider weiss ich die Namen der beiden auch nicht mehr.

Ich habe sehr viele Daten und Orte vergessen. Diese konnte ich aber von meinem ehemaligen Kriegkameraden Harald Koopmann aus seinem exakt geführten Tagebuch entnehmen, das er trotz Krieg und Gefangenschaft mit nach Hause durchbringen konnte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Sicher hatten viele Soldaten ähnliche Erlebnisse. Aber da wir zu der Zeit erst 15 und 16 Jahre alt waren, wollte ich das schon immer festgehalten haben. Leider weiss ich den Namen meines Kameraden, der mit mir in dem Schützenloch lag, auch nicht mehr.

Da lagen wir zu zweit in dem Loch, welches Küche, Klo und Schlafzimmer war. Ständig unter Beschuss von Scharfschützen und MG mit Explosionsmunition. Einmal schoss sich ein Granatwerfer auf unser Loch ein. Drei Schuss auf uns. Rechts, links und 2 m hinter unserem Loch. Der nächste hätte uns treffen müssen. Aber es kam keiner mehr. Sterben ging schnell zu der Zeit.

Ich hatte mal mein Kochgeschirr auf die Lochkante gestellt. Es machte nur kurz "peng" und weg war es. Unmittelbar vor unserem Schützenloch ist auch unser Spiess gefallen. Man munkelte aber bei uns, dass er versehentlich von eigenen Leuten erschossen worden sei. Er hat sich angeblich mit offenem Mantel und ohne Kennwort nachts auf die Löcher zubewegt. So ähnlich liefen auch die Russen voran.

Wir müssen wohl ganz schön verdreckt gewesen sein, denn an Waschen und Wäschewechsel war nicht zu denken. Ich träumte in meinem Schützenloch oft davon, einmal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Ich wollte, weiss ich noch ganz genau, immer einmal gerne wieder das Geräusch einer bestimmten Tür von zu Hause hören.

Dann hiess es mal wieder nachts, "wenn eine grüne Leuchtkugel erscheint: Rückmarsch!" Es wurden viele Leuchtkugeln abgeschossen in dieser Nacht, aber eine grüne haben wir nicht gesehen. Es wurde schon wieder hell und noch immer gab es keinen Befehl zum Abrücken. Die Russen schossen aber auch nicht mehr. So verhielten wir uns ruhig bis zum Abend. Dann merkten wir, dass alle links und rechts von unserem Zug abgerückt waren. Wir hatten glücklicherweise einen erfahrenen Zugführer. 20, vielleicht 30 Soldaten mögen wir gewesen sein. Wir konnten die Russen rechts unten, vielleicht zwei Kilometer weg, mit ihrem LKW fahren hören. Die dachten wohl, dass wir alle weg waren, sonst wäre es uns wohl dreckig ergangen.

So sammelten wir uns um unseren Zugführer und marschierten auf Schleichwegen (nie auf Strassen) los. Wie uns wohl zumute war: Aber das Vertrauen in unseren Zugführer war gross. Wir mussten ja auch Ortschaften, offenes Gelände usw. umgehen. Wir sind ohne Kompass, Karte oder anderen Hilfsmitteln marschiert. Irgendwann stellten wir aus irgendeinen Grund mit einem riesigen Schrecken fest, dass wir uns hinter den russischen Linien befanden. Wir waren also genau in die verkehrte Richtung gelaufen. Es könnte zwei Tage vorher gewesen sein, dass wir da falsch marschiert sind. Der Magen hing uns in der Kniekehle. Aber die Angst entdeckt zu werden, trieb uns voran. Ich weiss nicht mehr, wie lange wir gebraucht haben, aber wir hatten es tatsächlich geschafft mit Gewaltmärschen und ohne Essen durch die russischen Linien zu kommen. Wahrscheinlich hatte der Russe sich auf den Strassen gesammelt, um weiter zu marschieren, und wir sind mit unheimlichen Glück durch die Lücke durchgekommen. Wenn wir versucht hätten, durch eine kämpfende Einheit oder Front zu kommen, wären wir wohl entdeckt worden.

So kamen wir dann erst mal in ein Niemandsland hinein, denn die deutschen Truppen hatten sich wohl schon weiter abgesetzt. Da kamen wir dann in eine Stadt rein, die total verlassen und dunkel war. Wir zogen nun los, um Verpflegung zu ergattern. Tatsächlich fanden wir ein grosses Verpflegungslager der Wehrmacht. Es wurde von einem Soldaten (vielleicht auch Offizier) bewacht. Der hatte sich die Adler Schulterstücke schon alles runtergetrennt. Der Haken war nur, dieser Mann wollte nichts an uns herausrücken. Unser Zugführer sagte: "Jungs, Ihr geht mal bis zur nächsten Ecke". Dann krachte ein Schuss, und das Verpflegungslager stand uns zur Verfügung.

Unser Zugführer hat uns nie erzählt, dass er den Mann erschossen hatte. Wir haben dann gegessen, was nur hineinging. Ich hatte Schmalz mit Händen gegessen. Durchfall und Magenverstimmung waren garantiert.

Dann ging es nach kurzer Zeit und voll bepackt auch schon wieder weiter. Wie lange wir brauchten, weiss ich nicht, aber wir fanden bei all diesem Durcheinander tatsächlich unsere Einheit - oder was davon übrig war - wieder. Nach dem Tagebuch von Harald Koopmann waren es ca. 16 Mann. Mit uns zusammen war es wohl knapp eine Zugstärke. Dieses muss ca. Ende April 1945 gewesen sein. Wir mussten noch einige dramatische Gefechte durchstehen. Man hatte uns auch neu aufgeteilt. Aus mehreren ehemaligen Kompanien wurde eine gemacht.

