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Hippies, Lauben, Sommergäste.
Das Prinzip Hoffnung die Entstehung der DDR-Boheme
Ich meine, Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen.
Ulrich Plenzdorf
Annahme dekandenter Lebensweisen in Gruppen junger Menschen,
insbesondere Beatanhänger streben an, in Großfamilien
oder Kommunen zu leben. Ausgestaltung von Wohnungen zu sogenannten
Partykellern. Information des Generalstaatsanwaltes der DDR, 31.3.1971
Der berühmte Satz Erich Honeckers fiel am 17. Dezember 1971 auf
der 4. Tagung des Zentralkomitees der SED. Wenn man von der festen
Position des Sozialismus ausgeht, führte der gerade inthronisierte
Parteichef aus, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst
und Literatur keine Tabus geben.(15)
Dieses Statement geriet zu einer Initialzündung in Richtung kultureller
Freizügigkeit. Wann immer nun unangepaßte Künstler und
Intellektuelle Probleme mit engstirnigen Funktionären und Veranstaltern
hatten, lag ihnen das Honecker-Zitat leicht auf den Lippen, oder sie erinnerten
ihre Kontrahenten an die Zeitungsbilder im Neuen Deutschland, auf denen
Erich Honecker beim Schriftstellerkongreß demonstrativ die Nähe
zum als oppositionell geltenden Schriftsteller Ulrich Plenzdorf gesucht
hatte.
In der Tat lockerte sich in den Folgejahren der kulturelle Würgegriff,
der seit dem 11. Plenum im Dezember 1965 die bestimmende Geste der repressiven
Kulturpolitik war. Der neue Kurs Honeckers, eingeleitet mit zeichensetzenden
Intendantenwechseln, liberaleren Verlagsstrategien und vor allem einer
Rehabilitation der 1965 verdammten Beatmusik, schuf ein verändertes
Koordinatensystem, in dem sich kultureller Eigensinn etablieren konnte.
Dieser Honecker-Spruch klang unheimlich gut in unseren Ohren,
erinnert sich Peter Cäsar Gläser, Sänger und
Gitarrist der zweimal verbotenen Leipziger Klaus-Renft-Combo, das
war auch ziemlich genau der Punkt, wo es langsam losging und die Zeit
begann, wo Renft aus der Tanzsaal-Anonymität herauswuchs und durch
die Medien an ein größeres Publikum kam.(16)
Ein Tauwetter nicht nur für die Renft-Combo setzte ein: Lange zurückgehaltene
Texte wurden plötzlich publiziert, unter ihnen Stefan Heyms Der
König David Bericht; in der Ostberliner Volksbühne setzte
der Regisseur Benno Besson seine bereits 1969 begonnene Arbeit unter günstigeren
Bedingungen fort, und die 1972 eröffnete 7. DDR-Kunstausstellung
dokumentierte die oft beschworene Weite und Vielfalt des nun
erlaubten künstlerischen Spektrums zumindest ansatzweise.
Doch nicht nur die tendenzielle Liberalisierung der staatlichen Hochkulturträger
setzte Zeichen, es entstanden zudem eine Vielzahl basisnaher Kulturinstitutionen,
die für die Ausprägung einer Alternativkultur auch dann noch
wichtig blieben, als sich bereits im Vorfeld der Ausbürgerung Wolf
Biermanns 1976 eine erneute kulturelle Eiszeit ankündigte. Beginnend
mit dem Arbeiter- und Studentenklub in der Rosenthaler Straße in
Berlin (1971 bis 1974), wurden in Kulturhäusern Veranstaltungsreihen
mit kritischen Schriftstellern, unkonventionellen Musikern und anderen
Künstlern organisiert, berichtet Wolfgang Rüddenklau.
Erstmals in der DDR konnte ein breiteres Publikum über Probleme
im Alltag und mit der staatlichen Doktrin reden. Von den Klubs ausgehend
entstanden Zirkel kritischer Intellektueller, die verbotene Literatur
lasen und über Möglichkeiten eines anderen Sozialismus nachdachten.(17)
Weitere Beispiele ließen sich anführen, etwa der von Lutz Rathenow
initiierte Arbeitskreis für Literatur und Lyrik im staatlichen Klubhaus
Jena-Neulobeda, der zur Keimzelle einer Kulturopposition in der Zeiss-Stadt
wurde oder hauptstädtische Jugendklubs wie Die Box, aus dem 1976
der Bödiker-Klub hervorging, der Lyriksongclub Berlin oder die von
der Liedermacherin Bettina Wegner moderierte Veranstaltungsreihe Eintopp
im Berliner Haus der jungen Talente.
Zusätzlich begann Anfang der 70er eine aus heutiger Sicht schier
überdimensionierte Gründungswelle von Filmclubs und Kleinen
Galerien des Kulturbunds. Allein im Umkreis der sächsischen Industriestadt
Karl-Marx-Stadt gründetens sich in kurzer Zeit zirka 30 Galerien,
die eine phantastische Breitenwirkung nach sich zogen, wie
Georg Brühl, langjähriger Leiter der Galerie Oben in Karl-Marx-Stadt,
bestätigt. Bereits Ende 1975 waren auf diese Weise 121 Kulturbundgalerien
entstanden, am Ende der DDR wuchs ihre Zahl sogar auf über 500 an.
In diesen Galerien, natürlich abhängig von der kulturpolitischen
Toleranz und den künstlerischen Präferenzen der verantwortlichen
Leiter, waren oftmals Ausstellungen und Veranstaltungen möglich,
die in anderen Räumen und in vorherigen DDR-Zeiten undenkbar gewesen
wären. Vor allem die Klubgalerien in Hoyerswerda, Leipzig,
Magdeburg, Ballenstedt, die Galerie 75 in Plauen und das Erfurter
Kunstkabinett, berichtet Jörg Heiko Bruns, profilierten
sich auf ganz eigene Weise.(18)
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