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Mißverständnisse und Profilneurosen.
Der Streit um ein Phänomen
Mußte die Tatsache, daß sich in der Grauzone zwischen kulturpolitischem
Machtanspruch und zunehmenden Autonomiebestrebungen in der späten
DDR eine eigenständige und eigenwillige Kulturszene bildete
vernehmbar auch in den meinungsführenden Medien des Westens
nicht wirklich Assoziationen an die radikal-emanzipatorischen Prozesse
der 68er Bewegung wecken? Oder waren die im Pariser Schlachthaus vorgezeigten
Lebens- und Kunstäußerungen einer ostdeutschen Subkultur schlichte
Kopien nach Originalen im schlimmsten Falle von der Staatssicherheit
simuliert, um von der mit Inoffiziellen Mitarbeitern durchsetzten Avantgarde-Spitze
den rebellischen Mittelbau besser im Griff zu halten; im besten Falle
aus naiver Unkenntnis oder einem erwachenden Gespür für Marketingprozesse
einfach von internationalen Katalogvorlagen und Archivsequenzen geklont?
Die forschen Debatten in Wissenschaft und Feuilleton nach der fast lautlosen
Implosion des DDR-Regimes zogen jedenfalls alle möglichen Register,
um ein kulturelles Phänomen zu erfassen, für das es in der angenommenen
Dichotomie zwischen dem rigiden Allmachtsanspruch der Diktatoren und der
beschränkten Gegenwehr der Dissidenten keinen Raum zu geben schien.
Einerseits hatten die Medien jeden prominenteren Übersiedler aus
dem alternativen kulturellen Milieu der DDR zu einem exponierten Vertreter
einer sich seit Jahren entwickelnden freien ostdeutschen Kulturszene(2)
erhoben. Andererseits sprachen Journalisten und Sozialwissenschaftler
diesem isolierten Myzel jede originäre Wachstumskraft ab. So etwa
Karl-Werner Brand: In jedem Fall fehlt in den mittelosteuropäischen
Ländern der im Westen, im Gefolge des umfassenden emanzipativen Aufbruchs
der 1960er Jahre (...) sich entwickelnde politisch-kulturelle Nährboden,
das dichte Wurzelwerk an links-libertinären Initiativen, politischen
Gruppierungen und Milieus, die an der grundlegenden Veränderung der
alltäglichen Lebensverhältnisse arbeiteten.(3)
Die noch zu DDR-Zeiten zumindest ansatzweise registrierte Differenz zwischen
den Ästhetiken, Lebensformen und prägenden Generationsmustern,
jenseits eines auf bipolare Abhängigkeiten und Wechselspiele reduzierten
Kulturverständnisses, fiel in der Nachwendezeit zunehmend der Dynamik
eines Diskurses zum Opfer, in dem es letztlich im retrospektiven Rückgriff
um die Überführung der Gültigkeit des Adorno-Satzes, nach
dem es kein richtiges Leben im falschen gebe, auf das kulturelle Hoheitsgebiet
der DDR ging. Vom Verdikt des Malers Georg Baselitz über den Unwert
des künstlerischen Werkes im Lande gebliebener ostdeutscher Kollegen
bis hin zur Diskussion um die Folgerungen aus der erwiesenen Verstrickung
einzelner Protagonisten mit dem Ministerium für Staatssicherheit
zog sich eine emotional geführte Debatte.
Was sich nach Akteneinsicht in der Gauck-Behörde herausstellte,
war bestürzend genug: Leit- und Schlüsselfiguren der alternativen
Szene, vom Dichter Sascha Anderson über den philosophischen Vordenker
Ibrahim Böhme bis zu Punkmusikern wie Tatjana Besson und Gerd Trötzsch,
die ihre in den 80er Jahren haltungsprägende Band auch noch Die Firma
nannten, hatten nicht nur mit der Staatssicherheit gemeinsame Sache gemacht,
sondern ein fast lückenloses Informationsnetz im kulturellen Untergrund
des Landes ausgelegt. Das Urteil orientierte sich an der grellen Blitzlicht-Wirkung
der nach und nach auftauchenden Fakten. Der Mythos des Prenzlauer Bergs
als Synonym jener selbstbestimmten Alternativkultur wurde in der investigativen
Diagnose seiner verlorenen moralischen Jungfräulichkeit im simplen
Umkehrschluß nun zur Gummizelle für Nonkonformisten
erklärt und die randständige Kultur-Szene als sozialistisches
Nestflüchterexil weggeschrieben. So verhärtete sich die Situation
durch eine Generalkritik, die vor allem durch den 1976 aus der DDR ausgebürgerten
Liedermacher und Dichter Wolf Biermann forciert vorgetragen wurde.
Über die verständliche Aufarbeitung der Verstrickung einstiger
Protagonisten hinaus kamen allerdings auf diese Weise auch die gegenläufigen
Poetiken, Strategien und Existenzformen der Hineingeborenen
und Gar-Nicht-Mehr-Eingestiegenen auf den Prüfstand.
Jene von Wolf Biermann vorgelegte Radikalabrechnung schüttete das
Kind mit dem Bade aus, wenn er seinen jüngeren Kollegen die Diagnose
stellte, sie seien allesamt spätdadaistische Gartenzwerge mit
Bleistift und Pinsel im Schrebergarten der Stasi(4).
Keine ganz uneigennützig angestimmten Wutgesänge, die der Literaturwissenschaftler
Wolfgang Emmerich in seiner Kleinen Literaturgeschichte der DDR
auch als strategische Aktionen in einem literarischen Verteilungskampf(5)
interpretiert.
Für den Dichter und Büchnerpreisträger Durs Grünbein,
selbst Akteur in der Kulturszene am Prenzlauer Berg, ist neben der Form
auch die inhaltliche Stringenz dieser vehementen Kritik eher zweifelhaft:
Das verbale Maschinengewehrrattern Wolf Biermanns fährt in
die Gesänge wie die Dekrete der einstigen Stalinisten. (...) Wieder
wird, als hätte es nie ein Drittes gegeben, das Kunst ist Waffe
der Dissidenz gegen die Fuchslist in den Gängen eines ausweglos politisierenden
Systems ausgespielt. Dabei bestand ja die Verschwörung der Funktionäre
gerade in der völligen Kolonisierung durch Politik. Das System brauchte
seine Feinde im Inneren wie den Gegner im Ausland zum Überleben.
Konfrontation war die einzige Sprache, die es verstand, die jede Paranoia
und alle Kontrolle begründete. Woran es zugrunde ging, war die Verweigerung,
der wunderbar egoistische Massenauszug aus dem mit Stacheldraht umzäunten Labyrinth.(6)
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