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Die sonst üblichen Liedermacherprogramme, Literatenmonologe und Pantomimenauftritte zogen höchstens noch als Vorprogramm zu den eigentlichen Ereignissen. Vor allem die Rock- und Punkbands, die zum großen Teil nun das früher abgewiesene Procedere einer offiziellen Einstufung über sich ergehen ließen, wurden zu subkulturellen Highlights in einem Teilsegment des offiziellen Kulturangebots. Der ehemalige Klubleiter des Pieck-Klubs in der Ostberliner Wilhem-Pieck-Straße und spätere Musikmanager, Adam Adamksi, orientierte seinen Jugendklub bereits Anfang der 80er Jahre auf Jazz und schuf auf diese Weise ein neuartiges Angebot. Der Pieck-Klub war eine echte Blues-Höhle: grüne Kutten, lange Mecken, jede Menge Alk und Faustan. Der Raum faßte offiziell 120 Leute, drinnen bewegten sich in der Regel 250 und draußen standen oft nochmal soviel. So habe wir dann begonnen, Alternativen zu entwicklen. Dem damaligen Boom entsprechend fingen wir an, den Laden mehr auf Jazz zu eichen. Nonverbale Kunst als Oppositionshaltung, das war eine tolerierte Nische, weil sie elitär genug war. (...) Für die größeren Sachen aus der Jazzreihe habe ich alle zwei, drei Monate das Ahornblatt angemietet. Da wurden eigens Bands zusammengestellt wie etwa die Big Band Variation, und die Discothek spielte in den Pausen meterweise dieses Amizeug, auf das die Leute ganz wild waren. Jazzsängerinnen wie Pascal von Wroblewski und Anett Kölpin hatten ihr Publikum. (...) Die besten Off-Modenschauen wie Stattgespräch haben wir dort auf improvisierten Laufstegen vor anderthalbtausend Leuten abgezogen.(69) Diese Dimension hatte einen Preis: Sie führte fast unweigerlich zu Kompromissen. Selbst die Punkband Rosa Extra, nach der einzigen DDR-Damenbinde benannt, nahm mit Hard Pop einen seriöser klingenden Bandnamen an, um fortan auch in den Jugendklubs spielen zu können. 1985 gründete sich mit der Ostberliner Gruppe die anderen zudem eine Band, die später zum Inbegriff eines geänderten kulturpolitischen und subkulturellen Verhaltens wurde, als sich neben dem DDR-Rundfunk nun auch das Staatsschallplattenlabel Amiga für die einst verpönten Bands interessierte und ihren Plattenveröffentlichungen das Sigel andere Bands aufdrückte. Das Publikum nahm jene verlorene Resistenz gegenüber den staatlichen Mechanismen prinzipiell hin, nur als die Band Die Skeptiker sogar einen Fördervertrag mit der FDJ-Bezirksleitung abschloß, donnerten ihnen bei Live-Konzerten eine Zeitlang Verräter, Verräter-Chöre aus dem Fanpublikum entgegen. Wenn du nicht in die offiziellen Clubs konntest, weil man keine Spielerlaubnis hatte, begründet Bandleader Eugen Balanskat den damaligen Kompromiß, blieb nur die Kirche, und die hat zweimal im Jahr was gemacht. Die Sache mit dem Fördervertrag war ein Fehler und hat uns eine ziemliche Menge Ärger eingebracht. Dabei war das nur der Tatsache geschuldet, daß mit dem Rainer Börner in der FDJ ein Mann da war, der sich für die Bands einsetzte.(70) In der Tat gibt es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nicht nur eine neue Offenheit in den Jugendklubs, sondern auch einen Kurswechsel in Verlagen, Funktionärsetagen und Künstlerverbänden. Der einsetzende Gorbatschow-Effekt und ein sich ankündigender Generationswechsel in den staatlichen Hierarchien sind wesentliche Auslöser einer liberaleren Kulturpolitik, die neben dem Sog in den Westen nun auch einen entgegengesetzten Sog nach Integration erzeugt. Dabei sind die Avancen der Funktionäre längst nicht nur an die massenkulturell wirksamen Bands geknüpft. Im Berliner Aufbauverlag werden nach langen Vorgesprächen schließlich Werke von einst als renitent geltenden Autoren verlegt. Der auf den Büchern prangende Editions-Zusatz Außer der Reihe ist ein ähnlicher Hilfsbegriff wie das oben angeführte Identifikationslabel für die aufmüpfigen Bands. Autoren wie Eberhard Häfner, Gabriele Kachold und Rainer Schedlinksi kommen auf diese Weise im führenden DDR-Verlag zu Veröffentlichungen. Auch die freie Theatergruppe Zinnober kann nach jahrelangen Zwistigkeiten um ihren in der Gesetzgebung nicht vorgesehenen Status plötzlich in den Westen zu Festivals fahren und bekommt sogar eine finanzielle Förderung zugesprochen. Aus der unabhängigen Leipziger Galerie Eigen+Art, geführt von Gerd Harry Lybke, soll nach Ansicht des VBK-Funktionärs Jürgen Kuttner ein kulturpolitisches Pilotprojekt werden, und der FDJ-Zentralrat gibt zusammen mit dem Verlag Neues Leben kurz vor Toresschluß sogar eine Publikation unter dem Titel Taufrisch heraus, die in der Machart und teilweise auch in der Besetzung der Autorenschaft frappierende und gewollte Ähnlichkeiten zu den Untergrundzeitschriften aufweist. Beide Kräftefelder die Ausreisewelle und der Integrationsprozeß tragen letztlich zum Zerfall der DDR-Boheme vor dem eigentlichen Ende des Honecker-Staates bei. Der Konsens endet mit dem zur Karrikatur geronnenen Feindbild, und die künstlerische Produktivität einer staatsfernen Kultur zerbricht mit den nach Anerkennung strebenden Allianzen. Was in den letzten bleiernen Tagen des Niemandslands noch möglich scheint, sind symbolische Reflexe einer Endzeitstimmung, für die man keine Zeitschriften, Galerien oder Theateraufführungen mehr braucht. Während die Bühnenarbeiter bereits die Kulissen eines abgespielten Stückes forttragen, warten manche der grell geschminkten Akteure noch lange auf den ausbleibenden Applaus.
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