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Metamorphosen der FünftrachtRebellion unterm Frauenrock: Die Produzentengalerie und Künstlergruppe "Clara Mosch" in Karl-Marx-StadtEin Gespenst geht um in Karl-Marx-Stadt. Keiner hat es gesehen, viele von ihm gehört. Sein Name ist Clara Mosch. Im Frühjahr 1977 hat die anonyme Dame bereits einen legendären Ruf. In den Dienstzimmern städtischer Kulturfunktionäre fällt ihr Name genau so oft wie an den Stammtischen des verrauchten Theaterklubs. Das Spektrum der Mutmaßungen, wer denn nun diese rätselhafte Clara sei, ist breit. Steinreiche Erbtante, subversive Kunstpatronin oder gar emanzipierte Frauenrechtlerin? Am 27. April lüftet Kulturkorrespondent elge seinen Lesern der "Sächsischen Neuesten Nachrichten" schließlich ein lang gehegtes Geheimnis. Hinter der mysteriösen Clara verbirgt sich kein Frauenrock, sondern eine noch unbekannte Privatgalerie im Vorstadt-Dörfchen Adelsberg, direkt an der Ausfallstraße ins Erzgebirge. Clara Mosch soll als selbstverwaltete Produzentengalerie einer gleichnamigen Künstlergruppe fungieren. Ihr Name setzt sich annagrammhaft aus den Anfangsbuchstaben der fünf Gründungsmitglieder zusammen. Cla wie Carlfriedrich Claus, ra wie das Ehepaar Thomas Ranft und Dagmar Ranft-Schinke, Mo wie Michael Morgner und schließlich sch wie Gregor-Torsten Schade. "Die Eröffnung ist für Ende Mai vorgesehen", verrät der investigative Lokalreporter, "man darf gespannt sein auf die erste Ausstellung des kleinen, sehr aktiven Künstlerkollektives." (1) Lapidare Zeilen im freundlich gestimmten Journalisten-Ton, mag man heute meinen. Damals setzt die Randnotiz eine Maschinerie in Gang, die selbst im Hochsicherheitsstaat DDR nur in wenigen Fällen auf so hoher Drehzahl läuft. In den kommenden fünf Jahren werden insgesamt mehr als 120 Spitzel gegen die "avantgardistische Künstlergruppe" in Stellung gebracht und ein perfides "Zersetzungs"-Programm (2) realisiert, das als dramaturgisches Gerüst für einen subtilen Freitagabend-Thriller verwertbar wäre. Denn Lutz Grösel, Autor jener unter Pseudonym publizierten Zeilen, macht mit seinem scheinbar harmlosen Artikel einen Vorgang öffentlich, der die staatliche "Organe" in die Offensive bringt. Ein taktisch gekonnter Schachzug: Grösel arbeitet zugleich unter dem Decknamen IMB "Harald Hauser" als Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter. Für die bislang im Verborgenen arbeitenden Initiatoren wird die Randerzgebirgs-Luft nach dem Bekanntwerden ihrer Pläne plötzlich dünn. Zwar sind die drei kleinen Galerieräume im ehemaligen Tante-Emma-Laden in der Adelsbergstraße 298, vom befreundeten Formgestalter Reinhard Grütz projektiert, fast fertiggestellt. Auch die Einladungen für die erste Ausstellung, eine Gemeinschaftsschau mit Zeichnungen, Aquarellen und Grafiken der beteiligten Gründer, sind bereits verschickt. Doch kurz vor der geplanten Eröffnung am 30. Mai 1977 wird vom Künstlerverband ein Pflichttermin angesetzt. Bis auf den in Annaberg lebenden Carlfriedrich Claus, der erst später und eher widerwillig in den Verband findet, sind die Mosch-Betreiber allesamt Mitglieder im VBK. Die Szene ähnelt einem Provinztribunal. Neben dem Verbandsvorstand sitzen auch Kulturfunktionäre der SED-Stadtleitung, Beauftragte vom Rat des Bezirkes und der Kulturbundleitung mit am Tisch. Die Genossen kommen schnell zur Sache. Da private Galerien in der DDR generell verboten sind - die Dresdner "Kunstausstellung Kühl" ist nur die regelbestätigende Ausnahme - stellen sie die Künstler unter Entscheidungsdruck. Entweder es kommt zu einer Fusion mit einem "gesellschaftlichen Partner" oder die Polizei versiegelt das Quartier. Ehe die Funktionäre den Vorgang befriedigt zu den Akten heften, willigt die Gruppe ein. Das kleine Übel, denken sie, wird dem nützlichen Effekt eines selbstverantworteten Podiums nicht allzu hinderlich sein. So stimmen sie einer Zusammenarbeit mit dem Kulturbund zu, der künftig, einziger Positiveffekt der obskuren Scheinehe, auch die anfallenden Unkosten übernimmt. Die Konditionen der Zwangspartnerschaft scheinen anfangs akzeptabel zu sein: So firmiert das Projekt zwar als "Kleine Galerie des Kulturbundes". Der Name Clara Mosch, von den argwöhnischen Kulturwächtern als subversives Programm gelesen, darf aber weiterhin auf den Werbezetteln und Plakaten zu sehen sein. Zudem setzt sich die Galerieleitung paritätisch aus Vertretern der Mosch-Gruppe und Funktionären des Kulturbundes zusammen. Ein Kompromiß, der schließlich die Galerieeröffnung ermöglicht. Das provokative Eröffnungsplakat