> Willi Witte: Verhaftung 1944

Willi Witte: Verhaftung 1944

Dieser Eintrag stammt von Willi Witte (*1928) aus Westerland/Sylt, April 2001:

Ich kam 1943 in die Lehre der Sylter Inselbahn. Die Inselbahn war damals ein richtiger Grossbetrieb. Denn dieses versorgte die Dörfer von List bis Hörnum mit Gütern aller Art. Personenverkehr war zu der Zeit auch nur mit der Inselbahn möglich. Der Transport der Materialien für die im Bau befindlichen Befestigungsanlagen ging auch nur mit der Bahn. Bei der Inselbahn waren damals noch sehr unter-schiedliche, politische Auffassungen unter den Beschäftigten vertreten.Diese machte sich allerdings nur zwischen den Zeilen bemerkbar. Da waren Sozialdemokraten, Kommunisten oder Nationalsozialisten. Bei Unterhaltungen merkte man auch schon mal mitunter die leisen Reibereien untereinander.

Im August 1944, nach dem Attentat auf Hitler, ging eine Verhaftungswelle durch Deutschland. Ich arbeitete gerade bei unserem Altgesellen Carl Jessen. Im Zivilberuf Hotelier und Stadtvertreter war er im Kriege zur Sylter Inselbahn als Schlosser dienst-verpflichtet worden. Carl Jessen war für seine Arbeitskollegen und auch Meister nicht immer ein leichter Brocken. Er nahm auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um Politik ging. Er war ein alter Sozialdemokrat. Als Handwerker im Betrieb waar er überdurchschnittlich tüchtig und wurde auch so respektiert. Für einen Lehrling war es schon fast wie eine Auszeichnung, bei ihm arbeiten zu dürfen.

Eines Tages, im August 1944, kamen zwei Hilfspolizisten an unser Werkstatttor und traten auf Carl Jessen zu. Es waren zwei hiesige Leute, die als Hilfspolizisten eingezogen worden waren. Der eine, Kaufmann Kr., sagte zu Carl Jessen auf Plattdeutsch: "Ich soll dich abholen". Carl Jessen wie es so seine Art war, sagte nur kurz: "Jo". Dann sagte der Hilfspolizist Kr. auf platt: "Ich darf das ja nicht, aber willst du noch mal nach Hause und eine Jacke überziehen?" Carl Jessen sagte kurz: "Nein". Und ging dann in voller Arbeitskleidung mit den beiden über die Schienen in Richtung Rathaus.

Ich musste dazu noch sagen, dass ich nur einen Polizisten gesehen hatte. Der zweite konnte hinter einem Mauervorsprung gestanden haben. Ich war ganz schön aufgeregt. Von einem jüngeren Gesellen wurde ich angeschnauzt, er sagte: "Verschwinde hier, das ist nichts für dich!" Ich begriff sowieso nichts mehr. Blieb aber in der Nähe. Der junge Geselle, Ernst Schmidt, war zu der Zeit Kommunist. Er machte auch keinen Hehl aus seiner politischen Einstellung. Aber er hatte wohl Glück, dass er nie angeschwärzt wurde.

Dieser Geselle erzählte mir auch später (52 Jahre später), dass die beiden Polizisten mit Carl Jessen erst zum Zigarettenladen ("Max Zigarre") gegangen sind um Zigarren für Carl Jessen zu kaufen. Das muss für die beiden Polizisten ein sehr grosses Risiko gewesen sein. Ich hatte immer geglaubt, dass Ernst Schmidt schon lange tot sei. Durch Zufall hörte ich, dass er noch lebt. Ich habe ihn auch gleich aufgesucht, um meine Erinnerungen aufzufrischen. Selber schreiben mag er nicht mehr. Er wird bald 90 Jahre alt. Er sagte mir auch, dass da noch ein zweiter Polizist mit dabei war. Ich hatte hauptsächlich den einen, der auch die Verhaftung durchführte, in meiner Erinnerung.

Es war wohl für beide Hilfspolizisten eine schwere und peinliche Aufgabe, denn man kannte sich ja schon seit Jahrzehnten und sprach Plattdeutsch miteinander. Die Schwere seiner Aufgabe war Hilfspolizisten Kr. auch anzumerken.

Es wurden zu der Zeit, im August 1944 mehrere bekannte Westerländer verhaftet.

lo