Verwundete blieben mitunter einfach liegen. Einen aus unserer Gruppe mit total zerfetzten Bein, hatten wir schon eine ganze Weile getragen. Da sahen wir, als wir uns nach hinten schauten, etwa zwei Kilometer entfernt über einen Weinberg schon russische Soldaten kommen. Es fuhr ein Wehrmachtsoffizier vorbei. Den hielten wir an und fragten, ob er nicht den Verwundeten mitnehmen konnte. Er verneinte aus irgend einen vagen Grund. Wir mussten diesen Jungen, vielleicht nicht einmal 16 Jahre alt, auf Befehl unseres Zugführeres liegen lassen. Der Zugführer, erinnere ich mich, gab dem Jungen seine eigene Pistole.

(Alles Wahnsinn)

Aber zu der Zeit hatte man gar keine Zeit, viel nach-zudenken. Dann war es auch höchste Eile, dass wir da verschwanden. Dieses passierte in der Nähe von Zneim (Zuojmo). Wir marschierten in der Kolonne und wurden von LKW und Pferdefuhrwerken des Trosses laufend überholt. Wir zu Fuss waren alle restlos fertig.

Einige, ich auch, schliefen sogar beim marschieren fest ein. Ich fragte den Zugführer, ob ich und noch vier Mann mit dem Panjewagen ein Stück voraus fahren dürften. Das wurde uns unter der Bedingung erlaubt, im nächsten Dorf auf unsere Einheit zu warten. Das taten wir dann auch.

Es wurde Abend und langsam dunkel, aber unsere Einheit kam nicht. Es war unheimlich diese Ungewissheit. Das Dorf war auch restlos verlassen. Wir holten uns aus einem Haus einen Küchenwecker und schoben am Dorfeingang Wache. Es war noch dunkel, da hörten wir Panzergeräusche. Unsere Nerven waren zum Zerreissen gespannt. Wir liessen den ersten Panzer vorbei. Beim zweiten waren wir sicher, dass es deutsche Panzer waren, beim dritten machten wir uns dann bemerkbar. Der hielt dann glücklicherweise an und nahm uns mit. Es waren Königstiger, riesige Kolosse.

Erstmal war es schön warm durch die Motorwärme, und wir konnten uns auf dem glühenden Auspuff Bratkartoffeln machen. Die Panzerbesatzung erzählte uns, dass der Russe alles eingekesselt hatte. Bei unserer Fahrt vorher mit dem Panjewagen kam ich auch an Harald Koopmann vorbei und sagte zu ihm: "Komm doch mit bis zum nächsten Dorf!" Aber er wollte nicht. So wurde er auch eingekesselt und kam in Gefangenschaft. Wir fuhren mit den Panzern immer weiter in Richtung Westen.

Auf diesem Weg mit den Panzern konnten wir erleben, dass die russischen Flugzeuge beim Angriff auf die Rückzugdrecks (Pferdefuhrwerke, LKW und viele Menschen) ganze Arbeit geleistet hatten. Es waren auch viele Flüchtlinge dabei. Es brannte noch in dieser kilometerlangen Kolonne. Der Geruch von verbrannten Menschen und Pferden hatte ich noch zwei Jahre nach Kriegsende in der Nase. Die Panzer mussten nach und nach gesprengt werden, weil der Sprit alle war. So fuhren dann alle Mannschaften zuletzt auf einem Panzer. Das wurde natürlich eng. In einem voll mit Wehrmacht besetzten Dorf mussten wir dann auch runter. Irgendwie konnten wir uns dann auch Marschbefehle beschaffen. Ohne diese wurde man an dem nächsten Baum aufgehängt, wenn einen die Feldgendarmerie erwischte.

Solchen Aufgehängten waren wir auf unserem Weg schon genügend begegnet. Irgendwie kam ich dann mit mehreren Soldaten auf einem LKW mit. Es mussten immer mehrere Soldaten zusammen sein, denn wer Tschechen in die Hände fiel oder den freigelassenen ehemaligen KZ-Häftlingen hatte nichts zu lachen. Diese liessen dann ihre aufgestaute Wut an den Leuten aus.

Einen Marschbefehl, weiss ich noch, bekamen wir in einer Stadt, wo auch eine hübsche Burg gelegen war. Dort feierten eine Menge auch hoher Offiziere, eine wahre Alkoholorgie. Einer hatte wohl Mitleid mit uns, obwohl wir zur SS gehörten, und stellte uns den lebenswichtigen Marschbefehl aus. In einer offenen Scheune war ein langer Tisch aufgestellt. Auf diesem Tisch tanzten Frauen, urinierten sogar in Sektgläser.

So etwas Wildes habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder gesehen. Wir waren wohl richtig geschockt. Wir waren ja auch noch so jung und nicht mal richtig aufgeklärt. Wir sind auch bald nach diesem Burgbesuch weiter nach Westen gefahren. Irgendwie kamen wir nach mehreren Abenteuern, die ich im Detail nicht mehr im Kopf habe, in der Nähe von Kamp zum Amerikaner.

Dort mussten wir an so einem LKW vorbeifahren und unsere Waffen auf diesen werfen. Ich warf mein Gewehr drauf. Aber in meinem jugendlichen Leichtsinn behielt ich meine 08 Pistole in meinem Brotbeutel bei mir. Das war eigentlich tödlicher Leichtsinn. Meine vier Kameraden hatte ich schon vorher aus den Augen verloren. Es war ein grosses Lager im Freien. Meine SS-Runen usw. hatte ich schon vor der Gefangenschaft abgetrennt.

lo