Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Vorwort
Einführung
Abbildungsteil
Regionale Zentren
Dokumentation
Anhang

Die Folgen des rasanten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wertewandels in Ostdeutschland verstärkten diese publizistische Ausblendung realer Phänomene noch. So war die Innen- und Außenkommunikation der einstigen Subkultur erheblich gestört. Nicht nur durch das fast völlige Verstummen der ostdeutschen Kulturpublizistik, das die offiziellen Blätter genauso einschloß wie die Untergrundzeitschriften. Vor allem zerbrach mit dem Wegfall der Bedingungen, die zur Ausprägung jener Subkultur in der DDR geführt hatten, auch der lebensweltliche Konsens der nonkonformen Gruppen, Zirkel und Freundeskreise. Die lose Solidar- und Notgemeinschaft, deren kleinster gemeisamer Nenner das gemeinsame Feindbild war, verlor mit dem Ende der DDR auch ihr Orientierung und Identität stiftendes Bezugssytem.

Nach dem Verlust der alten Bindungen und dem Gewinn neuer Freiheiten traten nun lange aufgestaute Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen künstlerischen und politischen Positionen innerhalb dieser Szene offen zutage. Eine rasante Ausdifferenzierung von Haltungen, Teilszenen und Programmatiken begann, die von der mit sehr unterschiedlichem Erfolg gelingenden Neuorientierung im gesamtdeutschen Kunstmarkt zusätzlich überlagert wurde. Viele der erfolgreicheren Künstler, Publizisten und Intellektuellen hatten vorerst keine übermäßige Lust und Zeit, die alten Rituale und Grundlagen der ehemaligen Übergangs- oder Untergangsgesellschaft einer kritischen Analyse zu unterziehen.

Das Interesse an der öffentlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte blieb so in den ersten Jahren vor allem auf Protagonisten begrenzt, die schon in den letzten DDR-Jahren wegen ihres politischen Selbstverständnisses und dissidentischen Ausrichtung in den Medien der westlichen Welt eine Meinungsführerschaft und einen interpretatorischen Stellvertreteranspruch erlangen konnten. Autoren wie Lutz Rathenow und Jürgen Fuchs oder der Dokumentarfilmregisseur Konrad Weiß, die Malerin Bärbel Bohley, der Liedermacher Stefan Krawczyk und die Theaterregisseurin Freya Klier wurden so zu zentralen Zeitzeugen in einem Diskurs, der die Dimension des Themas zunehmend auf die Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit reduzierte.

Ihnen gegenüber standen die enttarnten Antipoden wie Sascha Anderson und Rainer Schedlinski, an denen nun stellvertretend die angebliche Untragbarkeit eines Konzeptes demonstriert wurde, das dissidentische Kritik vor allem durch affirmative Ignoranz ersetzte. Für viele jüngere Künstler und Intellektuelle in den 80er Jahren war die angeblich unpolitische Lebenshaltung, wie die Lyrikerin Barbara Köhler findet, eher “eine Möglichkeit, sich nicht auf eine prägende Gegnerschaft einzulassen, die ihrerseits Negativabdrücke produziert. Es ging also darum, sich nicht auf dieses Diktum einzulassen, was aus einer Gegnerschaft resultiert. Ich finde nicht, daß das apolitisch ist. Das ist auch eine politische Haltung.”(7)

Die gelebte Distanz eines überwiegenden Teils der ostdeutschen Subkultur gegenüber den staatlichen Strukturen und der sich formierenden Bürgerbewegung wurde in der Diskussion jedoch einseitig aus einer Kollaboration mit der Staatssicherheit erklärt. Auf die Vielfalt der Stile, Haltungen und Typologien, angesiedelt zwischen politischer Ästhetik und unpolitischer Attitüde, fiel in dieser aufgehitzten Diskussion kaum ein Blick. Leider, mag man heute sagen, denn die reale Bedeutung jener ostdeutschen Subkultur lag nicht so sehr in einer kollektivistisch formierten Anti-Haltung, sondern vielmehr im massenhaften individuellen Ausstieg aus den Strukturen eines nicht länger sinnstiftenden Systems. Eine Strategie, die auf ihre Weise nicht unerheblich zur innenpoltischen Destabilisierung der DDR beigetragen hat. “Diese Dekadenz war, wenn man die Zerstörung der DDR innenpolitisch betrachtet, entscheidend”, formuliert etwa der lange Zeit unter argen Schwierigkeiten an Provinzbühnen inszenierende Theaterregisseur Frank Castorf, “weil keiner mehr eine Motivation hatte. Jeder Soziologe hat doch lieber irgendwelche schmiedeeisernen Lampen angefertigt, weil man damit etwas rumtricksen, sich freier bewegen konnte. Die große Initiative war doch verloren. Dieser Ausstieg aus der Gesellschaft war massenhaft. Ich meine, der Narzismus, der individuelle Anarchismus und die Asozialität waren natürlich auch etwas, was die DDR umgebracht hat.”(8)


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