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"Wir hatten den Vorteil, keine Kunsthochschule in der Stadt zu haben", resümiert Georg Brühl die Bedingungen jenes kulturellen Umbruchs der frühen 70er Jahre, "wir mußten uns nicht gegen situierte Professoren durchsetzen, die ihre Besitzstände verteidigten."(8) Der wichtigste Coup im forcierten Generationswechsel wird 1973 aber die Eröffnung der Galerie Oben. Schon seit den 50er Jahren besteht in Chemnitz eine Verkaufsgenossenschaft bildender Künstler. Sie besitzt attraktive Ausstellungs- und Verkaufsräume in einem zentral gelegenen Bürgerhaus in der Inneren Klosterstraße 1. In einer "Palastrevolution" wird der alte Vorstand entmachtet und Georg Brühl zum neuen Sekretär ernannt. Fortan besteht die Galerie Oben, Claus Dietel steuert den Namen bei, als eine selbständige, auch finanziell unabhängige Genossenschaft. Zirka 100 Künstler gehören ihr an. Das durch den Verkauf von Kunstwerken eingenommene Geld verbleibt in der Galeriekasse. Dafür organisiert Brühl, inspiriert von Herwath Walden, sogenannte "Mittwochsveranstaltungen". Jazz-Konzerte mit Uschi Brünning, Dia-Vorträge über das Werk von Rousseau bis Kokoschka, ambitionierte Lyrik-Lesungen und Pantomimen-Auftritte. Ein wöchentliches und für die Besucher kostenloses Galerie-Programm, in seiner experimentellen Vielfalt und offenen Form einzigartig im Land. Brühls Mittwochabende werden zu einer festen Institution. Zu den bis drei mal im Jahr stattfindenden Auktionen kommt hochwertige Grafik für moderate Preise an einen neu entstehenden Käuferkreis. Der Sekretär schwingt dabei höchstselbst den Hammer - immerhin zwischen 2000 und 5000 Mark bringt ein Auktionsabend der Genossenschaftskasse ein. Georg Brühl avanciert zum omnipotenten Strippenzieher und laviert die Galerie Oben mehrfach um bedrohliche Klippen herum. Er wird zum erfolgreichen Seiltänzer zwischen den Fronten, der allerdings auch dem MfS über Gebühr zu Diensten ist, wie sich nach der Wende herausstellt. Im Schulterschluß mit Karl-Marx-Stadts führenden Genossen erobert er jedoch wichtige Freiräume, die nicht nur für seine Galerie, sondern auch für das subkulturelle Myzel von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. "Georg Brühl fand offenbar stets den richtigen Ton", porträtiert Peter Sager treffend den auratischen Sammler, leidenschaftlichen Tänzer und vitalen Jungkünstler-Mäzen, "ein Diplomat mit gelegentlichen Ausfällen. Und da der ‘Schorsch' dem Wodka ebenso zugetan war wie dem Jugendstil und der männlichen Jugend insgesamt, genoß er in Honeckers Grauzone den exotischen Ruf eines Bonvivants." (9) Auch die Künstler der Clara-Mosch-Gruppe sind an diesen kulturellen Positionskämpfen durchaus beteiligt. Die schlitzohrig ursupierte und kostspielig umgebaute Galerie Oben wird letztlich zum Hauptgrund, warum sich die Leipziger Absolventen im trostlosen Industrierevier dauerhaft niederlassen. Vor allem Michael Morgner, hemdsärmliger Kraft-Rhetoriker, und Thomas Ranft, hintersinnig operierender Organisator, engagieren sich sowohl im Künstlerverband als auch im Vorstand der Künstlergenossenschaft, deren Profil sie bald schon entscheidend mitbestimmen. "Es ist nicht vermessen zu sagen", gibt Morgner heute nicht uneitel zu Protokoll, "daß ich der eigentliche Verbandsvorsitzende bei den Malern war. Bis zur Mitte der 80er Jahre saßen wir hier fest am Ruder. Die Genossen standen da und konnten nichts machen."(10) Beide Mosch-Kapitäne betrachten die genossenschaftliche Galerie als das existenzsichernde Schlachtschiff. Die kleine Galerie draußen in Adelsberg dagegen ist das wendige Beiboot, tauglich für spontane Abenteuertouren und riskante Manöver. Für die eher zurückgezogen arbeitende Dagmar Ranft-Schinke und die individuellen Eskapaden des Bohemiens Gregor-Torsten Schade sind diese taktischen Erwägungen der beiden extrovertierten Mosch-Temperamente aus unterschiedlichen Lebensentwürfen heraus eher uninteressant. Den eremitisch lebenden Carlfriedrich Claus tangieren sie ohnehin nicht. Dennoch verbindet die höchst unterschiedlichen Charaktere ein spürbarer Gruppengeist, der sich aus Achtung vor dem jeweils anderen Mikrokosmos speist. Eine Fünftracht unter dem Namen der selbsterfundenen Patronin, zerbrechlich aber sinnstiftend. "Es war eigentlich eine Notgruppe angesichts der Situation qualitätslosen Sozialistischen Realismus", erinnert sich Michael Morgner. "Wir hatten überhaupt kein ‘Programm', sondern Mosch war ‘ein Boot für alle Leute. die nicht untergehen wollten'. Es war weniger eine einigende Grundhaltung des künstlerischen Programmes, sondern mehr die gleichen Grundhaltung bei der Ablehnung des Realsimus bis hin zu Sitte, Müller, Bergander, Heisig, Mattheuer." (11) Für die Mosch-Freunde ist deshalb die selbstbestimmte Galerie in Adelsberg mehr als ein künstlerisches Neben-Domizil an der "Hinterbacke der Arbeiterstadt".