vom Leipziger Mosch-Freund Lutz Dammbeck macht das verlorene Terrain wieder wett - es persifliert einen DDR-Personalausweis, zeigt einen Drachen als Staats-Emblem und das Paß-Foto einer verhüllten Frau. Unter Name, Geburtsdatum und besondere Kennzeichen erscheint als Untertext: Clara Mosch, 30. Mai 1977, Galerie. Da ist sie wieder die stolze Unbekannte - auch wenn sie vorerst ihr wahres Gesicht nicht zeigt. "Die Gründung der Produzentengalerie Clara Mosch war vor allem ein emanzipatorischer Akt", wertet der ostdeutsche Kunsthistoriker Eugen Blume, "der sich auch angesichts der seit den siebziger Jahren offiziell verbreiteten Losung von Weite und Vielfalt innerhalb der DDR-Kunst und einem in gewisser Hinsicht fortdauernden, liberaleren kulturpolitischen Kurs Chancen auf einen längerfristigen Bestand ausrechnete." (3) Gefunden haben sich die Adelsberger Aktivisten zum großen Teil bereits an der Leipziger Kunsthochschule. Michael Morgner studiert dort von 1961 bis 1966, Dagmar Schinke von 1963 bis 1968, Thomas Ranft von 1966 bis 1972 und Gregor-Torsten Schade von 1967 bis 1972. Morgner und Schinke stammen aus Chemnitz. Beide zieht es nach dem Gebrauchsgrafik-Studium wieder in die Heimatstadt zurück. Ranft folgt nach seiner Heirat mit Dagmar Schinke, die fortan einen Doppelnamen führt. Schade stößt nach seinem Armeedienst zu den Freunden. Nur der Kontakt zum Autodidakten Carlfriedrich Claus, fast 15 Jahre älter als die jungen Absolventen, kommt durch einen Zufall zustande. Werner Schmidt, Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, gibt den drängenden Tip, daß da in Annaberg ein großartiger Künstler lebe, für den es gut wäre, "wenn er nicht so isoliert bliebe". (4) Thomas Ranft besucht den eremitisch lebenden Sprachkünstler. Er überzeugt Claus von der Radiertechnik und arbeitet fortan als Drucker für den im Westen bereits als Vertreter der Visuellen Poesie geachteten Erzgebirgler. In der Künstlergruppe wird Claus schnell zur akzeptierten Vaterfigur, bei den bacchantischen Runden fehlt er allerdings aus asketischer Überzeugung. Damit sind die Moschisten komplett. Initiator und Namensfinder ist Thomas Ranft, fortan dirigiert er als "Ober-Mosch" auch die Künstlerfeste und Regularien. Ein Manifest existiert nicht, wohl auch, weil das Feindbild enger bindet als die gemeinsamen Ziele. Als wichtiger Neuzugang mit dem Status eines außerordentlichen Mitglieds folgt wenig später noch der Fotograf Ralf-Rainer Wasse. Ohne seine umfangreichen Aktions- und Werkdokumentationen wäre die Provinz-Revolution wohl kaum in die Kunstzentren gedrungen. "Für mich war Clara Mosch nicht nur eine Idee", erinnert sich Thomas Ranft an den Gründungsimpuls, "auch kein Programm, sondern eine Möglichkeit, aus einer Enge auszubrechen, die zu dieser Zeit mich und meine Freunde stark bedrückte." (5) Ein Wechsel aus der für Künstler attraktiven Messemetropole nach "Ruß-Chemnitz" muß gute Gründe haben. "Die Ansiedlung erfolgte", so begründet Dagmar Ranft-Schinke aus ihrer Erinnerung den Schritt, "in dem Gefühl, daß hier eine verkrustete Brache aufzubrechen sei." (6) Gregor-Torsten Schade sieht den Standortwechsel emotionsloser: "Nach den Jahren in Leipzig kam ich mir vor, als sei ich in eine rückwärts eingestellte Zeitmaschine geraten....Da hingen Spruchbänder ‘Es lebe der Sozialismus', aber es war kein Schwein auf der Straße. Ich dachte: Kommt jetzt gleich der Bunuel um die Ecke?" (7) Dennoch ist die bereits vorhandene künstlerische Anziehungskraft der sächsischen Industriestadt nicht zu unterschätzen. Anfang der 70er Jahre glückt im intellektuell eher blutarmen Karl-Marx-Stadt eine Reform des Künstlerverbandes. Fast ohne Gegenwehr gelingt eine Wachablösung, wie sie in anderen Städten zwar ansatzweise versucht, niemals aber in dieser Dimension wirklich vollzogen wird. Mit dem renommierten Formgestalter Claus Dietel, der jahrelang ohne Chance auf Umsetzung an einem zeitgemäßen Design für den DDR-Volkswagen "Trabant" arbeitet, sowie dem Kunsthistoriker und international anerkannten Jugendstil-Sammler Georg Brühl setzt sich ein neuer Kurs in der Bezirksleitung des VBK durch. In Karl-Marx-Stadt werden künftig auch ausjurierte Problemkandidaten und unangepaßte Autodidakten in den Künstlerverband integriert - wie etwa der in Dresden mehrfach abgelehnte Maler Peter Graf, der Mosch-Nestor Carlfriedrich Claus oder das aktionistische Vollblut Klaus Hähner-Springmühl, der anderswo schon wegen seines Aufzuges nicht einmal ins Chef-Sekretariat vorgedrungen wäre. |
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