(12) Ertrotzter Freiraum und imageprägendes Projekt sowie eine passable Visitenkarte für den gesamtdeutschen Kunstmarkt, der die Signale aus Adelsberg, verstärkt durch stetig anreisende Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin, zumindest teilweise vernimmt. Ein auf großer Flamme kochendes Galerieprogramm ist im ausgebauten Lebensmittel-Laden, der mit 15 Besuchern schon fast überfüllt ist, allerdings gar nicht denkbar. Zwar kommen zu den Vernissagen mitunter mehr als hundert Besucher angereist. Und die großen Jubiläumsfeste geraten mit mehr als 300 Gästen zu wahren Happenings - das traditionelle Fußballspiel gegen die Leipziger Künstlergilde ist immer dabei. Doch trotz des für damalige Zeiten duchaus innovativen und reibungsvollen Profils hält sich der Ansturm der Kunstinteressierten während der normalen Laufzeit eher in Grenzen. Das liegt nicht nur an der offen observierenden Stasi, vor allem wohl an der abseitigen Lage in einer abseits gelegenen Stadt. Immerhin finden in der Clara-Mosch-Galerie bis zu ihrer Auflösung 29 Ausstellungen (13) statt. Darunter wichtige Expositionen von Albert Wigand, Gil Schlesinger, Gerhard Altenbourg sowie die erstaunlichen Erstauftritte von Klaus Hähner-Springmühl und Wolfram Adalbert Scheffler. Die Moschisten sind mit sechs Gemeinschaftspräsentationen und mehreren Personalaustellungen dabei. Auch die editorische Produktivität ist erstaunlich Mappenwerke, 26 Plakate und etwa 120 Künstlerpostkarten und Mail-Art-Projekte sprechen für die ernsthafte Seite im spürbaren Spaß an der Sache. Neben den Ausstellungen zieht es die Freunde ins Freie. Sie beleben eine Tradition der französischen Impressionisten auf sächsisch-konkrete Weise neu - das kollektive Arbeiten in ‘freier Luft'. Ihre sogenannten Pleinairs (14), gemeinsam mit Künstlerfreunden verbrachte Kunstwochen in mecklenburgischen Betriebsheimen oder Ostseecamps, werden in der kleinen DDR schnell legendär. Später greift selbst der Künstlerverband Idee und Namen auf. Neben den Chemnitzern nehmen an den Mosch-Pleinairs auch Leipziger und Dresdner Künstler teil. Bereits im Winter 1975 organisiert die Galerie Oben gemeinsam mit dem Ostberliner Kunsthistoriker Klaus Werner im DDR-Künstlerort Ahrenshoop einen ersten Versuch. Nach dem geglückten Pilotprojekt folgen nun bis 1987 fast jährlich gut vorbereitete Arbeitsaufenthalte, von denen die Pleinairs in Tabarz, Leussow und Gallenthin auch im künstlerischen Sinne für die Gruppe wichtig werden. Etwa das Leussow-Pleinair 1977, wo nach einer Land-Art-Aktion der Koffer "Leussow-Recycling" entsteht. Ein Multiple, das in vier Reagenzgläsern die Asche verbrannter Kunstwerke erhält. "Das Interessante ist", weiß Michael Morgner, "daß unsere vielen Aktionen, die wir aus Spaß begonnen haben, dann unvermittelt ganz ernst wurden. Etwa meine Seeüberschreitung in Gallenthin war so ein Gag, aus dem eine ganz ernsthafte Arbeit geworden ist. Oder unser Tabarz-Pleinair, wo eine der ersten künstlerischen Aktionen gegen die Naturzerstötung in der DDR stattfand." (15) Das gemeinsam Bindende bleibt allerdings die kollektiv verantwortete Clara-Mosch-Galerie. In den ersten drei Jahren funktioniert die Zwangspartnerschaft mit dem Kulturbund, sind die ausgehandelten Kompromisse vertretbar. Erst als sich die Verhältnisse in der Galerieleitung deutlich verschieben, wird die auf Konsens angewiesene Arbeit zur Tortur. Standen anfangs zwei Funktionäre den beiden im Galeriebeirat vertretenen Mosch-Aktivisten gegenüber, sind es im dritten vier, schließlich acht. Die Mosch-Vertreter verlieren an Einfluß. Zudem beginnt die zahlenmäßig überlegene Kulturbund-Fraktion offen die Arbeit der Moschisten zu boykottieren - es verschwinden Druck-Klischees, da fehlt plötzlich der Clara-Mosch-Namenszug und es werden fragwürdige Künstler ins Ausstellungs-Programm gehoben. "Dann stellst du plötzlich in deiner Galerie - wir haben sie ja als unsere betrachtet - Künstler aus", berichtet Morgner von den Frustrationen der letzten beiden Jahre, "die hätte ich nicht einmal in meinen Laienzirkel aufgenommen."(16) Zudem bleiben innere Zerwürfnisse nicht aus. Gregor-Torsten Schade gilt nach seiner Wandlung zum reuevollen Sozialisten intern als Stasi-Spitzel - nach der Heirat mit Vera Kozik legt er neben seinem Namen auch die bohemische Lebensform ab. Carlfriedrich Claus hat die nach seiner Meinung zu dissidentischen Shows verkommenen Vernissagen gründlich satt. Auch die zerrüttete Ehe der beiden Ranfts trägt nicht gerade zum Lebenserhalt der einstmals vitalen Künstlergruppe bei. So zieht die Mosch nach fünfeinhalb Jahren den Schlußstrich und holt ihre legendäre Fahne mit den in Sackschrift gedruckten Galerie-Initialen eigenhändig wieder ein. Am 27. November 1982 verkünden Ralf-Rainer Wasses Aufkleber in der Form einer Traueranzeige vom Ableben der rebellischen Dame - Clara Mosch ist tot. Einen korrekten Totenschein erhalten die Hinterbliebenen allerdings erst zehn Jahre später - nachdem sie ihre Akten in der Gauckbehörde gesehen haben. Da erweist sich die allzumenschliche Geschichte vom schnellen Zerfall der Mosch-Gruppe als atemberaubendes MfS-Szenario. Bereits im November 1977 legt die Staatssicherheit eine 15seitige "Konzeption zur Differenzierung und Zerschlagung des personellen Schwerpunktes ‘Avantgardistischer Kreis'" (17) vor. Die Details wirken aus heutiger Sicht mehr als bizarr. So entpuppt sich die zerbrochene Freundschaft mit Gregor-Torsten Schade beispielsweise als kalkulierter Effekt: Mit von der Stasi selbst gestreuten Gerüchten über eine inoffizielle Zusammenarbeit wird Schade erfolgreich kompromittiert. Auch beim Ehekonflikt der Ranfts, können die Mosch-Leute in den zahlreichen Akten-Bänden lesen, hat Mielkes Truppe die Hand mit im Spiel. So schlägt die MfS-Bezirksverwaltung folgende Handlungsweise vor: "Durch politisch-operative Maßnahmen sind Ansatzpunkte für einen Ehekonflikt mit dem Ziel der Trennung zu schaffen, dazu ist es erforderlich: Einsatz von zuverlässigen und überprüften IM an R. (Ranft - d.V.) und dessen Ehefrau, Verunsicherung beider Personen durch intime Zuschriften, Briefe u.a., die geeignet sind, eheliche Zerwürfnisse zu vertiefen." (18) Die Maßnahme wird realisiert - für Thomas Ranft interessiert sich plötzlich eine geheimnisvolle Schöne aus Ostberlin. Nach der vollzogenen Trennung der beiden Ranfts ist die Dame plötzlich verschwunden, ausgereist nach Österreich, wie es heißt. Auch für Michael Morgner hat das MfS eine persönliche Strategie parat, deren Umsetzung allerdings gründlich mißlingt. Durch verstärkte Auftragsvergaben und Ausstellungsbeteiligungen auch im westeuropäischen Ausland soll der Mosch-Künstler gefügig gemacht werden. Das Szenario malt sogar die Feinheiten der Kontaktaufnahme aus - "zeitweiliger Entzug der Fahrerlaubnis des Morgner wegen Verkehrsgefährdung durch Trunkenheit und kurzfristige Rückgabe durch den Staatsapparat." (19) Als bitterste Überraschung bei der Akteneinsicht stellt sich aber die Tatsache heraus, daß der enge Mosch-Sympathisant Ralf-Rainer Wasse auf der anderen Seite der Barrikade steht. Als IMV "Frank Körner" finanziert die Stasi ihm nicht nur das Fotopapier. Er bekommt sogar ein monatliches Salär - im Laufe der Jahre insgesamt 110.000 Mark. Das sind seine Berichte dem MfS auch wert. Wasse berichtet penibel und detailgetreu, spart selbst die Biertisch-Philosophien nicht aus. An ihm liegt es sicher nicht, daß es die Stasi bei der Observation beläßt. Mittlerweile sind die ärgsten Wunden jedoch verheilt und der Spitzelvorwurf gegenüber dem Mosch-Mitgründer Schade ausgeräumt. Der Künstlerkreis richtet sich im regionalen Mythos ein. "Was wir getan haben", relativiert Michael Morgner die gemeinsamen Mosch-Jahre, "war nichts weiter, als uns Freiräume zu verschaffen, in denen das Arbeiten und Leben Spaß macht." (20) |
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